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G20-Gipfel in Hangzhou
Geisterstadt ohne Misstöne

Die G20-Gruppe trifft sich seit gestern in der ostchinesischen Stadt Hangzhou. Die Sicherheitsvorkehrungen sind massiv, viele Einwohner haben die Stadt verlassen – oder wurden dazu gezwungen. Das öffentliche Leben findet kaum noch statt. Eine NGO berichtet, dass 42 Menschen festgesetzt oder weggebracht wurden.

Von Axel Dorloff | 05.09.2016
    Die chinesische Stadt Hangzhou während des G20-Gipfels, September 2016.
    Die chinesische Stadt Hangzhou gleicht während des G20-Gipfels einer Geisterstadt. (Deutschlandradio/Axel Dorloff)
    Gu Jieping lenkt sein blitzsauberes Taxi durch die menschenleeren Straßen von Hangzhou. Neun Millionen Menschen leben hier – und fast keiner ist zu sehen. Die Straßen hat Taxifahrer Gu fast für sich allein.
    Der 60-jährige Gu schaltet auf seinen Lieblings-Musiksender im Radio. Er ist seit fast 20 Jahren Taxifahrer in Hangzhou – er hat sich schick gemacht: weißes Hemd, dünne, weiße Handschuhe, eine blau-weiß gestreifte Krawatte. Gu ist stolz, dass seine Heimatstadt den G20-Gipfel ausrichtet:
    "Der Gipfel ist wie eine Brücke. Und über diese Brücke lernt die Welt jetzt Hangzhou kennen und sieht, wie schön unsere Stadt ist."
    Als hätte man der Stadt den Stecker gezogen
    Etwas weiter, im alten Viertel am Trommelturm lässt uns Gu raus. Auch hier wirkt die Stadt, als hätte man ihr den Stecker gezogen. Vereinzelt spazieren ein paar Menschen über die Straße, Geschäfte und Restaurants haben ihre Rollläden herunter gelassen. Der 68-jährige Fang Zhengliang hat sich einen Stuhl auf den Bürgersteig gestellt und liest Zeitung.
    "Natürlich liebe ich das! Es ist bequemer, ruhiger, die Luft ist sauberer und es ist sicherer als sonst. Die meisten Leute sind verreist. Touristenziele in der Region sind derzeit kostenlos für Menschen aus Hangzhou. Viele sind in den Urlaub gefahren."
    Wanderarbeiter wurden weggeschickt
    Sieben Tage hat die Stadt Hangzhou Sonderurlaub ausgerufen. Je nach Job werden manche weiter bezahlt oder entschädigt. Aber längst nicht alle. Wanderarbeiter wurden weggeschickt, erzählt Wang Chaoyue, die einen kleinen Tee-Laden besitzt:
    "Die Wanderarbeiter mussten die Stadt verlassen. Wir sind geblieben, haben aber nicht geöffnet.
    Über Monate hat sich Hangzhou schick gemacht: Straßen wurden neu gebaut oder frisch geteert. Bäume gepflanzt, Abwasserrohre gelegt, Fabriken geschlossen. Es gibt Bewohner, die davon profitieren. Andere haben nur Ärger, so wie die 40-jährige Wu Jianmin. Sie hat einen kleinen Laden, in dem sie hauptsächlich Eis und frisches Gemüse verkauft.
    Ende der Sommerferien um eine Woche verschoben
    Wus Kinder gucken einen Film auf dem Laptop, das Ende der Sommerferien wurde wegen G20 um eine Woche nach hinten verschoben. Die Rollläden sind bis zur Hälfte herunter gelassen, weil sie ihren Laden nicht öffnen darf.
    "Wir machen erst nach dem Gipfel wieder auf. Wir mussten am Donnerstag schließen. Meine Kinder müssen aber in wenigen Tagen wieder zur Schule, deshalb sind wir hier geblieben. Wir sind doch keine Terroristen. Und wir haben auch kein Geld um wegzufahren. Hier müssen wir die ganze Zeit Klimaanlage und Eis-Truhe laufen lassen, damit uns das Eis nicht schmilzt."
    Viele Zwangsschließungen
    Während Merkel, Obama, Xi und Putin wenige Kilometer weiter die Weltpolitik besprechen, darf Frau Wu aus Hangzhou nicht mal ihr Eis verkaufen. Warum genau – keiner versteht es so richtig. Und entschädigt wird sie auch nicht. Offiziell laufen die vielen Zwangsschließungen unter Sicherheitsmaßnahmen, sogar die Kirchen hat es getroffen. Alle mussten schließen. Ganze Viertel wurden systematisch durchkämmt, erzählt ein Mann, der sich Huang nennt:
    "Vor zwei Monaten hat die Polizei angefangen, alle hier in der Nachbarschaft zu registrieren. Die exakten Namen und die Anzahl der Personen, die im Haushalt leben."
    Kritiker und Bürgerrechtler aus der Stadt geschafft
    Chinas Sicherheitsbehörden haben dutzende Kritiker und Bürgerrechtler aus der Stadt geschafft. Die Nichtregierungsorganisation China Human Rights Defenders hat eine Liste von 42 Fällen von Menschen aus der Umgebung veröffentlicht, die im Vorfeld des G20-Gipfels festgesetzt oder weggebracht wurden. Eines will China auf keinen Fall: Misstöne vor den vielen Gästen, die derzeit aus der ganzen Welt in der Stadt sind.