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G20-Gipfel
"Tektonische Veränderung des Machtgefüges"

Kurz vor dem Start des G20-Gipfels in Hamburg hat der Vorsitzende der Atlantikbrücke, Friedrich Merz, die Bedeutung des Treffens unterstrichen. Es gebe durch die Wahlen in den USA, aber auch durch einige Verschiebungen zugunsten Chinas ein verändertes Machtgefüge in der Welt, sagte Merz im Dlf. Deswegen sei es wichtig, miteinander zu sprechen.

Friedrich Merz im Gespräch mit Dirk Müller | 07.07.2017
    Friedrich Merz (CDU), Vorsitzender des Netzwerkes Atlantik-Brücke
    Der CDU-Politiker Friedrich Merz ist Vorsitzender des Netzwerkes Atlantik-Brücke. (picture alliance / dpa)
    Aus Sicht von Merz gibt es einen grundlegenden Konflikt, der auf dem G20-Gipfel thematisiert werden sollte - nämlich der Konflikt zwischen offenen, freiheitlichen Gesellschaften und autoritären, politischen Systemen. Der G20-Gipfel müsse zeigen, ob es noch eine Chance für ein multilaterales Regelwerk gebe.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk Müller: Viele haben ja noch den gescheiterten G7-Gipfel auf Sizilien im Kopf vor wenigen Wochen, gescheitert am Widerstand von Donald Trump. So jedenfalls haben es die anderen sechs Teilnehmer gesehen. Die Europäer halten sich jetzt lieber an China. Am Telefon ist nun Friedrich Merz, ehemals Unions-Fraktionschef im Bundestag, jetzt Vorsitzender der "Atlantikbrücke". Die Atlantikbrücke versucht, ein gutes Verhältnis zwischen Deutschen und Amerikanern zu fördern. Guten Morgen.
    Friedrich Merz: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Merz, warum ist plötzlich alles so verkehrt?
    Merz: Nun, durch die Wahlen in den Vereinigten Staaten haben sich viele Dinge verändert. In den USA sagen jetzt viele, ja, wählen kann etwas verändern, und das merken auch viele Wählerinnen und Wähler in Europa. Trump provoziert, aber er löst auch etwas Positives aus. Er bewirkt zum Beispiel, dass die Europäer jetzt enger zusammenrücken und sich ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst werden. Also die Welt hat sich verändert, aber nicht nur durch die Wahlen in den USA, sicherlich auch durch manche Verschiebungen, etwa zu Gunsten von China. China tritt machtvoll auf die Weltbühne, politisch, aber auch ökonomisch. Wir haben es mit einer durchaus tektonischen Veränderung des Machtgefüges auf dieser Welt zu tun.
    "Wenn es G20 nicht gäbe, dann hätte man es gerade jetzt erfinden müssen"
    Müller: Das ist ein großer Komplex, der im Grunde aber seit einigen Monaten - Sie haben das gesagt, Herr Merz -, seit der Wahl von Donald Trump so sich herauskristallisiert. Ich möchte Sie das trotzdem noch etwas zugespitzt fragen: Ist es dann letztendlich so, dass Donald Trump zumindest fast alles schuld ist?
    Merz: Nein. Donald Trump ist auch nicht ein singuläres Phänomen, der Amerikaner, der sozusagen über Nacht und zufällig jetzt mal Präsident geworden ist. Wir haben es ja mit einer ziemlich tiefreichenden gesellschaftspolitischen Spaltung dieses Landes zu tun, und ich sage immer wieder: Glaube doch bitte niemand, dass nach Trump dann plötzlich alles wieder gut wird oder zumindest alles wieder anders wird. Es gibt massive Veränderungen in Amerika, aber auch im transatlantischen Verhältnis. Es gibt massive Veränderungen auf dieser Welt. Und deswegen ist meine Meinung ganz klar: Wenn es G20 nicht gäbe, dann hätte man es gerade jetzt erfinden müssen, denn die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Länder der Welt müssen miteinander reden, und das tun sie in Hamburg.
    Müller: Frage ich Sie auch, haben wir gestern Sigmar Gabriel gefragt: egal, wer da am Tisch sitzt?
    Merz: Na ja, es ist nicht egal, wer da am Tisch sitzt. Aber viele übersehen ja, dass die G20-Präsidentschaften sehr häufig auch weitere Staaten und Vertreter von Staatengruppen mit eingeladen haben, dort zu reden. G20 ist ja im Grunde genommen nur ein Chiffre, keine abstrakte Zahl, die jetzt sklavisch eingehalten werden muss. Wichtig ist, dass man ein Format findet, in dem Staats- und Regierungschefs der Welt miteinander sprechen.
    Im Übrigen: Es sind ja nicht nur jetzt diese zwei Tage in Hamburg, um die es geht, sondern das wird ja monatelang, zum Teil jahrelang vorbereitet. Die Staatskanzleien, die Präsidialbüros sind über Monate miteinander im Kontakt, um vorzubereiten, was dann letztendlich in den zwei Tagen eines solchen Gipfels besprochen und möglicherweise beschlossen wird. Das Format an sich hat einen hohen Wert und steht auch überhaupt nicht in Konkurrenz zu den Vereinten Nationen oder etwa zum Sicherheitsrat. Im Sicherheitsrat treffen sich in der Regel die Botschafter. Hier treffen sich die Staats- und Regierungschefs, um Probleme dieser Welt zu besprechen.
    "Gibt es noch eine Chance für ein multilaterales, globales Regelwerk"
    Müller: Sie haben ja auch in unserem letzten Interview vor zwei Monaten hier im Deutschlandfunk gesagt, na ja, es ist schon wichtig, dass die Europäer zusammenrücken. Das haben Sie eben auch noch einmal erwähnt, Herr Merz, und dann gesagt, aber dennoch müssen wir natürlich diesen Gesprächsfaden zu Donald Trump, der ja nicht abgerissen ist, aber das konstruktive Verhältnis weiter nach vorne bringen, wieder versuchen, Vertrauen aufzubauen. Ist es da konstruktiv, permanent jetzt immer wieder von China zu reden?
    Merz: Nein. Wir können ja auch gerne über Russland reden und über Russlands Rolle in der globalen Politik. Aus meiner Sicht gibt es einen ganz grundlegenden Konflikt, über den man jetzt sprechen muss, nämlich den Konflikt zwischen offenen, freiheitlichen Gesellschaften und Staaten, die sich auf ein internationales, völkerrechtsbasiertes Regelwerk stützen, und …
    Müller: Da scheidet China ja auch aus.
    Merz: Deswegen spreche ich es ja genau so an. …, und letztendlich autoritären politischen Systemen, die den Versuch machen nachzuweisen, dass offene Märkte und autoritäre politische Systeme doch zusammenpassen könnten. Für mich ist und bleibt das ein Widerspruch und deswegen geht es hier auch in diesem Treffen im Grunde genommen genau um diesen fundamentalen Konflikt: Wie wollen wir eigentlich leben, in welchen Gesellschaften, in welchen freiheitlichen Ordnungen, und gibt es noch eine Chance für ein multilaterales, globales Regelwerk - das gilt nicht nur, aber auch für den Klimaschutz -, oder macht jetzt jeder was er will? Die Amerikaner sagen, "America first", aber die Chinesen machen schon seit Jahren "China first", wenn sie so wollen, und insofern gibt es jetzt hier wirklich Gesprächsbedarf um genau diese Frage, reden wir auf internationaler Ebene miteinander um globale Regelungen, oder macht jeder was er will und sieht sich nur noch im Kampf gegen alle anderen.
    "Die Bundeskanzlerin sucht Mitstreiter und Partner"
    Müller: Bleiben wir noch einmal bei Peking. Sie haben die Problematik gerade skizziert, Friedrich Merz. Die Kanzlerin macht ja keinen Hehl daraus im Moment, dass wir offenbar, in welcher Form auch immer definiert, mehr Nähe zu Peking empfinden als zu Washington. Ist das kontraproduktiv?
    Merz: Ich empfinde das nicht so. Die Bundeskanzlerin sucht, wie ich finde, vollkommen zu Recht gerade in diesem Format des G20 Mitstreiter und Partner, die sich zum Beispiel auch für die Zukunft zum Klimawandel bekennen. Übrigens, wenn ich das in Parenthese dazu sagen darf: Trump hat das für die USA anders entschieden. Aber in den USA gibt es eine große Zahl etwa von Einzelstaaten, von Städten, von Regionen, die für sich die Regeln des Klimavertrages einhalten wollen. Dazu zählt zum Beispiel Kalifornien, der größte Staat in den USA. Trump ist da durchaus auch in einer sehr kontroversen Situation im eigenen Land. Die Bundeskanzlerin sucht richtigerweise Mitstreiter, um dieses, was da im letzten Jahr in Hangzhou, in China verabredet worden ist, nämlich ein Pariser Abkommen zur Ratifizierung von Treibhausgas-Emissionen zu ratifizieren, dass das eingehalten wird und dass es auch dabei bleibt, dass dieser Vertrag gilt.
    Müller: Der G20-Gipfel, die Rolle Pekings, die Rolle von Donald Trump und die Kanzlerin - vielen Dank. Friedrich Merz, Vorsitzender der "Atlantikbrücke", bei uns heute Morgen im Programm. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Merz: Ihnen auch. Vielen Dank.
    Müller: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.