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Gabriel signalisiert Unterstützung bei Rettungsschirmen

SPD-Chef Sigmar Gabriel signalisiert, dass die Abstimmung über die Rettungsschirme sofort vorgenommen werden könne. Er fordert aber eine Finanztransaktionssteuer: "Wir scheitern an der Selbstblockade der Bundesregierung, die durch die FDP ausgelöst wird", kritisiert er dazu.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Christiane Kaess | 28.03.2012
    Christiane Kaess: Die Bemühungen um die Stabilisierung der Finanzmärkte und des Euro sind wieder in vollem Gange. Am Wochenende wird Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit seinen EU-Kollegen in Kopenhagen über eine Aufstockung der Euro-Rettungsschirme verhandeln. Als Rückendeckung hat er bereits das Plazet der Union und der FDP. Die Regierungskoalition ist bereit, den Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Aufstockung der Euro-Hilfen auf etwa 700 Milliarden Euro mitzutragen, obwohl Angela Merkel selbst sich lange gegen eine solche Erhöhung gewehrt hat. Und auch die Opposition hat grundsätzlich nichts dagegen. Gleichzeitig aber soll der Opposition auch ihre Zustimmung zum Fiskalpakt abgerungen werden. SPD und Grüne verlangen neben den strikten Sparmaßnahmen eine Finanztransaktionssteuer und weitere Wachstumsimpulse.

    Am Telefon ist jetzt der Parteivorsitzende der SPD. Guten Morgen, Sigmar Gabriel.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen! Ich grüße Sie.

    Kaess: Herr Gabriel, welchen Tipp haben Sie denn noch für Finanzminister Wolfgang Schäuble, wie er seine europäischen Kollegen noch von einer Finanztransaktionssteuer überzeugen sollte?

    Gabriel: Es gibt ja eine ganze Reihe von Staaten, die bereit sind, da mitzumachen. Der Jean-Claude Juncker – das ist der Chef der Euro-Zone, ein konservativer Ministerpräsident – schlägt vor, das zu tun. Die Spanier haben das diskutiert, viele andere. Ich glaube, dass der Vorschlag von Peer Steinbrück ein richtiger ist. Wenn man es schafft, den Fiskalpakt mit einem gesonderten Vertrag in Europa zu regeln, warum soll man dann mit der Besteuerung der Finanzmärkte nicht auch mit den Staaten beginnen, die dazu bereit sind, weil ja in vielen Staaten die Diskussion die gleiche ist, nämlich warum eigentlich die Verursacher der gigantischen Staatsschulden, nämlich die Spekulanten an den Finanzmärkten, keinen Cent zur Finanzierung der Schulden bis heute beitragen müssen. Diese Frage stellen sich auch alle Bürger in Europa, nicht nur in Deutschland.

    Kaess: Aber Herr Gabriel, wenn ich Sie da richtig verstehe, dann setzen Sie auf eine Koalition der Willigen. Aber was soll das wirklich bringen?

    Gabriel: Also erstens: Die Europäische Kommission ist ja nicht irgendwer, hat einen Vorschlag für eine Finanzmarkttransaktionssteuer gemacht, die Mehrzahl der dort sitzenden Kommissare sind konservativ und nicht sozialdemokratisch und wollen es trotzdem. Zweitens: Es gibt eine ganz breite Mehrheit im Europäischen Parlament dazu. Und drittens: Ich war mal Umweltminister und als Umweltminister haben wir immer bei jedem Gesetzgebungsvorschlag, den wir gemacht haben, gehört, wenn das nicht sofort von allen Staaten am besten in der ganzen Welt eingeführt wird, dann bringt das nichts. Die Wahrheit war was anderes. Die Wahrheit ist, dass eine kluge Gesetzgebung im Umweltschutz in Deutschland zur Folge hatte, dass sich andere angeschlossen haben, als sie gemerkt haben, dass es Vorteile hat. Und die Vorteile der Besteuerung der Finanzmärkte liegen doch auf der Hand. Wir brauchen Geld zur Investition in Wachstum und Beschäftigung. Wenn wir das nicht machen, werden wir die Schuldenkrise nie in den Griff bekommen. Und dieses Geld können wir uns nicht auf den Kreditmärkten leihen, sondern wir müssen diejenigen besteuern, die bis heute nichts dazu getan haben, die Schulden abzubezahlen, die die Staaten wegen der Spekulationen an den Finanzmärkten haben machen müssen.

    Kaess: Aber wenn es nur bei einer Koalition der Willigen bleibt, dann haben Sie ja noch ein größeres Risiko bei der Finanztransaktionssteuer, dass Börsengeschäfte aus den Ländern abwandern.

    Gabriel: Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Die anderen Länder werden sich anschließen, wenn Deutschland endlich seine Selbstblockade aufgibt. Herr Schäuble ist ja Gott sei Dank jemand, der seit langer Zeit für eine solche Finanztransaktionssteuer eintritt, aber er gibt ...

    Kaess: Und dennoch hat er es nicht geschafft, seine EU-Kollegen davon zu überzeugen!

    Gabriel: Erst mal hat er es nicht geschafft, seine eigene Regierung zu überzeugen. Seine Regierung steht doch, die Vertreter des Wirtschaftsministers, des Außenministers stehen doch in Europa zu allererst auf der Bremse. Und natürlich sagen die anderen Staats- und Regierungschefs, wenn die deutsche Bundesregierung selbst nicht mal eine gemeinsame Meinung hat, warum sollen wir eigentlich mitmachen. Wir haben eine Selbstblockade der Bundesregierung.

    Kaess: Aber die FDP hat ja auch ganz handfeste Gegenargumente. Zum Beispiel sagt sie, die Finanztransaktionssteuer ist eine Mogelpackung für die Bürger, weil die dabei auch zahlen.

    Gabriel: Nein. Sie können bei der Finanztransaktionssteuer ja darauf achten, dass im Wesentlichen der Hochfrequenzhandel, der Derivatehandel an den Börsen besteuert wird. Wir müssen ja nicht sozusagen die Steuer über alles gleich organisieren, sondern es geht darum, dass die Spekulationen, die die Finanzblase 2008/2009 ausgelöst haben und die diese gigantischen Schulden verursacht haben, dass wir von denen, die das tun und die heute längst die gleichen Geschäfte machen, endlich einen Beitrag bekommen zur Abfinanzierung der Schulden. Ich kann keinem Arbeitnehmer mehr erklären, dass er immer mehr Steuergelder aufbringen soll für Rettungsschirme. Ich kann keiner Kommune erklären, dass sie kein Geld mehr hat, die Kindergärten vernünftig auszustatten und ihre Theater und Schulen zu erhalten, wenn wir zeitgleich diejenigen, die uns in die gesamte Krise reingeritten haben, völlig frei von jeder Belastung stellen.

    Kaess: Aber Herr Gabriel, warum muss es denn dann unbedingt die Finanztransaktionssteuer sein und nicht zum Beispiel eine Börsenumsatzsteuer, eventuell erweitert um die Derivate, bei der auch die FDP zustimmen könnte und die eventuell auch auf europäischer Ebene leichter durchzusetzen wäre?

    Gabriel: ..., weil die Vorschläge, die derzeit von der FDP kommen, lediglich darauf hinauslaufen, dass man einen ganz kleinen Teil an den Finanzmärkten erfasst. Weder reichen die Summen aus, noch verhindern wir, dass auf andere Finanzgeschäfte ausgewichen wird. Die Vorschläge der FDP haben ein einziges Ziel: Die ihr verbliebene Klientel großer Banken und an den Finanzmärkten zu schützen und weiterhin die ganz normalen Arbeitnehmer, mittelständischen Unternehmer zur Kasse zu bitten. Und das können und werden wir nicht mitmachen. Übrigens das ist auch nicht der Vorschlag, lassen Sie mich das noch sagen, ...

    Kaess: Das heißt, Sie würden den Fiskalpakt auch an der Frage der Finanztransaktionssteuer scheitern lassen?

    Gabriel: Nein. Das heißt erst mal, dass Frau Merkel und Herr Schäuble in ihrer eigenen Koalition durchsetzen müssen, was sie selber für richtig halten. Wir scheitern doch nicht daran, dass die gesamte Bundesregierung dagegen sei, sondern wir scheitern an der Selbstblockade der Bundesregierung, die durch die FDP ausgelöst wird, und nicht durch die Kanzlerin und durch Herrn Schäuble, die uns gegenüber ja ganz offen erklären, dass sie nichts gegen unsere Vorschläge haben. Und übrigens: Natürlich haben sie auch deshalb nichts gegen unsere Vorschläge, weil es ja keine SPD-Vorschläge sind, sondern es sind die Vorschläge der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments. Und deswegen ist es wirklich eigentlich ein Skandal, dass wegen einer 1,2-Prozent-Partei die Bundesregierung in Europa auf der Bremse steht.

    Kaess: Herr Gabriel, eventuell wird die Abstimmung über den Fiskalpakt auf Drängen der Opposition verschoben. Spielen Sie hier auf Zeit, in der Hoffnung, nach der Wahl in Frankreich müsste eventuell sowieso nachverhandelt werden?

    Gabriel: Also erstens, die Abstimmung über die europäischen Rettungspakete können wir sofort vornehmen.

    Kaess: ..., aber nicht über den Fiskalpakt!

    Gabriel: Das ist eher ein Problem der Bundesregierung. Zweitens: Wir wissen überhaupt nicht, wie am Ende der Fiskalpakt aussehen wird, weil in der Tat die Franzosen erklärt haben, bei einem Wechsel in der Präsidentschaft, der ja sehr wahrscheinlich ist, würden sie erst mal die Fragen von Wachstum, Besteuerung der Finanzmärkte neu verhandeln, um erst im September zur Abstimmung in Frankreich zu kommen. Dort findet nämlich nach der Präsidentschaftswahl auch noch eine Neuwahl der Nationalversammlung statt. Das heißt, die Franzosen, unser wichtigster Partner, stimmen erst im September ab. Wir wollen gerne im Mai oder im Juni abstimmen, weil das Sinn macht, ein deutliches Signal für Wachstum und Beschäftigung und zur Besteuerung der Finanzmärkte gerade aus Deutschland abzugeben. Wir wollen das, aber wenn die Koalition ihre Selbstblockade nicht aufgibt, dann haben wir jedenfalls keinen zeitlichen Druck, weil die Franzosen ohnehin erst im September abstimmen. Unser Ziel wäre es aber, es früher zu machen, aber das hängt davon ab, wer eigentlich die Regierung führt, eine 1,2-Prozent-Partei oder Frau Merkel.

    Kaess: Ist der Vorschlag von Angela Merkel, die Euro-Rettungsschirme ESM und EFSF für eine Zeit lang nebeneinander laufen zu lassen und damit eine Aufstockung zu erreichen, ein größeres finanzielles Risiko für den Steuerzahler? Bitte um kurze Antwort wegen der Zeit.

    Gabriel: Na sicher ist das ein höheres Risiko und wir haben Frau Merkel immer prophezeit, dass sie das tun muss. Und jetzt ist das, was immer passiert. Immer wenn Frau Merkel etwas völlig ausschließt, erklärt sie drei Monate später, es sei leider doch alles notwendig. Genau das passiert ja auch.

    Kaess: Aber von der Sache her: Sie soll es tun, obwohl es ein höheres finanzielles Risiko für den Steuerzahler ist?

    Gabriel: In Wahrheit ist es so: Wenn die Rettungsschirme wirken, ist das Risiko des Steuerzahlers sehr niedrig. Aber Frau Merkel hat sich wie immer nicht getraut, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit zu sagen, nämlich dass das lange Zuwarten und das sozusagen Nichtreagieren durch Frau Merkel und Herrn Sarkozy die Gefahren immer größer werden ließ und wir jetzt gigantische Rettungsschirme brauchen, obwohl wenn wir von Anfang an uns nur um das Thema Griechenland gekümmert hätten, hätten wir diese Verunsicherung verhindert und wir müssten nicht ständig nachbessern.

    Kaess: Der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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