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Gaehtgens fordert Reformen in der Bildungspolitik

Müller: Die Beharrlichkeit und die Kreativität der Studentenproteste in den vergangenen Monaten hat viele nicht nur in der Öffentlichkeit überrascht. Es ist ein massiver Protest in Berlin, Hessen, Niedersachsen und Bayern gegen die geplanten Millionen-Kürzungen im Etat der Hochschulen, gegen das Streichen von weiteren Stellen unter Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern, gegen die mögliche Einführung von Studiengebühren. Zudem beklagen zahlreiche Experten, die deutschen Universitäten sind im internationalen Bereich nicht wettbewerbsfähig und die Ausstattung, in diese wird zu wenig investiert. Kristallisationspunkt der Proteste ist seit Wochen Berlin. Am Telefon in Berlin sind wir nun verbunden mit Professor Peter Gaehtgens, Präsident der deutschen Hochschulrektoren-Konferenz. Guten Morgen!

    Gaehtgens: Guten Morgen!

    Müller: Herr Gaehtgens, würden Sie heute als Student auch auf die Straße gehen?

    Gaehtgens: Ja, wahrscheinlich würde ich das, obwohl ich das natürlich zu früheren Zeiten eher nicht getan habe, denn es trifft ja zu, was Sie in der Sendung berichtet haben. Es gibt inzwischen nicht nur in Berlin - das ist ja nur die Spitze eines Eisbergs -, sondern auch in anderen Bundesländern erhebliche Rückschnitte in der Finanzierung der Hochschulen und das kann denke ich auch nicht im Interesse Deutschlands insgesamt sein.

    Müller: Sie sagen also heute würden Sie mitmachen. Das heißt die Situation ist jetzt aktuell schlimmer denn je?

    Gaehtgens: Ich würde sicher mitmachen. Ich würde mir natürlich auch, wie das eben schon berichtet wurde, überlegen, ob ich mein Semester dabei riskiere, aber ich denke den Protest in die Öffentlichkeit zu tragen ist das einzige Mittel, das die Studenten derzeit haben.

    Müller: Und Sie finden den Protest sympathisch?

    Gaehtgens: Ich finde ihn in der Form außerordentlich sympathisch und die Studierenden haben sich ja auch im Grunde das Wohlwollen der Medien und der Öffentlichkeit damit eingehandelt, eben nicht destruktiv tätig zu sein oder etwa Institute in einer Form zu besetzen, in der großer materieller Schaden angerichtet wird. Das wäre ja auch gegen ihr eigenes Interesse gerichtet.

    Müller: Das heißt aber, Herr Gaehtgens, diejenigen, die jetzt aktiv dabei sind, die Studenten, die haben mit Blick auf Karriere und schnelles Fortkommen innerhalb des Studiums Pech gehabt, weil ein Semester ist sozusagen verloren?

    Gaehtgens: Das ist nicht unbedingt so der Fall, denn innerhalb der Grenzen, die sie haben, haben sie ganz offensichtlich Seminare und Vorlesungen durchaus so weit besucht, dass der Semestererfolg nicht gänzlich in Frage gestellt wird. Das finde ich ist auch eine kluge Verfahrensweise.

    Müller: Sie haben ja Erfahrung im universitären Betrieb seit Jahrzehnten. Ist das, was wir heute erleben, eine neue Form von Protestkultur, die man aufgrund dessen sehr ernst nehmen muss?

    Gaehtgens: Ja, ich denke so, denn die Studenten zeigen durch die Art, wie sie diese Proteste durchführen, dass sie einerseits ihren individuellen Interessen durchaus gerecht werden, indem sie durchaus darauf achten, die Öffentlichkeit nicht gegen sich einzunehmen, indem sie auch darauf achten, keinen materiellen Schaden zu erzeugen, was ja natürlich gegen ihre eigenen Interessen wäre, aber doch auf der anderen Seite die Öffentlichkeit mit kreativen und intelligenten Aktionen auf die Misere in den Hochschulen hinweisen, die in der Tat so ist, dass wenn denn überhaupt irgend etwas, dann nur solche öffentlichen Aktionen eine Änderung der Politik herbeiführen kann.

    Müller: Stört es Sie als Präsident der deutschen Hochschulrektoren-Konferenz, dass diese Proteste zunehmend politisiert werden? Die Gewerkschaften machen jetzt auch mit. Oder ist das in Ordnung?

    Gaehtgens: Das halte ich nicht für eine gute Entwicklung, denn es lenkt natürlich von dem eigentlichen Anlass ab, den die Studierenden selbst in die Öffentlichkeit getragen haben, nämlich von der Tatsache, dass die Hochschulen schlechter finanziert werden, obwohl die Studierendenzahlen zunehmen. Es ist ja eine erfreuliche Tatsache, dass wir inzwischen die Zwei-Millionen-Grenze von Studenten überschritten haben. Das ist in unserem politischen Interesse, möglichst viele junge Menschen qualifiziert an Hochschulen auszubilden. Das kann aber nicht funktionieren, wenn gleichzeitig die Mittel für die Hochschulen und damit die Personalstellen reduziert werden, die für die Lehre dringend gebraucht werden. Seit Jahren haben wir eine solche Überlast, wie das technisch heißt, in der Lehre und das gefährdet auf die Dauer die Qualität der Ausbildung, an der wir andererseits hoch interessiert sein müssen.

    Müller: Herr Gaehtgens, bleiben wir dabei. Wenn wir richtig informiert sind, sind das ja Rekordzahlen bei den Erstsemestern. Die Grenze von zwei Millionen ist zum ersten Mal überschritten worden. Da sagt die Politik phantastisch, das ist unser politischer Bildungsauftrag. Sie haben das eben auch angesprochen. Aber muss man unter dem Strich aus Sicht der Hochschulen jetzt ganz klar sagen, diese zunehmende Studierendenzahl ist definitiv eine Katastrophe?

    Gaehtgens: Ja, denn sie verschlechtern auf diese Art und Weise die Ausbildungsbedingungen. Mehr Studierende bei weniger Mitteln und weniger Lehrpersonen kann die Qualität nicht sicherstellen. Infolgedessen muss das politische Ziel, mehr Studierende ausbilden zu können, auch durch eine finanzielle Entscheidung zu Gunsten der Hochschulen unterfüttert werden. Das Gegenteil sehen wir aber derzeit und deswegen befürchten wir eben, dass die sowieso schon seit Jahren beklagte Qualität der Ausbildung und die schlechten Studienbedingungen noch mehr verschlechtert werden. Das denke ich muss der Öffentlichkeit klar gemacht werden, damit es das Ohr der Politiker deutlich erreicht.

    Müller: Nun lastet ja, Herr Gaehtgens, der Spardruck auf viele Bereiche in der aktuellen Arbeitswelt. Was können die Hochschulen denn intern tun, um mit weniger Geld dennoch eine vernünftige Forschung und Lehre zu betreiben?

    Gaehtgens: Man muss sagen, sie können allerlei. Sie haben auch schon allerlei getan. Wenn ich allein das Beispiel Berlin nehme, dann muss man ja sehen, dass in den vergangenen zehn Jahren bereits zwischen 30 und 40 Prozent der Stellen von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern gestrichen worden sind. Sie haben sich also schon gewaltig verkleinert und sie haben in dieser Verkleinerung erstaunlicherweise auch ihre Qualität so erheblich gesteigert, dass sie jetzt diese Attraktivität für Studierende ausüben, die zu diesen großen Studierendenzahlen führt. Es ist ja nicht so, dass die Studierenden ohne Grund jetzt in die Hochschulen strömen. Einerseits bewegt sie dazu auch die Tatsache, dass die Qualität dieser Universitäten und Fachhochschulen zugenommen hat, so dass sie tatsächlich ein attraktives Angebot bekommen, wenn denn die Studienbedingungen nicht sich weiter verschlechtern würden.

    Müller: Die deutsche Forschungsgemeinschaft, Herr Professor Gaehtgens, hat jüngst gesagt, wir brauchen Eliteuniversitäten in Deutschland und die müssen natürlich etwas kosten. Was spricht denn aus Ihrer Sicht gegen ein Cambridge, Oxford und Harvard in Deutschland?

    Gaehtgens: Dagegen spricht natürlich eine ganze Menge von rechtlichen Faktoren. Wir haben eine Regulierung des Hochschulwesens in Deutschland, die im Grunde alle Hochschulen rechtlich gleichstellt, und es dürfte extrem schwierig sein, in dieser Situation einige dezidiert herauszustellen. Aber was natürlich durchaus richtig ist in diesem Satz der DFG ist, dass wir der Ausbildung der Eliten an den deutschen Hochschulen sehr viel mehr Gewicht beimessen müssen und darauf achten müssen, dass die Qualifikation international wettbewerbsfähig ist. Das heißt es muss sich nicht darum handeln, einzelne Hochschulen zu besonders hervorgehobenen Qualitätsausbildern zu machen, sondern es muss darum gehen, in möglichst vielen, in möglichst vielen Fächern insbesondere auch eine Eliteausbildung zu ermöglichen. Darum kämpfen wir im Moment.

    Müller: Das bedeutet in der Konsequenz auch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dieses komplizierte Hochschulrahmengesetz gehört ganz klar auf den Prüfstand und im Grunde soll das ein Bestandteil der Agenda 2010 werden?

    Gaehtgens: Nicht unbedingt der Agenda 2010, denn die beschäftigt sich ja mehr mit der sozialpolitischen Problematik, die wir im Moment vor uns haben. In der Tat argumentieren wir aber intensiv dafür, dass nicht nur Renten- und Sozialpolitik und nicht nur Steuerpolitik in der öffentlichen Diskussion intensiv reformiert werden, sondern auch für Bildungs- und Wissenschaftspolitik endlich etwas geschieht und die Politik zum Beispiel im Bundestag sich intensiver auch mit dieser Frage beschäftigt. Das ist die Zukunftsfrage der Bundesrepublik. Wenn wir an dieser Stelle nicht entschlossen investieren und entschlossen reformieren, dann wird die Bundesrepublik auch in den nächsten Jahren, in der Zukunft nicht die Steuereinnahmen generieren können, weil sie international nicht wettbewerbsfähig sein wird. Es sind die wissensbasierten Arbeitsplätze, um die es in der Zukunft geht. Für diese wissensbasierten Arbeitsplätze brauchen wir hoch qualifizierte junge Menschen.

    Müller: Professor Peter Gaehtgens war das, Präsident der deutschen Hochschulrektoren-Konferenz. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!