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Galapagos - Tierparadies in Mondlandschaft

Eine Irrfahrt auf dem Pazifik war es wohl, die letztlich zu einer ökologischen Katastrophe auf den Galapagos-Inseln führte. Der Bischof von Panama machte sich 1535 zu einer Seereise nach Peru auf. Dabei kam er vom Kurs ab und bislang unbekannte Meeresströmungen lenkten sein Schiff an die Ufer einer Inselgruppe, die bis dahin noch kein Mensch betreten hatte.

Von Folkert Lenz | 09.05.2010
    Was für die Natur dort offenbar ein Glücksfall gewesen war: Denn Tomas de Berlanga stieß auf urzeitlich anmutende Meeresechsen, drachenähnliche Landleguane und riesige Schildkröten. Weil der Archipel so abgeschieden war, dauerte die Besiedlung noch eine ganze Zeit. Doch der Mensch schaffte es dann schnell, die Einzigartigkeit von Galapagos zu zerstören, das Biologen gern als Freiluftlabor der Natur bezeichnen. Jetzt versuchen Wissenschaftler seit einigen Jahrzehnten, zu retten, was noch zu retten ist. Und das geht heute nur mit dem Geld von Besuchern, deren Zahl aber von Jahr zu Jahr steigt. Folkert Lenz hat dennoch Orte auf Galapagos entdeckt, die ihre ursprüngliche Ausstrahlung behalten haben.

    Was für eine Drängelei! Der Strand: übervoll. Kaum ein Quadratmeter ist noch frei im weißen Sand der Bahia Gardner. Die Badegäste, sie rekeln sich zu Hunderten in der Bucht. Fette Leiber dicht an dicht. Nur selten schleppt sich einer der Sonnenhungrigen mal ein paar Schritte zum Wasser.

    Seelöwen! Auf der Isla Española lebt eine der größten Kolonien der Galapagos-Inseln. Die braunen Faulpelze stöhnen und rülpsen unappetitlich oder hoppeln träge vor sich hin. Der Mensch wird hier nicht als Feind betrachtet und darf sich ungezwungen zwischen den hingefläzten Körpern bewegen. Es sei denn, eins der bulligen Männchen sieht seinen Harem bedroht. Dann hilft nur ein Sprint, um dem Gefahrenbereich des zentnerschweren Angreifers zu entkommen.

    Dass die Touristen bei den Seelöwen offenbar als harmlose Zaungäste gelten, zeigt sich auch ein paar Schritte weiter. Unter ein paar Bäumen ist die Kinderstube der Herde. Von Fotokameras und neugierigen Blicken unbeeindruckt, schmatzen und schlabbern hier die Kleinen an den Zitzen ihrer Mütter. Paradiesische Zustände. Hörbar!

    Der Mensch ist auf Galapagos nur geduldeter Zuschauer. Die meisten der knapp 20 Inseln des Archipels stehen unter strengem Schutz. "Betreten verboten" heißt die Grundregel für Zweibeiner. Es gibt nur eine Handvoll Siedlungen auf den oft unwirtlichen Eilanden. Der Rest der Inseln ist Tabu.

    Denn für Biologen gilt Galapagos als "Labor der Evolution": 1000 Kilometer vor der Küste Ecuadors gelegen, ist der Archipel so etwas wie eine "Arche Noah im Pazifik" für die Natur. Nur, was Meeresströmungen und Stürme herangetragen haben, konnte hier Fuß fassen. Pflanzensamen, Insektenlarven oder Vögel und Reptilien mussten sich im harschen Klima bewähren und Vulkanausbrüche überstehen. Durch die geologische Isolation sind zahllose Arten entstanden, die es nirgendwo anders auf der Welt gibt. Aufgepasst also, heißt es für die Gäste.

    "Wir werden diesen Pfosten folgen, die auf der rechten Seite des Weges stehen. Auf keinen Fall wollen wir diese kleinen, platten Ebenen überqueren, okay? Hier entlang bitte."

    Der Naturführer Billy sagt, wo es lang geht. Der ecuadorianische Biologe macht seinen Begleitern die Grundregeln auf Galapagos klar: Tiere nie anfassen. Keinesfalls füttern. Rauchen verboten. Proviant bleibt auf dem Boot.

    Keine Touristengruppe darf zur Schiffstour zwischen den Inseln starten ohne einen ausgebildeten Nationalparkführer. Beigefarbene Weste, Badeshorts und brauner Sonnenhut: Das ist die Uniform von Billy. Und zum Beginn der Tour wird er gleich recht deutlich: Nichts, aber auch gar nichts, darf bei den Besuchen auf den Inseln zurückbleiben. Und nur ja nicht einen Fuß neben die Holzpflöcke setzen, die den engen Pfad für die Menschen markieren, sonst gibt's Ärger.

    "Es ist mir egal, wer in die verbotene Zone tritt. Wer das macht, den schicke ich sofort zurück zum Schiff! "

    Die Vorsicht ist angebracht. Denn direkt neben dem Trampelpfad liegen Vogeleier auf der rotbraunen Erde. Blaufußtölpel brüten hier. Zum Nest bauen sind die drolligen Viecher scheinbar zu faul. Der Gang zwischen den Gelegen hindurch: ein Hindernisparcours. Zumal sich die kniehohen, grau-braunen Männchen nicht dabei stören lassen, der anwesenden Vogeldame ihre Aufwartung zu machen.

    Heiseres Pfeifen, dazu ein tapsiger Balztanz auf knallblauen Flossen. Schuhplattler a la Galapagos.

    "Man sieht die Tölpel häufig so: Sie zeigen mit den Flügeln, mit dem Schwanz Richtung Himmel. Das ist ein Teil der Balz. Und dann sammeln sie kleine Zweige oder Kieselsteine. Das sollen romantische Geschenke sein. Dabei bauen sie nicht einmal ein Nest, weil es hier keine Raubtiere gibt auf dem Land. Und so legen sie ihre Eier einfach dahin, wo der Boden eben ist. "

    Blaufußtölpel und Seelöwen sind nicht die einzigen Attraktionen der Isla Española. Wer Glück hat, kann einem Galapagos-Bussard bei der Jagd zuschauen. Fast aufdringlich: die Spottdrosseln, die auf der süßwasserlosen Insel jedem Tropfen Feuchtigkeit nachjagen.

    Wer Galapagos erkunden will, der ist bis heute aufs Schiff angewiesen - egal, ob Luxusjacht, Touristen-Katamaran oder Billigsegler. Und übers Meer kamen auch die ersten Forscher im 19. Jahrhundert - nachdem zuvor nur Piraten oder Schiffbrüchige die kargen und öden Inseln genutzt hatten. Freiwillig blieb kaum jemand - obwohl auch die Regierung von Ecuador sich nach Kräften bemühte, Siedler für den Archipel zu finden.

    "In den Zeitungen in Europa gab es lange Zeit Anzeigen: Komm her! Lebe im Paradies! Herrliche Strände auf tropischen Inseln! Palmen? Alles falsch! Nur Steine und Lavabrocken, aber dafür kein Wasser."

    Denn Galapagos ist vulkanischen Ursprungs. Auf einigen Inseln haben die Wassermassen der Regenzeiten eine beeindruckende und üppige Vegetation geschaffen. Doch meist herrschen riesige Flächen erkalteter Lava vor, erloschene Vulkankrater oder bewuchslose Geröllhügel aus Tuffstein. Eine Mondlandschaft!

    Umso beeindruckender die Tierwelt: Landleguane, die aussehen wie Urzeitdrachen. Meeresechsen, die Algenfelder abweiden. Kormorane, die tauchen können, aber nicht fliegen.

    Vom Schiff an Land geht's nur mit den sogenannten Dingis: Schlauchboote mit einem starken Außenborder.

    Das Ziel heute: Floreana, die sechstgrößte Insel Galapagos'.

    Ob nun Rochen oder Haie: Mangels Steg ist ein Sprung in die Wellen angesagt.

    Eine Stippvisite bei den Pelikanen. Dann eine kurze Wanderung zur Punta Cormoran. Im seichten Wasser der Lagune: zartrosa Flamingos. Die Meeresschildkröten allerdings machen sich heute rar.

    Nur ein kiloschwerer leerer Panzer am Strand zeigt, welch Kolosse hier ansonsten ihre Eier ablegen.

    Auf dem Rückweg dann der Beleg: Galapagos - für den Menschen keine Heimat, sondern nur eine Durchgangsstation. Walfänger hatten vor 200 Jahren auf Floreana eine Poststation eingerichtet: ein schlichtes Holzfass, in dem die Besatzungen vorbeifahrender Schiffe ihre Nachrichten deponierten. Andere Crews nahmen dann die Briefe mit. Eine Tradition, die Weltumsegler, aber auch Touristen, bis heute aufrecht erhalten, wie unser Führer Billy zeigt:

    "Das hier ist die Posttonne. Sie ist schon ein paar Mal ausgetauscht worden. Aber lasst uns mal sehn. Germany, Denmark, Tennessee."

    Hunderte von Karten und Briefen liegen in der bunt angestrichenen Holztonne. Es ist ein Vergnügen, Post ins Heimatland herauszufischen.

    Der Mensch ist gerade mal seit 500 Jahren auf der Inselgruppe präsent. Doch er hat schon reichlich Unordnung in das zerbrechliche Ökosystem gebracht. Beispiel: die Riesenschildkröten. 250.000 Exemplare gab es früher. Heute existiert nur noch ein Zehntel davon.

    Seeleute, Fischer und Siedler haben sich am Schildkrötenfleisch bedient und die Panzertiere als wandelnde Konservendose missbraucht. Seit den 60er Jahren versuchen Biologen aus aller Welt, die zentnerschweren Landschildkröten vor dem Aussterben zu bewahren. Zum Beispiel in der Zuchtstation auf San Cristòbal. Setzkastenartig sind hier Käfige aufgestellt. Ganz kleine für die Schildkrötenbabys, größere für die Heranwachsenden.

    "Diese hier, das werden mal Trainer. Aber im ersten Teil des Brutprogramms kommen die Babys in die anderen Boxen. Sie erhalten Fressen und Wasser, da ist es sehr einfach für sie zu überleben. Nachts werden die Käfige abgedeckt, damit keine Katzen oder Ratten da ran können. Später setzen wir die Tiere um in größere Gehege. Da müssen sie dann mit größeren Exemplaren zusammenleben, die ihnen zeigen sollen, wie sie Nahrung auch in der Wildnis bekommen."

    Unter den Sonnenschutzmarkisen der Galapaguera del Colorado sind schon Hunderte Schildkröten geschlüpft. Sie wurden ausgewildert. Doch zuvor mussten die Wissenschaftler San Cristòbal von eingeschleppten Tierarten säubern, die die Eier oder die jungen Reptilien selbst bedrohen, ist im Schutzzentrum zu erfahren.

    "Katzen sind ein Riesenproblem. Ratten: Als die ersten Schiffe ankamen, waren auch gleich die Ratten da. Dann haben die Siedler Katzen eingeführt gegen die Ratten. Dann Hunde: gegen die Katzen. Und Ziegen! Bis vor fünf Jahren haben wir hier 60.000 Ziegen gehabt. Aber wir haben es geschafft, sie innerhalb von zwei Jahren auszurotten."

    Ein weiterer Landgang: 100 Kilometer westlich von San Cristòbal liegt die Isla Isabela, die größte Insel von Galapagos. Sie lässt sich am besten mit dem Pferd erkunden. Bis heute erzittert das Vulkaneiland unter gelegentlichen Eruptionen der Erde. So ist auch die Landschaft am Volcan Sierra Negra eine einzige Lavawüste: Staub, Tuffsteinbrocken in rot, braun, gelb und grau, selten mal ein Dornenstrauch. Ödnis pur.

    "Isabela und Fernandina sind die jüngsten Inseln von Galapagos. Sie entstanden vor etwa 600.000 Jahren. Diese Caldera hier ist die zweitgrößte der Welt, die größte gibt es auf Hawaii."

    100 Meter tiefer: der tischebene Kraterboden. Der zehn Kilometer entfernte Vulkanrand auf der anderen Seite lässt sich nur erahnen. 2005 ist der Sierra Negra zum letzten Mal ausgebrochen, erzählt unser Begleiter Pablo und zeigt in das gigantische Erdloch:

    "Das war keine riesige Eruption, keine große Explosion. Vor allem haben sich Lavaflüsse gebildet. Da unten da, all diese Stellen, das ist neue Lava."

    Das Rumpeln am Himmel dagegen kommt von einem nahenden Unwetter. Schnell in den Sattel geschwungen also. Ein Expressboot bringt uns später zurück zum Haupthafen von Galapagos, nach Puerto Ayora. Ein ohrenbetäubendes Ende der Reise durch das ansonsten so friedliche und beschauliche Naturparadies.