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Galaxien-Simulation mit Dunkler und sichtbarer Materie

Für Astronomen werfen Galaxien immer noch Rätsel auf: zum einen ist nicht ganz klar, wie sie einst entstanden, auf der anderen Seite liefern vor allem kleine Galaxien einen Schlüssel, um den Kosmos insgesamt zu verstehen. Auf der Tagung "Galaxien und ihre Halos" in Garching haben 150 Experten nun die neuesten Entdeckungen diskutiert.

Von Dirk Lorenzen | 28.06.2013
    Till Sawala arbeitet am Institut für computergestützte Kosmologie im englischen Durham. Der junge Astronom simuliert im Rechner, wie sich das Weltall seit dem Urknall entwickelt und sich lose verteiltes Material zu Galaxien verklumpt hat. Dabei hat er bisher nur die Dunkle Materie berücksichtigt, die prinzipiell nicht leuchtet, aber mit ihrer Anziehungskraft das kosmische Geschehen beherrscht. Nach gängiger Theorie ist sie fast sechsmal häufiger als unsere normale, sichtbare Materie.

    "Früher hat man geglaubt, dass es vor allem auf die Dunkle Materie ankommt, weil das Universum auf großen Skalen praktisch nur von Gravitation dominiert wird. Aber jetzt stellt sich heraus, dass, wenn wir die Simulationen höher und höher aufgelöst machen, dann plötzlich die sichtbare Materie, die Baryonen, auch eine Rolle spielt – vor allem auf Skalen von Galaxien, die kleiner sind als unsere Milchstraße."

    Die Astronomen sind elektrisiert: Denn genau bei den kleinen Galaxien – ähnlich den Magellanschen Wolken, den Begleitern unserer Milchstraße – hat das Standardmodell bisher seine größten Schwächen. Die Vorhersagen des Modells weichen stark von den Beobachtungsdaten ab.

    "Es scheint so, dass die Diskrepanzen vor allem eben darin bestehen, dass man die sichtbare Materie, die Baryonen, bisher in diesen Simulationen ignoriert hat. Wenn man die Baryonen in den Simulationen mit berücksichtigt, was technisch sehr aufwendig ist, scheinen einige dieser Diskrepanzen zu verschwinden."

    Nur mit Dunkler Materie gerechnet liefert das Standardmodell in der Umgebung der Milchstraße viel mehr kleine Galaxien als tatsächlich vorhanden sind. Nun könnte sich dieser Widerspruch auflösen, denn die neuen Rechnungen mit Dunkler und sichtbarer Materie kommen der beobachteten, geringen Anzahl an Zwerggalaxien sehr nahe. Sollte sich das bestätigen, bliebe den Astronomen wohl der ungeliebte Rückgriff auf eine andere Sorte Dunkler Materie erspart. Nach manchen Theorien ist die Dunkle Materie nämlich nicht kalt, sondern warm – demnach besteht sie aus Teilchen, die sich schnell bewegen. Die warme Dunkle Materie liefert in Simulationen auch ohne die sichtbare Materie ganz korrekt wenige Zwerggalaxien. Ob sie ihren Vorteil gegenüber der kalten Dunklen Materie nun einbüßt, lässt sich noch nicht sicher sagen, mahnt Till Sawala.

    "Wir wissen über diese komplizierte Physik des Gases nicht so viel wie über die Physik der reinen Dunklen Materie. Da gibt es noch Ungenauigkeiten. Es ist nicht klar, das jetzt plötzlich alle Probleme der kalten Dunklen Materie gelöst sind."

    Das bisherige Vernachlässigen der sichtbaren Materie in den Simulationen hatte ganz praktische Gründe. Dunkle Materie lässt sich recht einfach modellieren – denn sie wirkt nur über ihre Schwerkraft. Dagegen kommen bei den Baryonen mit Sternen, abgestrahlter Energie, Sternexplosionen und so weiter sehr komplizierte Effekte ins Spiel.

    "Die Simulationen, die wir zurzeit auf den Supercomputern in Durham durchführen, benötigen mehrere Wochen mit einigen hundert Prozessoren. Das ist schon sehr aufwendig. Die gleiche Simulation ohne diese baryonischen Effekte könnte in weniger als einem Tag durchgeführt werden."

    Nach dem ermutigenden Auftakt planen Till Sawala und Co. nun den nächsten Schritt. Sie wollen klären, welche Kombination aus kalter Dunkler, warmer Dunkler und sichtbarer Materie Theorie und Beobachtung am besten in Übereinstimmung bringen.

    "Das heißt, man braucht jetzt Simulationen, die auch Warme Dunkle Materie und Baryonen kombinieren würden, um das genau zu unterscheiden. Es reicht nicht aus auf diesen Skalen nur Simulationen mit kalter oder warmer Dunkler Materie zu machen, ohne das Gas zu berücksichtigen."

    Es ist nicht ohne Ironie: Da hielten die Kosmologen die uns vertraute Materie seit Jahrzehnten für zwar schön, aber letztlich unwichtig für das All. Doch um das große Problem der Dunklen Materie und der kleinen Galaxien zu lösen, brauchen sie nun ausgerechnet Sterne und Gaswolken wie sie uns auch am Himmel leuchten.