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Gandhis letztes Aufbäumen in Südafrika

Am 6. November 1913 führte Mahatma Gandhi einen Protestmarsch von 2200 indischen Einwanderern in Südafrika an, um gegen Kopfsteuer und diskriminierende Ehegesetze des Apartheidregimes zu demonstrieren. Es war seine letzte große Aktion vor der Rückkehr nach Indien.

Von Gerhard Klas |
    Entschlossen und diszipliniert hatten sie sich in Zweierreihen aufgestellt: 2200 Inderinnen und Inder, darunter viele Vertragsarbeiter im Bergbau. Fast alle waren traditionell in Kurtas und Saris gekleidet, einige trugen Turban. Am 6.November 1913 überschritten sie die Grenze des südafrikanischen Distrikts Natal nach Transvaal. Als Nicht-Weiße waren sie im Apartheidstaat Bürger zweiter Klasse, und ohne behördliche Genehmigung war der Grenzübertritt ein illegaler Akt.

    Mit dieser Aktion des zivilen Ungehorsams begann ein mehrtägiger Protestmarsch gegen neue Gesetze, die ihre Ehen als ungültig erklärten und ihnen eine Kopfsteuer auferlegen sollten. Angeführt wurden die von Polizeibeamten misstrauisch beäugten Einwanderer von einem Mann im Maßanzug: Mohandas Karamchand Gandhi, der später als Mahatma Gandhi und Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung in die Geschichte eingehen sollte. Im Auftrag eines indischen Geschäftsmannes hatte er als junger Rechtsanwalt zwanzig Jahre zuvor mit dem Schiff an der südafrikanischen Ostküste in Durban angelegt. Es dauerte nicht lange, bis er die Apartheid am eigenen Leibe zu spüren bekam.

    Am siebten oder achten Tag nach meiner Ankunft verließ ich Durban wieder. Ein Platz in einem Wagen der ersten Klasse war für mich bestellt worden. [..] Der Zug kam in Maritzburg, der Hauptstadt von Natal, gegen neun Uhr abends an. [..] Dann kam ein Reisender und schaute mich von oben bis unten an. Er sah, dass ich ein ‚Farbiger‘ war - das störte seinen Frieden. Also schoss er hinaus und kam gleich darauf mit einem oder zwei Beamten zurück. [..] "Kommen Sie mit, Sie müssen ins Gepäckwagenabteil!" "Aber ich hab eine Fahrkarte erster Klasse", erwiderte ich. [..] "Sie müssen hier raus, oder ich muss einen Schutzmann rufen, damit er Sie rauswirft." "Ja, das können Sie", antwortete ich. "Ich weigere mich, freiwillig herauszugehen." Der Schutzmann kam. Er nahm mich beim Arm und stieß mich hinaus.

    Diese Situation beschreibt Gandhi in seiner Autobiografie. Sie gilt als Schlüsselerlebnis für sein künftiges Engagement gegen Unterdrückung und Kolonialismus. Der Apartheidstaat prägte Gandhis politische Identität, in Südafrika entwickelte er erstmals sein Konzept des gewaltfreien zivilen Ungehorsams und setzte es in die Tat um. Er verbrannte Pässe und organisierte illegale Versammlungen. Mehrmals wurde er von Polizeibeamten zusammengeschlagen und inhaftiert. Wie auch beim Marsch gegen die Ehegesetze und die Kopfsteuer im November 1913.

    Die Belästigungen, die ich persönlich hier zu dulden hatte, waren nur oberflächlicher Art. Sie waren nur ein Symptom der tiefer liegenden Krankheit des Rassenvorurteils. Ich musste, wenn möglich, versuchen, diese Krankheit auszurotten und die Leiden auf mich zu nehmen, die daraus entstehen würden.

    Schrieb Gandhi in seiner Autobiografie, der er Mitte der 20er Jahre verfasste. Doch nicht der Diskriminierung und Ungleichbehandlung der schwarzen Bevölkerung in Südafrika galt sein Kampf. Er empörte sich vor allem dagegen, dass die indische Minderheit mit den einheimischen Schwarzen rechtlich auf eine Stufe gestellt wurde. In seiner Wochenzeitschrift "Indian Opinion" schrieb er 1905:

    Der Eingeborene [..] hat ein Recht auf faire Behandlung, aber so wie er von Natur aus ist, benötigt er vielleicht eine spezielle Gesetzgebung, die möglicherweise einen restriktiven Charakter hat. Diese kann jedoch nicht für Asiaten gelten.
    Wissenschaftliche Arbeiten jüngeren Datums – wie die des Gandhi-Forschers Dieter Conrad - haben sich intensiv mit der Haltung Gandhis zur schwarzen Bevölkerung in Südafrika beschäftigt.

    Ganz gewiss wird man irregeführt, wenn man sich von Gandhis eigener, späterer Selbststilisierung in seinen autobiographischen Darstellungen leiten lässt, wonach die egalitäre Überzeugung von Anfang an Teil seiner Natur, und sein Herz unfähig gewesen sei, Unterscheidungen nach Gruppen-Zusammengehörigkeit, Religion oder Hautfarbe zu machen. [..] Das gilt in besonderem Maße für die südafrikanische Phase.

    Der indische Protestmarsch war erfolgreich: Anfang 1914 musste das Apartheidregime – auch auf internationalen Druck hin, denn Gandhi verfügte schon damals über hervorragende Kontakte zur britischen und amerikanischen Presse – einlenken: Nichtchristliche Ehen wurden wieder als gültig anerkannt und sowohl die Kopfsteuer als auch die Registrierungspflicht für Inder wurden aufgehoben. Es sollte die letzte politische Bewegung gewesen sein, die Gandhi in Südafrika anführte: Wenige Monate später reiste er endgültig zurück nach Indien und wurde dort als Volksheld gefeiert.