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Gaokao
Schulische Kreativität bleibt auf der Strecke

Chinas rigoroses, prüfungsorientiertes Schulsystem wird im eigenen Land durchaus kritisch gesehen. Stupides Auswendiglernen sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es oft. Schlimmer noch: die Schule zerstöre die Kreativität. Eine moderne Wirtschaft aber braucht kreative Köpfe. Nur wie lernt man Kreativität? Bildungsexperten in China suchen nach Antworten.

Von Ruth Kirchner |
    Festival in Beijing, China, 01 May 2007.
    Chinesische Schüler schneiden in Tests gut ab. Denn: Sie werden von klein auf darauf getrimmt, sich Unmengen an Lehrstoff schnell anzueignen und in Prüfungen abzuspulen. (picture-alliance/ dpa / epa Michael Reynolds)
    Wenn es ums Rechnen geht, kann man chinesischen Schülern nicht so einfach etwas vormachen. In Mathematik schneiden sie in internationalen Vergleichsstudien regelmäßig besser ab als deutsche oder amerikanische Schüler. Denn Bildung wird in chinesischen Familien sehr ernst genommen. Viele Kinder besuchen nach der Schule zusätzliche Privat-Kurse. In diesem privaten Mathematik-Zentrum geht es vor allem um das Einprägen von Grundrechenarten und Formeln, betont Lehrer Hui Haizhi.
    "Kopfrechnen ist das wichtigste. Vielleicht legt man im Ausland nicht so viel Wert darauf, aber bei uns hat es Priorität"
    Chinesische Schüler werden getrimmt
    Auch sonst schneiden chinesische Schüler in Tests gut ab. Denn: Sie werden von klein auf darauf getrimmt, sich Unmengen an Lehrstoff schnell anzueignen und in Prüfungen abzuspulen. Aber gut für die Schüler und für das Land sei das eigentlich nicht, sagt sagt Yang Dongping vom Pekinger Institut für Technologie, einer der schärfsten Kritiker des chinesischen Bildungssystems.
    "Eines unserer Grundprobleme ist doch dies: Alle Tests haben Standard-Antworten. Lehrer und Eltern achten darauf, dass die Schüler diese Antworten lernen, sie werden nicht ermutigt zu hinterfragen, kritisch zu sein, etwas Neues zu entdecken. Daher gibt es keine Innovation bei uns. Seit der Gründung der Volksrepublik vor 60 Jahren haben wir keine Wissenschaftler von Weltrang hervorgebracht. Das ist schlichtweg die Realität.
    Alle Test haben Standardantworten
    In der Tat sind Chinas Schulen kein Hort der Innovation oder Kreativität. Projektunterricht? Gruppenarbeit? Fehlanzeige. Wie hier rezitieren überall im Land die Schüler im Chor und pauken sich von Prüfung zu Prüfung. Für ein moderne Gesellschaft, die weg will vom Image der Werkbank de Welt, hin zu mehr Innovation, sei das nicht mehr zeitgemäß, sagt der kanadisch-chinesische Bildungsexperte Jiang Xueqin.
    Chinas Schulsystem ist sehr monolithisch
    "Dieses System ist in der Lage, den Menschen grundlegende Fähigkeiten zu vermitteln. Es bringt den Menschen auch bei dasselbe zu denken - es ist sehr monolithisch. Im Sozialismus machte das Sinn. Es ging darum, Menschen lesen und schreiben beizubringen. Man musste sich um die Jobs keine Sorgen machen, es gab ja keinen Markt. Aber in der Marktwirtschaft funktioniert all das nicht mehr, der Markt stellt andere Anforderungen.
    "Die Marktwirtschaft braucht kreative Köpfe, braucht Innovation. Nur: Wie wird man kreativ? Am besten fängt man ganz früh an," sagt Fang Ping, Direktor des Instituts für Erziehungswissenschaften an der Beijing Normal University:
    "Ich denke die Bildung spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Kultivierung der Kreativität und als Motivation für die weitere Entwicklung. Die Verantwortlichen haben das mittlerweile erkannt und räumen Bildungsreformen einen hohen Stellenwert ein. Erfolgreiche Erfahrungen westlicher Länder wollen wir in unsere Reformen aufnehmen."
    Eltern sind gegen Reformen
    Aber einfach ist das nicht. Denn selbst kleine Reformschritte stoßen oft auf erbitterten Widerstand der Eltern, die fürchten ihre Kinder könnten im harten Bildungswettkampf um die besten Schulen und Universitäten ins Hintertreffen geraten. Als etwa die Stadt Peking im letzten Herbst versuchte, die Hausaufgaben in den Grundschulklassen abzuschaffen, beziehungsweise deutlich zu reduzieren, gab es wütende Proteste. Zum Beispiel von Wang Xiaoli, Mutter eines Zweitklässlers:
    "Ich bin dagegen. Denn die Aufnahmeprüfung für die Mittelschule wird ja weiter bestehen bleiben. Und die Vorbereitung dafür beginnt in der ersten Klasse, nicht erst am Ende der Grundschulzeit."
    Nach der Mittelschule kommen erst die Aufnahmeprüfung für die Oberschule und dann der Gaokao, also das Abitur. Immer geht es nur um die Prüfungsergebnisse und die erreichte Punktzahl. Eigentlich müssten nicht einzelne Schulbereiche reformiert werden, sondern das ganze System, sagt Yang Dongping.
    "Der größte Vorteil des Systems ist die Chancengleichheit. Vor dem Punktesystem sind alle gleich – aber es führt eben auch zu dem stupiden Auswendiglernen, weil immer nur das Prüfungsergebnis, die Punktzahl Priorität hat. Ein effizientes, faires aber flexibleres System zu finden, das modernen Bildungsanforderungen entspricht, muss das Ziel der Reformbemühungen sein."
    In einem ersten Schritt soll bis 2017 die Bedeutung der Englischprüfung in der Gesamtwertung des Gaokao reduziert werden. Das verringert allerdings kaum die Arbeitsbelastungen der Schüler. Denn statt Englisch müssen sie halt mehr Zeit für andere Fächer aufwenden. Einigen Universitäten experimentieren außerdem mit neuen Zulassungsverfahren, die nicht nur die Punktzahl im Gaokao berücksichtigen, sondern auch Eignungstests und die tatsächlichen Stärken der Bewerber. Doch solche Verfahren gibt es bislang nur an etwa vier Prozent aller Universitäten. Und selbst dort dürfen nur fünf Prozent der Studenten auf diese Weise ausgewählt werden. Für alle anderen Bewerber entscheidet weiter die Punktzahl im Gaokao über ihre Zukunft. Bis Chinas Bildungssystem tatsächlich mehr Flexibilität und Kreativität zulässt, dürfte daher noch eine Weile vergehen.