Freitag, 26. April 2024

Archiv


Gar nicht komisch

Die Choreografin Meg Stuart hat in Salzburg eine Komödie inszeniert, die nicht komisch ist. Sie dekliniert Varianten der Peinlichkeiten durch und landet immer wieder in der Gewalt, deren Ausübung ihrerseits wiederum peinlich sein kann.

Von Sven Ricklefs | 22.08.2006
    Wirklich komisch ist das tatsächlich nicht, oder sind sie nicht, wie sie da auf der Bühne gleichsam in der Schöpfung herumstehen, in diesem Turnzeug, in diesen Trikots, die peinlich sitzen und peinlich zusammengestellt sind, und dazu noch diese blonden lockig geschwungenen Plastikperücken. Dass die anderen auch peinlich sind, also peinlich wirken, und ebenso peinlich berührt sind von der eigenen Peinlichkeit, davon überzeugen sie sich mit schamvollen Blicken hin auf das Trikot und die Erscheinung des Nachbarn, bevor sie wieder ins Publikum lächeln, dieses bestimmte gequälte Lächeln, jenes, wenn man eben in einer peinlichen Situation gesehen wird. Denn erst der Zuschauer stellt die Peinlichkeit her, die sonst nicht existieren würde, denn sein Gelächter des Hohns ist es, dass mit dieser Flucht nach vorn ins eigene Lächeln gemildert werden soll. Doch schließlich retten sich diese sechs erbarmungswürdigen und zugleich zum bösen Lachen herausfordernden Figuren in den langsam beginnenden Swing einer Showeinlage, wippen und werfen Gliedmaßen, taktecht immerhin.

    Dabei sind sie noch immer und nicht weniger peinlich, nur dass sie sich, so scheint es, nicht mehr so fühlen, dass peinlich berührte Lächeln ist dem eingefrorenen Showgrinsen gewichen, der gesellschaftlich begangene Fauxpas der eigenen Erscheinung ist vergessen.

    Es sind diese beiden Pole, die die amerikanische Choreografin Meg Stuart mit ihrer neuesten Arbeit in Beziehung zu setzen sucht: den Moment, in dem das öffentliche Image zu Fall kommt, weil man bei einer Regelübertretung erwischt wurde, und jene verlogene Glamourwelt des großen Hollywoodmusicals, in der makellose Menschen nie aus der Rolle fallen, sondern perfekt miteinander tanzen und singen. Meg Stuart hat sich dafür eine große geschwungene Showtreppe bauen lassen, die sich allerdings in ihrer Nacktheit schon selbst entzaubert und auf der sich böse und wiederum peinliche Fallstürze ereignen können, wenn man etwa versucht, sie mit Rollschuhen herunterzulaufen. Es ist dieser Sonderfall des Komischen für den sich Stuart interessiert, ein Sonderfall, der seine Intensität sicherlich noch einmal aus der Differenz schöpft, für den Betroffenen schmerzhaft zu sein, den Beobachter aber zum Lachen zu reizen, zu einem Lachen, mit dem er gleichzeitig strafen und disziplinieren kann.

    Erst hat ihn eine aus dem Schrank gezogen, da war er noch fast nackt, dann hat sie ihn angekleidet, ihn in rote kurze Hosen gesteckt und in ein rotes Jackett auf dessen Revers lachende Mäuler aufgepinnt sind, jetzt steht er da vor dem Publikum und stottert. Eine missglückte Stand-up-Comedy, in der die Pointen nicht zünden, da nützt es auch nichts, dass sich schließlich die fünf anderen Akteure zu dem Einsamen gesellen und sich selbst im Pointenreißen versuchen. Und da die mehr und mehr ins Groteske verzerrten Bewegungen aus dem tänzerischen Repertoire der großen Shows auch keine Wirkung mehr zeigen, artet die Szene aus, entlädt sich die Frustration - der selbst eben wegen ihrer peinlichen Unfähigkeit Verlachten - in Gewalt, wird eine das Opfer der anderen: So funktioniert gesellschaftliche Entladung.

    Immer wieder im Laufe dieser Performance, die auch mit Video und einem aggressiven Soundteppich arbeitet, immer wieder kommt es zu diesen bösen Entladungen, denn eines war klar: Wenn man Meg Stuart zu einem Festival einlädt, dessen Programm sich die Komödie als Leitfaden gesetzt hat, dann wird es auch bitterernst, da ist "it's not funny" vorgegebenes Programm. Die Choreografin dekliniert Varianten der Peinlichkeiten durch und landet immer wieder in der Gewalt, deren Ausübung ihrerseits wiederum peinlich sein kann, insbesondere wenn die Figuren dabei versuchen, verzweifelt die Contenance zu bewahren. Dass diese Komik selten etwas Befreiendes hat, ist klar, doch gerade damit liefert Stuart einen eigenwilligen Beitrag zur Salzburger Diskussion des Komischen, nicht nur weil sie vom Tanztheater kommt, dieses allerdings immer wieder auch spartenübergreifend verlässt, sondern auch, weil sie zeigt, wie das so gemeinhin als kathartisch oder harmlos bekannte Komische, gesellschaftlich missbraucht werden kann.