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Gas aus Gras

Bioenergie ist teuer und umstritten – zum Beispiel entstehen für die Energiegewinnung immer mehr Mais-Monokulturen. Kasseler Forscher gehen jetzt einen anderen Weg: Sie produzieren Biogas aus Laubabfällen.

Von Jens Wellhöner | 11.06.2013
    Professor Michael Wachendorf zückt seine Kamera und fotografiert eine Wiese. Die liefert das Gras für sein Biogas-Forschungsprojekt:

    "Und wir machen aus dem, was eher eine Belastung für die Kommunen darstellt, nämlich die Pflege der Rasenflächen, etwas Nützliches. Indem wir daraus Energie gewinnen. Und das ist etwas, was Sinn macht."

    Auch in Kassel gibt es Hunderte Hektar Wiesen, die der Stadt gehören. Auf einer von ihnen hat das Forscherteam von Agrarwissenschaftler Wachendorf seine Versuchsfläche eingerichtet. Es ist nur eine kleine Wiese, etwa so groß wie ein Vorgarten, rund 20 Meter breit. Direkt neben einer Straße. Forstwissenschaftlerin Meike Piepenschneider hat einen Teil der Wiese gerade gemäht:

    "Wir haben uns dafür einen selbstfahrenden, riesengroßen Mulchmäher gekauft."

    Mit einem Rechen sammeln die Forscher der Uni Kassel das Gras ein. Bis zu vier Mal im Jahr wiederholen sie das.

    "Wir untersuchen die Inhaltsstoffe des Materials, also Fasern, Mineralstoffe. Wir gucken auch nach den Schadstoffen, weil wir ja direkt an der Straße liegen, schauen wir auch nach den Schwermetallen."

    Und schaffen das Gras anschließend in ihre Versuchsanlage bei Witzenhausen an der Werra. Dort produzieren die Forscher aus dem Gras Energie. Das war bisher sehr schwierig. Denn die Pflanzenfasern enthalten viel Lignin. Michael Wachendorf:

    "Die Ligninfasern sind holzartige Stoffe. Die sind in der Biogasanlage komplett unverdaulich. Aus diesem Stoff wird kein Biogas gebildet. Er ist also selbst völlig reaktionsträge. Und hinzu kommt, dass das Lignin noch andere Stoffe einkapselt. Also die Vergärbarkeit noch zusätzlich reduziert."

    Die Kasseler Forscher haben dieses Problem gelöst, indem sie in ihrer Versuchsanlage die ligninhaltigen Fasern herausfiltern. Dabei machen sie es so wie die Bierbrauer: Wie der Hopfen im Brauhaus kommt das Gras zuerst in einen großen Bottich mit Wasser - und weicht dort eine halbe Stunde lang ein. Es entsteht eine Maische. Eine Schneckenpresse presst die Flüssigkeit schließlich aus dem Gras heraus. In einem Sieb bleiben die ligninhaltigen Fasern zurück. Die Flüssigkeit, der Presssaft, rinnt weiter in einen Gärbehälter. Er enthält Stärke und andere Zuckerverbindungen und gärt dort einige Tage lang. Dabei entsteht Biogas. Michael Wachendorf:

    "Während in einer herkömmlichen Biogasanlage Substrate 30 bis zum Teil 90 Tage verweilen, verweilt unser Substrat, der Presssaft, nur wenige Tage. In der Regel reichen zehn Tage, bis der gesamte Kohlenstoff in Biogas gewandelt ist. Das Biogas verbrennen wir dann in einem Blockheizkraftwerk, und erzeugen Strom und Wärme."

    Aber nicht nur aus der Flüssigkeit gewinnen die Forscher Energie. Denn die getrockneten ligninhaltigen Grasfasern pressen sie zu kleinen Briketts zusammen.

    "Die Qualität dieses Brennstoffs ist vergleichbar mit denen von Holzhackschnitzeln."

    Und das ist ein häufiger Brennstoff in Biomasse-Kraftwerken. Diese Grasbriketts seien ein guter Brennstoff, zum Beispiel für Mehrfamilienhäuser, so Professor Wachendorf. Das sei eine umweltfreundliche Alternative zum Beispiel zum Mais. Normalerweise wird das abgemähte Gras aus den Gärten und Parks verbrannt. Durch das neue Verfahren der Uni Kassel könnte es den Kommunen sogar Geld bringen:

    "Wir stellen uns vor, dass die von Städten und Kreisen gebaut und betrieben werden. Heizöl oder Erdgas ersetzen und CO2 einsparen."

    Aber: Noch ist die neue Energiegewinnung aus Gras kein Verkaufsschlager. Die Kasseler Forscher produzieren nämlich gerade so viel Energie, wie sie für den Betrieb ihrer Versuchsanlage brauchen. Mit EU-Geldern wollen sie ihre Erfindung jetzt marktreif machen. Und eine Produktion im größeren Stil versuchen. Denn je mehr Biomasse sie verbrennen, desto wirtschaftlicher wird der Betrieb.
    "Das wird alles zu berechnen sein. Und am Schluss wissen wir, ob es ein Nullsummenspiel wird."