
Informationsabend für Gastfamilien Landkreis Cuxhaven. Treffen in einem schmucklosen Aufenthaltsraum. Reinhard Hachmann vom Pflegekinderdienst scheint zufrieden.
"Ich freu mich, dass sie heute Abend hier sind, ihre Zeit opfern, interessiert daran sind, was es bedeutet, Gastfamilie zu sein oder zu werden."
Die Stühle sind bequem, es könnte länger dauern. Der Raum ist voll. Hier sind rund 50 Menschen, die sich mehr oder weniger entschieden haben, einem geflüchteten Jugendlichen ein Zuhause zu geben, einem Jugendlichen, der ohne Familie in Deutschland ist. Für den deshalb rein juristisch das Jugendamt zuständig ist – aber das ist es nicht allein.
Hachmann: "Was wird von Gastfamilien erwartet? Ich denke, das sind auch die Dinge, die sie interessieren, was muss ich denn mitbringen und haben um Gastfamilie sein zu können?"
Minderjährige Flüchtlinge, die ohne Angehörige unterwegs sind, haben ein besonderes Schicksal und brauchen viel Unterstützung. Ein eigenes Zimmer, ganz wichtig. Und
Zeit brauchen sie. Das ist Reinhard Hachmann ganz wichtig.
Zeit brauchen sie. Das ist Reinhard Hachmann ganz wichtig.
"Zumindest am Anfang ist viel Zeit erforderlich, um dem begegnen zu können, was alles geregelt werden muss – was alles geklärt werden muss"
Um eine gemeinsame Sprache zu finden – um sich aufeinander einzulassen. Gastkind und Gastfamilie müssen zueinander passen. Der Jugendliche soll nicht schon wieder entwurzelt werden, wenn die Chemie nicht stimmt.
Die Jugendlichen haben während ihrer Flucht schreckliche Dinge erlebt
"Ja, was sie mitbringen müssen ist auch die Bereitschaft, sich auf den jungen Menschen einzulassen, der unabhängig ist, der hat einen langen Weg der Flucht hinter sich, der hat sich auch in gewisser Weise verselbstständigt und hat eine Reife entwickelt - die sind eventuell monatelang über tausende Kilometer unterwegs gewesen und konnten diese Episode in ihrem Leben nur meistern, wenn sie sich unabhängig und relativ selbstständig bewegen konnten."
Wir müssen beachten, sagt Hachmann, dass die Jugendlichen während ihrer Flucht schreckliche Dinge erlebt haben. Ausbeutung, Misshandlung, vielleicht Missbrauch.
"Die, die hier angekommen sind haben überlebt - die sind zäh, die sind tough, die haben eigene Überlebensstrategien entwickelt und auch ein gewisses Maß an Selbstständigkeit."
Die Menschen, die an diesem Abend da sind, scheint das nicht zu verschrecken. Es sind alles soziale Überzeugungstäter, wie sich herausstellt – viele haben bereits Pflegekinder – nicht des Geldes wegen.
"Die Aufgabe ist groß und Geld verdienen kann man damit nicht."
Es hätte auch kaum jemand, der sich gemeldet hat, nach Geld gefragt. Die Aufgabe sei so groß, das sei nicht mit Geld zu bezahlen, sagt Hachmann und schaut in die Runde. Alle blicken ernst aber noch keiner skeptisch.
"Das kann man auch, das weiß ich auch, da hab ich hier drei Beispiele, die wissen wie das geht, die haben mit viel Energie ganz viel geschafft – das könnten sie auch, wenn sie denn denken, dass sie das wollen."
Das hört sie ein bisschen trotzig wie nach "Wir schaffen das" an – angesichts der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in Helfer und Mahner. Und die drei Beispiele, die Hachmann angeführt hat, sind seit drei Monaten Gastfamilie und wirken auch nicht überfordert.
"Schönen guten Abend, mein Name ist Robert Martin, meine Lebensgefährtin und ich haben seit kurz vor Weihnachten einen jungen Syrer bei uns in der Familie leben."
Kein Schweinefleisch, kein Alkohol
Die Familie, das sind Vater, Mutter und ein 17-jähriger Sohn.
"Und er hat sich jetzt in dieser Zeit von zwei Monaten, er ist zum Teil der Familie geworden. Er ist wirklich mit uns zusammengewachsen, er ist wirklich ein Teil unserer Familie."
Seine Frau plaudert aus, als der Pflegesohn die ersten deutschen Worte gesprochen hat, da seien ihm, dem Pflegevater, Tränen der Rührung in die Augen geschossen. Es wird emotional. Und es kommen Fragen. Wie ist es mit Krankheiten, welche Rolle spielt die Herkunftsfamilie, was wissen sie über die Flucht - und "wie machen sie das mit der Religion, ja,ich will das ja nicht abschneiden, unser Pflegekind ist ein nicht-praktizierender Moslem. Es gibt keine Probleme, wir essen einfach kein Schweinefleisch. Alkohol bekommt er keinen, und damit hat sichs."
Manchmal kann es eben auch ganz einfach sein.