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Gauck gegen Änderungen bei Stasi-Aufarbeitung

Joachim Gauck hat die Pläne von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) zur künftigen Aufbewahrung der Stasi-Akten in Bundes- und Länderarchiven kritisiert. Die Stasi-Unterlagen-Behörde habe 16 Jahre lang "hervorragende Leistungen" erbracht, sagte der ehemalige Behördenchef. Eine Veränderung sei einfach nicht notwendig und würde der Gesetzeslage widersprechen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Erst vergangenen Dienstag hatte Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, ihren Tätigkeitsbericht vorgelegt, und der enthielt durchaus eine Überraschung. Die Zahl derer, die den Antrag stellen, die Akten einzusehen, die der ehemalige DDR-Geheimdienst über sie geführt hatte, die nimmt nicht etwa ab. Im Gegenteil: Sie nimmt erheblich zu. Fast 100.000 Menschen wollten im vergangenen Jahr ihre Stasi-Akte sehen, und der Trend setzte sich in diesem Jahr fort. Viel zu tun also noch für die Birthler-Behörde in der Zukunft, jedenfalls wenn es nach ihrer derzeitigen Leiterin geht.

    In der Bundesregierung und in Teilen des Bundestages aber sieht man das wohl anders. Kulturstaatsminister Neumann hat jetzt seine Überlegungen für eine Neukonzeption der Erinnerungsstätten in Deutschland vorgelegt. ( MP3-Audio , Margarete Limberg)

    Hat also die Stasi-Unterlagen-Behörde ihre Schuldigkeit getan? Darüber möchte ich sprechen mit Joachim Gauck, dem ersten Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und Vorgänger von Marianne Birthler. Guten Morgen, Herr Gauck!

    Joachim Gauck: Schönen guten Morgen!

    Heckmann: Herr Gauck, ist es Zeit, die DDR ad acta zu legen?

    Gauck: Nein, das Gegenteil ist der Fall, und das geht ja aus dem Gesamttext des Papiers von Kulturstaatsminister Neumann hervor. Es soll eben ja gerade darum gehen, die Aufarbeitung der SED-Diktatur zu fördern und hier Effizienz und damit mehr Erfolg herbeizuführen. Das ist ja der Ansatz, und deshalb muss es verwundern, dass gegenüber der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen ein eher restriktiver Kurs angedeutet wird.

    Heckmann: Das heißt, Sie sind mit den Plänen, die jetzt Kulturstaatsminister Neumann vorgestellt hat, nicht einverstanden?

    Gauck: Jedenfalls mit dem Teil nicht. Das Übrige ist sehr wichtig. Schauen Sie, wenn ich das zunächst mal sagen darf. Es ist seit vielen Jahren doch fester Bestandteil des Selbstbildes der deutschen Nation, dass man sich der Schuld und auch der Fakten der Nazi-Diktatur bewusst ist. Das gehört einfach zur kollektiven Identität der Nation dazu. Aber es ist noch viel zu tun, um Ähnliches zu erreichen mit dem Unrecht und mit dem antidemokratischen Ansatz der kommunistischen Diktatur. Und auch die hat es in Deutschland gegeben, eben nur in einem Teil Deutschlands.

    Heckmann: Aber die Akten, wenn sie ins Bundesarchiv verlegt werden sollen, sollen ja auch weiterhin öffentlich zugänglich sein, zumindest für die Betroffenen. Also insofern würde sich an der weiteren Aufarbeitung nichts ändern. Im Gegenteil, es soll professionalisiert werden.

    Gauck: Ja, aber nun muss man mal die Kirche im Dorf lassen und feststellen, dass über 16 Jahre die Bundesbehörde hervorragende Leistungen erbracht hat. Das wird auch von allen Seiten gewürdigt. Weder aus dem Parlament noch aus dem öffentlichen Raum sind nennenswerte Debatten über die Leistungsfähigkeit erfolgt. Auch wird in diesem Papier selber die Leistung der Abteilung Bildung und Forschung der Bundesbehörde gewürdigt. Und hier eine Veränderung herbeizuführen, ist einfach nicht notwendig, und vor allem widerspricht sie dem Gesetzestext. Die Bundesbeauftragte hat den Auftrag, die Öffentlichkeit zu informieren über Struktur und Wirkungsweise des MfS. Also müsste man das Gesetz ändern. Das Gesetz beruht aber auf dem Einigungsvertrag, und ich prognostiziere, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht so leicht an ein Gesetz herangehen werden, das sie aus gutem Grund, nämlich wegen der Spezialität dieser Akten, so geschaffen haben.

    Deshalb ist die Erwartung, dass sich durch den Übergang ins Bundesarchiv viel verbessern würde oder überhaupt etwas verbessern würde, einfach irrig, und deshalb wird es schwer sein, eine Mehrheit im Deutschen Bundestag - und dorthin gehen ja zunächst diese Empfehlungen - zu bekommen, nun hier drastisch einzugreifen. Wenn sich überhaupt etwas ändert, dann vielleicht im Jahr 2019. Und bis dahin wird vielleicht manches zu verbessern sein, aber jedenfalls nicht drastisch zu ändern.

    Heckmann: Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt hat die Befürchtung geäußert, dass die Akten, wenn sie eben ins Bundesarchiv überstellt werden, für eine Zeit zumindest nicht vollständig zugänglich sein werden, bis sie einsortiert und registriert sind, und das könne Jahre dauern. Teilen Sie diese Befürchtungen?

    Gauck: Jedenfalls wird sich der eingefahrene Prozess nicht günstiger gestalten. Jetzt haben wir ein funktionierendes Spezialgesetz. Daran haben alle Fraktionen mitgewirkt. Und ich prognostiziere, dass es diese Übereinstimmung der Fraktionen in Fragen der Aufarbeitung der Vergangenheit auch künftig geben wird. Deshalb wird erstmal in der Koalition die Debatte zu führen sein, ob dieser Teil der Empfehlung umgesetzt wird, dann wie und wann er umgesetzt wird. Selbst in der Unionsfraktion gibt es noch erheblichen Debattenbedarf. Und vor einer kurzfristigen Schließung der Behörde brauchen wir uns nun wirklich nicht zu fürchten, aber es ist richtig, dass wir bei Zeiten sagen, warum soll etwas verändert werden, was sich bewährt hat.

    Heckmann: Herr Gauck, die Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigt derzeit 54 ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des MfS, des Ministeriums für Staatssicherheit, des ehemaligen. Die meisten sind im Wachdienst beschäftigt. Einige haben aber auch Zugriff auf Akten. Das hat den Vorwurf provoziert nach dem Motto "Darf die Stasi die Stasi erforschen?" und dergleichen mehr. Kulturstaatsminister Neumann hat jetzt angekündigt, dass alle betroffenen Personen einzeln überprüft werden sollen auf ihre frühere Tätigkeit in der DDR. Weshalb ist das bisher unterblieben?

    Gauck: Nein, das ist ja gar nicht unterblieben. Das ist ja bereits erfolgt, und natürlich ist auch bei der Einstellung Sorgfalt am Werk gewesen. Zunächst mal hat nur ein Teil der Medien dankenswerterweise dies zu einem Skandal erhoben, was keiner ist. Die Wächter waren auch in der Stasi-Zeit zu DDR-Zeiten nur Wächter und Personenschützer. Das ist klar, dass diese Leute damals, vom BMI kommend, bei uns ihren Platz hatten. Die galten einfach nicht als MfS-Leute. Sie sind übrigens in allen möglichen Bundes- und Landesbehörden beschäftigt. Die sind also anders gestellt worden als die anderen, die gegen das Volk gearbeitet haben.

    Heckmann: Das heißt, die Überprüfung, die jetzt angeordnet wird, die ist eigentlich nicht notwendig?

    Gauck: Das kann man immer noch mal wieder machen, wenn in Teilen der Öffentlichkeit Unruhe besteht. Aber tatsächlich haben die anderen Leute, die uns geholfen haben, Zusammenhänge zu erkennen, die wir als Outsider ja gar nicht kennen konnten, und das sind Menschen gewesen, eine kleine Minderheit von Leuten, die unseren Bürgern, den Bürgerrechtlern und Bürgerkomitees, die 89/90 eingezogen waren bei der Stasi-Besetzung, geholfen hatten. Die Masse derjenigen, die noch tätig waren in dem damaligen Auflösungskomitee der Stasi, haben wir ja überhaupt nicht übernommen, weil sie gar nicht loyal zu unseren Zielen waren. Einige wenige haben uns geholfen. Und ohne diese Hilfe hätte ich meine Arbeit damals wesentlich schlechter machen können und wäre wesentlich später zu Erkenntnissen gekommen.

    Heckmann: Ein Gutachten kam dennoch zu dem Schluss, dass dadurch Missbrauchs- und Manipulationsmöglichkeiten geöffnet wurden.

    Gauck: Ja. Das arbeitet mit Vermutungen und Unterstellungen, kommt aber zu der wichtigeren Erkenntnis, dass das nicht passiert sei und dass die Leute also gut gearbeitet haben. Normalerweise entsteht ein Skandal, wenn etwas passiert ist, wenn ein Dienstpflichtvergehen oder ein richtiges Vergehen oder gar ein Verbrechen da ist, aber alle diese Dinge sind nicht vorhanden oder nur in dem Bereich, der geringer ist als bei anderen Behörden. Es ist ja auch kontrolliert worden, und es ist doch vernünftig begleitet worden. Diese Leute sind nicht in Leitungspositionen, sondern sie haben einige Hilfen gegeben, die einfach notwendig waren. Später waren sie weiter zu beschäftigen, weil wir in einem Rechtsstaat leben und nicht nach Belieben Arbeitsverhältnisse aufkündigen können.

    Heckmann: Zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde und den Plänen von Kulturstaatsminister Neumann war das der frühere Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, Joachim Gauck. Herr Gauck, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Gauck: Ja. Auf Wiederhören.