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Gauck in Peru
Empfang mit Klagelied

70.000 Menschen starben – oder verschwanden spurlos. In Ayacucho trauern die Menschen auch heute noch um ihre Verwandten, die im peruanischen Bürgerkrieg entführt, gefoltert und getötet wurden. Bei seinem Besuch rief Bundespräsident Gauck die Bewohner dazu auf, weiter nach der Wahrheit zu suchen.

Von Peter Kapern | 23.03.2015
    Bundespräsident Joachim Gauck legt am 22.03.2015 im Gedenkmuseum des Nationalen Verbands der Familien Entführter, Gefangener und Verschwundener in Ayacucho in Peru Blumen nieder. Das deutsche Staatsoberhaupt hält sich zu einem mehrtägigen Besuch in Südamerika auf. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
    Bundespräsident Joachim Gauck legt im Gedenkmuseum des Nationalen Verbands der Familien Entführter, Gefangener und Verschwundener in Ayacucho, Peru, Blumen nieder. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Ein fröhlicher Empfang klingt anders. Und er sieht auch anders aus. Die fünf jungen Frauen tragen Fotos junger Männer vor sich her. Verblasste Portraits in Schwarz-Weiß. "Wir werden eure Gesichter nie vergessen", singen sie und schreiten dabei mit ausgreifenden Schritten wie in Zeitlupe in einer Reihe hintereinander her.
    Es sind die Fotos von Verwandten, eines Onkels vielleicht oder das des Vaters. Es sind die Fotos von Desaparecidos, von Menschen, die spurlos verschwunden sind. In den Zeiten des peruanischen Bürgerkriegs. Deshalb das Klagelied, mit dem Joachim Gauck empfangen wird.
    Der Bundespräsident ist nach Ayacucho gekommen, ein Ort, hoch oben in den Anden. Dorthin, wo das Leben karg ist und die Menschen arm sind. Und wo ein Philosophieprofessor namens Abimael Guzman eine Terrororganisation gegründet hat. "Sendero Luminoso", so hieß sie, "Leuchtender Pfad". Guzmans Vorbild war Pol Pot, der kambodschanische Schlächter.
    Die Zivilbevölkerung zwischen den Fronten
    Wie sein Spiritus Rektor schickte Guzman seine Kämpfer los, um mit unvorstellbarer Brutalität zu wüten. Ganze Dörfer wurden niedergemacht – mit Macheten. Das peruanische Militär und die mit ihnen verbündeten Paramilitärs schenkten den roten Garden nichts. Terror und Gegenterror. Und zwischen den Fronten die Zivilbevölkerung, in dieser Region ganz überwiegend die Quechuas, die Ureinwohner. 70.000 Menschen starben – oder verschwanden spurlos.
    "Das ist mein Sohn Escarsa Mendosa", sagt Angelica Mendoza de Ascarza und zeigt auf das postkartengroße Foto eines jungen Mannes, das an einem Bindfaden um ihren Hals baumelt. Sie ist eine Berühmtheit in Ayacucho – und weit darüber hinaus. Sogar für den Friedensnobelpreis ist sie schon einmal vorgeschlagen worden. Kaum vorstellbar, wenn man sie anschaut.

    Mama Angelica, wie sie von allen genannt wird, ist eine kleine alte Frau. Tiefe Furchen haben sich in ihr braunes Gesicht gegraben. In ihrer Tracht sitzt sie da, mit dem Glockenrock, dem Poncho und dem runden Hut auf dem Kopf. Und sie wartet auf den Bundespräsidenten.
    Bundespräsident Joachim Gauck beim Nationalen Verband der Familien Entführter, Gefangener und Verschwundener (Anfasep) in Ayacucho, Peru. Gegründet 1983 von Angelica Mendoza de Ascarza
    Bundespräsident Joachim Gauck besucht den Opferverband Anfasep in Ayacucho, Peru. (Deutschlandradio / Peter Kapern )
    1983 kamen Militärs in ihr Haus und haben ihren Sohn mitgenommen. Sie hat nie wieder etwas von ihm gehört, weiß nicht wo er abgeblieben ist, trotz der Suche. Er ist verschwunden. Und weil es vielen Müttern in Peru so erging, hat Mama Angelica 1983 Anfasep gegründet. Die Organisation; die nach Entführten, Verhafteten und Verschwundenen sucht. Mit ihren quälenden Fragen beißt sie bei der peruanischen Regierung meistens auf Granit. Denn die will die vermeintlich weiße Weste des Militärs verteidigen.
    Wer die Versöhnung will, muss als erstes nach der Wahrheit suchen
    Dieser Konflikt spaltet das Land – auch 15 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs noch. Dann taucht Joachim Gauck auf. Er steigt die enge Stiege hinauf, in die zweite Etage des Hauses, wo Anfasep ein kleines Museum eingerichtet hat. Fotos von exhumierten Leichen, Kleidungsstücke von Verschwundenen und sogar eine Folterkammer des Militärs haben sie hier nachgebaut. Dann steigt er die Treppe wieder herunter. Unten warten zwei Dutzend Frauen auf ihn. Auch Mama Angelica.
    "Es gibt einfach keine Gerechtigkeit", sagt sie. "Sie wollten doch nur wissen, warum es so viele Verschwundene gab? Und sie fragen sich, warum sie keine Antwort bekommen." Gauck hört den Frauen zu, und sagt ihnen dann dasselbe, was er schon dem peruanischen Staatspräsidenten gesagt hat: Wer die Versöhnung will, muss als erstes nach der Wahrheit suchen:
    "Die Deutschen haben in unserer Geschichte gelernt, dass es nicht gut ist, wenn man das schlimme Geschehen verdrängt oder leugnet, sondern, dass es gut ist, wenn man die nackten und brutalen Tatsachen von Verbrechen benennt, egal von wem sie begangen sind. Und dass man dadurch fähig wird, Schuld zu akzeptieren, zu bereuen und schließlich zur Versöhnung zu kommen."
    Eine Stunde bleibt der Bundespräsident bei den Frauen von Ayacucho. Dann bricht er auf, um eine Schule zu besuchen, die mit Entwicklungshilfe aus Deutschland gefördert wird. Dort wird er fröhliche Kinder treffen, die ihm einen fröhlichen Empfang bereiten.