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"Gauck wird unserem Land einiges zu sagen haben"

Auch der konservative Teil der CDU könne gut mit Joachim Gauck leben, sagt Steffen Flath. Der FDP warf der CDU-Politiker im Vorfeld der Kandidatenkür "Kraftmeierei" vor und warnte sie, "sich nicht auf Kosten des größeren Partners zu profilieren".

Jürgen Liminski im Gespräch mit Steffen Flath | 20.02.2012
    Jürgen Liminski: Für viele ist es keine Frage, dass der intellektuelle und rhetorisch begabte Joachim Gauck auch das höchste Staatsamt mit Bravour ausfüllen wird. Er steht für die der Wahrheit verpflichtete Aufarbeitung des Unrechts in der DDR, auf ihn geht das Verb "gaucken" zurück. Freiheit ist für den aus Rostock stammenden Sohn eines Kapitäns existenzielles selbst ersehntes Anliegen. Über ihn und die Wirkung, die er auf der Berliner Bühne entfalten kann, wollen wir nun sprechen mit Steffen Flath. Er ist Fraktionschef der CDU in Sachsen, war bereits viermal Mitglied der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt. Guten Morgen, Herr Flath!

    Steffen Flath: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Flath, diesmal dürfte es nicht ganz so spannend werden wie vor anderthalb Jahren, der gemeinsame Kandidat steht fest, er ist, wie man so schön sagt, der Kandidat der Herzen. Hat er auch in Ihrem Herzen ein Kämmerchen?

    Flath: Aber natürlich, Herr Liminski. Das ist eine gute Entscheidung. Natürlich hätte ich auch mit Klaus Töpfer leben können oder mit Wolfgang Huber, aber das Allerwichtigste ist, dass sich die Parteien tatsächlich verständigt haben auf einen gemeinsamen Kandidaten, und das ist Joachim Gauck. Und Joachim Gauck als Bürgerrechtler wird unserem Land einiges zu sagen haben.

    Liminski: Die Kanzlerin kommt aus Ostdeutschland, der Bundespräsident demnächst auch, ist das nicht ein bisschen viel Osten an der Spitze Deutschlands?

    Flath: Nun, man kann das ja auch mal anders sehen. Das zeigt eigentlich, wie weit wir gekommen sind mit der deutschen Einheit. Ich glaube, Angela Merkel wird ja nicht mehr nur als Ostdeutsche wahrgenommen, sondern als Gesamtdeutsche, und so ähnlich wird es auch mit Joachim Gauck werden.

    Liminski: Der Kandidat durfte möglichst wenig Potenzial besitzen, der Bundeskanzlerin politisch in die Parade zu fahren, zumindest musste klar sein, dass eventuelle Störmanöver Rot-Grün ebenso treffen könnten wie die Union – so kommentiert eine Zeitung die Kandidatensuche. Wie berechenbar ist für Sie Joachim Gauck?

    Flath: Joachim Gauck ist so berechenbar wie eben ein Bürgerrechtler berechenbar ist. Er hasst die Diktatur, er liebt die Freiheit und die Demokratie, und er wird aber in dem, was er uns so jeden Tag zu sagen hat, nicht immer berechenbar sein. Insofern ist es ja eine sehr interessante Lösung und passt, glaube ich, auch gut in die Zeit.

    Liminski: Wird er denn den Graben zwischen Volk und politischer Klasse, zwischen alltäglichem Leben der Bürger und dem etwas abgehobenen Leben der Politiker einebnen können?

    Flath: Das meine ich damit, wenn ich sage, er passt gut in die Zeit. Es ist ja ein Graben entstanden, vielleicht stellt er sich auch nur so dar, und Joachim Gauck kommt nicht aus dem aktuellen Politikbetrieb. Er hat Unfreiheit erlebt, er hat Diktatur erlebt, und er wird uns vielleicht den Wert der Freiheit und was wir an unserer Demokratie, auch wenn sie manchen Tag etwas mühsam ist ... aber ich glaube, dazu hat Joachim Gauck gute Voraussetzungen, diese Liebe zur Freiheit und die Liebe zur Demokratie den Menschen wieder begreifbarer zu machen.

    Liminski: Haben Sie das in Mitleidenschaft gezogen gesehen in den letzten Jahren, Monaten?

    Flath: Also zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, die auch verbunden natürlich war mit einer Berichterstattung, da habe ich schon manchmal Deutschland verlassen müssen, um wieder zu begreifen, wie gut es uns eigentlich in unserem Land geht, weil der Streit täglich hatte doch die Oberhand gewonnen. Und deshalb wird Joachim Gauck, denke ich, uns einiges zurückgeben können, um zu begreifen, wie gut es uns geht in Deutschland, aber auch, was wir in Wirklichkeit mit der deutschen Einheit in reichlich 20 Jahren erreicht haben.

    Liminski: Gott und die Mehrheit werden es fügen – mit diesen Worten hat der ehemalige Pastor und Bürgerrechtler gestern in Wien die Frage nach einer erneuten Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten kommentiert. Nun hat er Gott und die Mehrheit hinter sich, jedenfalls für die Wahl, und wir haben eine Pastorentochter und bald einen ehemaligen Pastor an der Spitze des Staates. Ist das zu viel für einen weltanschaulich neutralen Staat?

    Flath: Zunächst mal kann ich als Katholik ganz gut mit der Entscheidung leben, weil wir ja stolz sind, dass die Deutschen den Papst stellen. Und gerade im Lutherjubiläum kann ich es wirklich den Protestanten sehr gut gönnen, dass sie mit einer Personalie dann an die Spitze des Staates rücken. Ich glaube auch, dass die Leute in Deutschland, die der Kirche etwas ferner stehen, mit einer solchen Entscheidung leben können, weil die Werte auf der christlichen, auf der jüdischen Basis, wenn man dann eine Diskussion führt, es nicht wirklich einen Widerspruch zum Humanismus gibt. Und so sehe ich durchaus mit einer solchen Entscheidung, dass 80 bis 90 Prozent in Deutschland gut damit leben können.

    Liminski: Sie selbst gehören zu den CDU-Politikern, die mehr wertkonservatives Profil der Partei einfordern. Wird es jetzt besser als unter Wulff, der ja für die Vielfaltenbuntheit der Republik geworben hat?

    Flath: Ich denke, dass auch der konservative Teil der CDU gut mit der Entscheidung Joachim Gauck leben kann, weil eine Diskussion – und darauf hat ja Angela Merkel gestern in ihrer Begründung hingewiesen – eine Diskussion darüber, Wert der Freiheit, aber dass eben auch Freiheit nur funktionieren kann, wenn sie gepaart mit Verantwortung ist, und dass man durchdekliniert, Finanzkrise, alle Probleme, die wir gegenwärtig haben, da ist es ein sehr, sehr interessanter Ansatz, weil eine theologische Grundausbildung, glaube ich, hier eine ganze Menge an Antworten bereithält.

    Liminski: Ihre Partei hat sich heftig gewehrt, Herr Flath, die schwarz-gelbe Koalition sei tief zerstritten, die Koalition ernsthaft in Gefahr, so hieß es gestern Nachmittag noch in mehreren Agenturberichten. Die FDP blieb standhaft und damit auch Mehrheitsbeschafferin für den Kandidaten der Opposition. Weiterer Widerstand hätte in der Tat einen Koalitionskrach mit unabsehbaren Folgen heraufbeschworen. Sehen Sie im Verhalten der FDP ein Signal für einen möglichen Allianzenwechsel?

    Flath: Nun, das muss die FDP mit sich selbst ausmachen. Ich würde zunächst mal sagen als CDU-Politiker, das Ergebnis stimmt, wer hätte es gedacht, dass es möglich ist, an einem Wochenende einen überparteilichen Kandidaten zu finden. Insofern hat sich Angela Merkel tatsächlich durchgesetzt nach der Ankündigung vom letzten Freitag. Ich hätte mir freilich gewünscht, dass manche Kraftmeierei der Bundes-FDP am Wochenende uns erspart geblieben wäre oder zumindest – aber das scheint heute ja nicht mehr so möglich zu sein –, dass es hinter verschlossenen Türen stattgefunden hätte und nicht so auf der Bühne der Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Das fand ich nicht so gut, aber das muss die FDP mit sich ausmachen. Ich denke mal, jetzt, Montag, kann man feststellen, das Ergebnis stimmt, und das Wochenende hat gezeigt, dass es bei aller Zerstrittenheit in den politischen Lagern möglich ist, sich gemeinsam auf einen guten Kandidaten zu einigen.

    Liminski: Das heißt, Sie sehen keine nachhaltige Verstimmung innerhalb der Koalition?

    Flath: Also in Sachsen ohnehin nicht, wir regieren hier auch mit der FDP, es hatte ja schon vor knapp zwei Jahren die FDP Joachim Gauck unterstützt und favorisiert, aber auf Bundesebene glaube ich, dass die FDP gut beraten ist, in einer Regierungsverantwortung die Dinge nicht öffentlich auszutragen, sich nicht auf Kosten des größeren Partners zu profilieren, und das ist ja offensichtlich am Wochenende passiert.

    Liminski: Rechnen Sie jetzt damit, dass in Berlin sachgerechter auch regiert wird, auch vielleicht mit mehr Rücksicht auf die FDP?

    Flath: Ich rechne damit, dass wir jetzt ein schwieriges Thema abgeräumt haben. Natürlich müssen die Wahlen noch stattfinden, aber die Mehrheitsverhältnisse werden eine sichere Wahl ermöglichen. Und dann werden ja am heutigen Tag bereits wieder die anderen Probleme auf europäischer Ebene eine Rolle spielen, und deshalb ist es, glaube ich, gut, dass am Wochenende dieses schwierige Thema gemeistert wurde.

    Liminski: Joachim Gauck wird der Präsident eines wertebewussteren Gesamtdeutschlands. Das war Steffen Flath, Fraktionschef der CDU in Sachsen. Besten Dank fürs Gespräch, Herr Flath!

    Flath: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.