Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


"Lasst uns jetzt einen Neuanfang machen"

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat erklärt, ohne Festlegungen in die von Kanzlerin Angela Merkel versprochenen Gespräche über einen Nachfolger von Christian Wulff zu gehen. Den ehemaligen SPD-Favoriten für das Amt des Bundespräsidenten, Joachim Gauck, hält Gabriel auch jetzt noch für einen guten Kandidaten.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 18.02.2012
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns noch einmal mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten beschäftigen und vor allen Dingen fragen, wie kann es denn weitergehen? Die Bundeskanzlerin hat angekündigt, dass sie Gespräche auch über die Parteigrenzen hinweg führen wird – da wollen wir mal nachfragen, wie weit es denn da ist. Und am Telefon begrüße ich Sigmar Gabriel, den Parteivorsitzenden der SPD. Guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Gabriel, hat Angela Merkel schon angerufen, oder vielleicht schickt sie ja doch noch hin und wieder mal eine SMS?

    Gabriel: Nein, es gibt die Ankündigung, dass über die Nachfolge von Christian Wulff gesprochen werden soll, aber zuerst reden CDU/CSU und FDP offenbar miteinander. Wir sind gespannt, ob und wann es zu Gesprächen mit der SPD, den Grünen und der Linkspartei kommt.

    Zurheide: Die Kanzlerin hat gesagt, das steht im Raum, dass sie eben mit Ihnen reden wird, da schwingt mit ein überparteilicher Kandidat, eine überparteiliche Kandidatin ist vorstellbar. Vertrauen Sie oder hoffen Sie darauf?

    Gabriel: Ich glaube, dass das dringend nötig ist. Wir haben ja schon damals nach dem Rücktritt von Horst Köhler gesagt, lasst uns das Vertrauen in dieses Amt dadurch stabilisieren, dass wir jetzt nicht Parteitaktik machen, sondern uns auf jemanden verständigen, der das ganze Land und die Verfassung gut repräsentieren kann. Das hat Frau Merkel damals abgelehnt. Jetzt ist es umso dringender nötig, denn das Ansehen des Amtes ist schwer beschädigt, und ich glaube, das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist irgendwie Parteitaktik.

    Zurheide: Herr Altmaier hat gemeint, Sie seien damals mit Gauck zu schnell vorgeprescht, das hat er zumindest vor einer guten Stunde hier im Sender gesagt. War das ein Fehler, damals Gauck vorzeitig zu nennen?

    Gabriel: Herr Altmaier hat offensichtlich ein bisschen Gedächtnisschwierigkeiten. Wir haben natürlich Herrn Gauck erst benannt, als Frau Merkel bereits mit ihrem damaligen Kandidaten Christian Wulff sich festgelegt hatte. Natürlich sind wir nicht mit Herrn Gauck vorgeprescht, sondern wir sind dann erst in die öffentliche Kandidatur gegangen, als jedes Gespräch über einen Kandidaten verweigert wurde. Wir hatten ja Frau Merkel damals angeboten, genau wie wir das heute tun, erst einmal miteinander zu beraten, um einen gemeinsamen Kandidaten zu suchen, das hat sie damals abgelehnt. Dann hat sie Christian Wulff als parteipolitische Lösung festgelegt, und danach hatten wir Herrn Gauck vorgeschlagen. Und ich glaube, es hat ja sich gezeigt, dass Gauck mit Sicherheit die bessere Wahl gewesen wäre.

    Zurheide: Inwieweit sind Sie jetzt eigentlich, Herr Gabriel, in einer Art Zwickmühle? Auf der einen Seite können Sie ja sicherlich darauf hinweisen, dass der Kandidat – das haben Sie gerade getan – von Frau Merkel, Herr Wulff, gescheitert ist, auf der anderen Seite brauchen Sie Frau Merkel, wenn Sie jetzt irgendwas durchsetzen wollen. Gehen Sie nur auf Attacke oder auf Kooperation?

    Gabriel: Nein, wir haben ja sehr früh gesagt, lasst uns jetzt einen Neuanfang machen. Diese Affäre, das war ja, glaube ich, für alle Beteiligten kaum noch ertragbar, jeden Tag diese Geschichten da zu lesen und zu hören. Und dass am Ende die Staatsanwaltschaft vor dem Schloss Bellevue steht, das, glaube ich, hat kaum jemand für denkbar gehalten. Und von daher haben wir relativ früh gesagt, lasst uns gemeinsam einen Neuanfang machen. Natürlich hat die SPD und haben SPD und Grüne in der Bundesversammlung keine eigene Mehrheit, die rechnerische Mehrheit dort haben CDU/CSU und FDP. Entweder Frau Merkel ist bereit, mit ihrer Koalition einen Kandidaten zu finden, der über die Grenzen ihres eigenen Parteispektrums hinaus wirkt, oder sie ist es nicht. Wir können das nicht erzwingen.

    Zurheide: Jetzt haben Sie beziehungsweise Herr Steinmeier gestern gesagt, wenn man denn redet, kann es aber niemand aus dem Kabinett sein. Stellen Sie da nicht Bedingungen, die man eigentlich jetzt noch nicht stellen sollte?

    Gabriel: Wenn man erklärt und der Überzeugung ist, dass für die Rückkehr des Respekts zu diesem Amt für möglichst großes Vertrauen eine Kandidatur über eine einzelne Partei oder eine Koalition hinaus sinnvoll ist, dann ist es nur schwer vorstellbar, dass diese Voraussetzung jemand mitbringt, der aktiv im Kabinett für die CDU oder die FDP oder die CSU aktiver Politiker ist. Ich glaube, dass sich diese beiden Dinge ausschließen, und deswegen plädieren wir sehr dafür, sich darauf zu verständigen, jemanden zu nehmen, der nicht aus der unmittelbaren politischen Konfrontation der Parteien im Bundestag herauskommt, sondern jemand ist, der wie gesagt das Land, aber auch die Politik ein bisschen zusammenführen kann.

    Zurheide: Der Name Gauck steht dann natürlich wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Halten Sie ihn nach wie vor für einen geeigneten Kandidaten oder sagen Sie heute Morgen, da müssen wir erst mal reden?

    Gabriel: Na, ich meine, natürlich halten wir Joachim Gauck gerade nach dieser schrecklichen Affäre mit Herrn Wulff für den besseren Bundespräsidenten, er ist nach wie vor unser Favorit. Aber wenn wir von Frau Merkel erwarten, dass sie ohne Festlegung auf eine Person in ein Gespräch kommt, von der sie dann nicht mehr runterkommt, dann gilt das auch für uns. Trotzdem, wir glauben, dass auch für CDU/CSU und FDP Herr Gauck, der ja parteilos ist und der in früheren Jahren auch viel mit der Union gemeinsam gemacht hat, dass der jemand wäre, der diese Anforderungen erfüllt. Er ist jemand, der großen Respekt und Vertrauen in der Bevölkerung genießt, das ist vielleicht – soll man ja nicht ganz aus dem Auge verlieren – ein wichtiges Kriterium. Und deswegen, es wäre ja seltsam, wenn wir denjenigen, den wir vor anderthalb Jahren gegen Herrn Wulff aufgestellt haben, wenn wir den heute nicht mehr als Favoriten bezeichnen würden, das wäre irgendwie auch komisch.

    Zurheide: Dann spielt der Name Klaus Töpfer eine Rolle, der ja dann, wenn er denn käme, für ein schwarz-grünes Signal stehen könnte, und die Kanzlerin als Taktikerin, es ist ihr so was zuzutrauen. Wie bewerten Sie den Namen, wäre das ein schwarz-grünes Signal?

    Gabriel: Wir können jetzt natürlich alle Namen durchhecheln und damit sozusagen auch schon gleich wieder Leute verbrennen in der Öffentlichkeit. Bei Klaus Töpfer allerdings ist es kein Geheimnis, dass damals, als es um die Frage ging, kriegen wir gemeinsam mit Frau Merkel einen Kandidaten hin, die SPD ebenso für Herrn Gauck wie für Herrn Töpfer plädiert hat und gesagt hat, wenn Frau Merkel einen von den beiden aufstellt, werden wir keinen anderen aufstellen. Deswegen ist es kein Geheimnis, dass Herr Töpfer bei uns hohe Sympathie genießt. Ich glaube, dass dieses Denken in politischen Signalen, wer repräsentiert da was, das ist schon die falsche Richtung, sondern es geht um die Frage, wer kann dieses Amt angemessen ausüben und Vertrauen in diese wichtige demokratische Institution zurückgewinnen, und nicht die Frage, wer vermittelt welches partei- oder koalitionspolitische Signal. Wer so denkt, denkt schon in die falsche Richtung.

    Zurheide: Auf der anderen Seite, die Bundespräsidentenwahl ist natürlich immer auch eine Symbolwahl gewesen, bezogen auf mögliche politische Konstellationen. Da sagen Sie mit Überzeugung, wir sind da jetzt in einer anderen Lage?

    Gabriel: Ja, natürlich. Ich meine, wir haben eine Situation, die wir noch nie hatten. Innerhalb von sechs Jahren der Kanzlerschaft von Frau Merkel müssen wir das dritte Mal einen Bundespräsidenten wählen, das hat es noch nicht gegeben. Auch einen solchen Rücktrittsvorgang hat es noch nie gegeben. Ich meine, das ist ja schon etwas, was Menschen auch erschüttert und jedenfalls das ohnehin nicht besonders starke Vertrauen zur Politik noch weiter erschüttert. Und ich glaube, dass wir deshalb eine Sondersituation haben, in der man versuchen muss, einen echten Neuanfang hinzubekommen. Die Werte, die bürgerliche Parteien wie die CDU oder die Liberalen sonst vor sich hertragen – wie Anstand, Respekt, Glaubwürdigkeit –, die sind ja durch Personalentscheidungen wie diese zu Herrn Wulff richtig ruiniert worden. Und deswegen glaube ich, muss es im Interesse sein auch der Koalition, jetzt gemeinschaftlich mit möglichst vielen in der Bundesversammlung einen gemeinsamen Kandidaten zu bekommen.

    Zurheide: Gilt dann auch im Übrigen, dass ja diese Bundesversammlung zusammentreten wird, kurz bevor Entscheidungen noch in bestimmten Bundesländern passieren? Erhöht das aus Ihrer Sicht den Druck zu dieser überparteilichen Lösung?

    Gabriel: Ach, na ja, die Frage, wie die Mehrheitsverhältnisse sind, sind ohnehin manchmal schwer zu berechnen. Diese beiden Wahlen, glaube ich, haben keinen besonderen Einfluss darauf, jedenfalls hoffe ich das. Aber selbst wenn sie es hätten, wir sind durch die Verfassung festgelegt, in welchem Zeitraum wir einen neuen Bundespräsidenten wählen müssen, und es tut dem Land natürlich auch nicht gut, wenn wir jetzt eine elende lange Debatte darüber führen. Aber wie gesagt, das sind Angebote, die wir an die Frau Merkel schon damals gemacht haben, sie sind damals abgelehnt worden, wir können nur hoffen, dass sozusagen die Koalition und Frau Merkel aus Schaden klug geworden sind.

    Zurheide: Aber Frau Merkel hat noch Ihre aktuelle Handynummer?

    Gabriel: Davon gehe ich aus, ja.

    Zurheide: Das war Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende der SPD, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke schön, Herr Gabriel!

    Gabriel: Bitte!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Diskutieren Sie mit zum Thema auf der Facebook-Seite des Deutschlandfunks!