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Gaucks Schweizbesuch
Reise zum schwierigen Nachbarn

Ausgewachsene diplomatische Probleme mit einem Nachbarn hat Deutschland schon lange nicht mehr. Aber kein Zweifel: Unter den Nachbarstaaten ist die Schweiz schon seit geraumer Zeit der wohl schwierigste Partner. Jetzt muss Bundespräsident Gauck bei seinem Besuch die richtigen Worte finden.

Von Hans-Jürgen Maurus |
    Bundespräsident Joachim Gauck reist in ein gespaltenes Land, wie das Abstimmungsergebnis bei der Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar klar gezeigt hat: Es war ein hauchdünnes Ja zur Abschottung. Die Wogen der Empörung schlugen hoch, die EU konterte mit ersten Gegenmaßnahmen und ja, auch der Bundespräsident war alles andere als begeistert, wie er in einem Vorabinterview im Schweizer Fernsehen offen zugab:
    "Natürlich war ich traurig. Meine Freunde in der Schweiz gehörten nicht zu den Befürwortern und man lässt sich ja leicht von den Menschen, die einem ans Herz gewachsen sind, dann auch in seiner eigenen Meinung beeinflussen. Aber als politisch einigermaßen wacher Europäer hat es mir auch nicht gefallen."
    Das deutsche Staatsoberhaupt macht einen wichtigen Punkt. Direkte Demokratie liefert nicht immer die Ergebnisse, welche die politische Elite will oder propagiert. In der Schweiz sorgte schon das klare Ergebnis der Minarettverbotsinitiative 2009 für einen Eklat, ebenso die ein Jahr später angenommene Ausschaffungsinitiative krimineller Ausländer und jetzt auch noch eine knappe Mehrheit für die SVP Abschottungsinitiative. Durchgeknallt, ausländerfeindlich, ja Spinner seien die Eidgenossen, schallte es allenthalben. Dabei weiß derzeit kein Mensch, wie die Steuerung der Zuwanderung eigentlich aussehen könnte oder gar wird. Denn jetzt muss der Bundesrat Vorschläge erarbeiten und das wird zugegeben schwer, weil SVP-Chefideologe Christoph Blocher schon mal vorgeprescht ist, sein Vorschlag:
    "Die beste Variante, die zum Ziel führt, ist das, was die Schweiz von 1970 bis 2002 hatte: Kontingentierungssystem ist drin, die Höchstgrenzen sind drin, Inländervorrang sind drin. Wir steuern es selbst."
    Doch langsam. Kontingente sind ein Reizwort, vor allem für die EU, denn Kontingente stellen die mit Brüssel ausgehandelte Personenfreizügigkeit mit der EU infrage. Das könnte zur Aufkündigung aller bilateralen Verträge mit Brüssel führen, zum Nachteil der Schweizer Volkswirtschaft, der Unternehmen, der Universitäten und der Forschung. Und trotz der Blocher-Vorgabe ist gar nicht klar, was die SVP wirklich will, weil in einem Positionspapier der Partei keinerlei konkrete Zahlen als Obergrenzen für künftige Zuwanderungsquoten genannt werden und ob die Personenfreizügigkeit tatsächlich erledigt ist oder nicht.
    Interessant aber, dass die SVP zum Beispiel bei den Grenzgängern den Kantonen einen möglichst großen Spielraum zugestehen will. Das dürfte auch Bundespräsident Gauck interessieren, der schließlich auch der Präsident der Grenzgänger und der in der Schweiz lebenden Auslandsdeutschen ist. Gauck wird in der Schweiz auch an einer Debatte über die direkte Demokratie teilnehmen und das ist gut so. Denn die Schweiz ist bei der Partizipation ihrer Bürger ein Vorbild, für Europa und die Welt, auch wenn das System eher eine semi-direkte Demokratie ist, meint der Berner Politikprofessor Adrian Vatter:
    "Das Besondere an der Schweizer Demokratie mit der ausgeprägten halbdirekten Demokratie – also wir müssen auch betonen halbdirekt – weil wir ja auch noch ein repräsentativ-demokratisches System haben in der Schweiz, ist die Tatsache, dass das Prinzip der Volkssouveränität in der Schweiz wohl weitaus stärker gewichtet wird als das Rechtsstaatsprinzip, wie wir das in den meisten anderen Demokratien, insbesondere auch in Deutschland sehen."
    Die Partizipation des Bürgers wird hier gelebt, auf kommunaler, kantonaler und Bundesebene. Direkte Demokratie findet vor allem bei den wirklich wichtigen Themen statt, den Steuern. Die Bürger entscheiden selber wie viele Abgaben sie bezahlen wollen, ob die Vignette plötzlich zweieinhalb soviel kosten soll wie bisher und ob man Steuern nicht nur erhöht, sondern auch senkt. Aber nicht alle Themen können vom Volk entschieden werden, betont Politologe Vatter, es gibt Ausnahmen:
    "Das zwingende Völkerrecht ist ausgeschlossen. Also beispielsweise dürfen wir nicht eine Initiative zur Einführung einer Diktatur in der Schweiz organisieren - oder dass gefoltert werden darf, das ist auch nicht erlaubt."
    Bundespräsident Gauck dürfte das Schweizer Modell in der Tat faszinieren. Schließlich hat er schon 2010 eine Direktwahl des Bundespräsidenten vorgeschlagen.