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Gebackene Segel und schwenkbare Kiele

Prinz Andrew gibt den Startschuss. Es ist der 23. September 2001, im Hafen von Southampton. Acht Boote stechen in See. Hochgezüchtete Rennyachten, an Bord die besten Segelprofis der Welt.

Von Frank Grotelüschen | 22.08.2004
    Eine der Yachten kommt aus Deutschland. Die Illbruck, gesponsert vom gleichnamigen Familienunternehmen aus Leverkusen, einer Kunststofffabrik. Seit Jahrzehnten ein segelbegeisterter Clan, allen voran Willi Illbruck und sein Sohn Michael.

    Wenn ich 80 bin und kuck dann zurück, dann ist das glaube ich einer der größten Momente, die man erlebt hat. Bestimmt.

    31600 Seemeilen liegen vor den Booten, mehr als 58000 Kilometer. Die härteste Regatta der Welt hat begonnen - das Volvo Ocean Race. Yachten, die die Welt umsegeln wie beim Volvo-Ocean-Race. Boote, die kurze, spannende Ausscheidungen fahren wie beim America's Cup. Segler, die zu Dutzenden in Seenot geraten wie beim berüchtigten Fastnet-Race. Sie alle liefern spektakuläre Bilder. Segelregatten sind Medienereignisse.

    Im Rampenlicht stehen die Sportler. Und die Mäzene wie die Familie Illbruck, deren Finanzkraft einen Marathon über die Weltmeere überhaupt erst möglich macht. Ebenso wichtig aber sind jene, die hinter den Kulissen werkeln: Ingenieure und Wissenschaftler, Handwerker und Tüftler, Werften und Konstruktionsbüros. Denn eine moderne Regattayacht steckt voller Hightech. Und ohne Hightech ist heute nichts mehr zu gewinnen.

    Unser Büro hat sich da hervorgetan, weil wir die ersten waren, die Hightech-Kunststoffboote gebaut haben. Vor 20 Jahren ungefähr haben wir damit angefangen.

    Torsten Conradi, Geschäftsführer von Judel/Vrolijk, mit das renommierteste Konstruktionsbüro der Welt mit Sitz in Bremerhaven. Früher standen hier Zeichenbretter. Heute sitzen die Mitarbeiter im Großraumbüro allesamt vor dem Computer.

    Regattasegeln ist so alt wie der Segelsport - hunderte von Jahren, kann man sagen. Das begann damit, dass irgendwann, als die Meere etwas friedfertiger wurden und nicht nur Kriegsschiffe und Handelsschiffe die See befuhren, man anfing, auch zum Spaß sich auf das Wasser zu begeben. Und dann war es nahe liegend, dass man anfing, um die Wette auf dem Wasser umherzufahren.

    Manchem gilt das Jahr 1661 als Geburtsstunde des Regattasports: Damals segelt der englische König Karl II gegen seinen Bruder, den Herzog von York: von Greenwich nach Gravesend, Preisgeld 100 Guineen.

    Als man anfing, gegeneinander zu segeln, war klar, dass natürlich keiner der Verlierer sein wollte. Wenn man dann zurückgelegen hatte, hat man sich überlegt: Was kann ich tun, um das nächste Mal vorne zu sein? Dann hat man damals schon Konstrukteure und Bootsbauer bemüht, Schiffe zu entwerfen, die möglichst schneller sind als die Konkurrenz. Man kann sagen, dass mit dem Beginn des Segelsports auch die Konstruktion von Rennyachten eingesetzt hat.

    Jahrhunderte lang bestehen die Yachten aus Holz, aus schweren Spanten und Planken. Später folgen Boote aus Stahl und Aluminium. Das 20. Jahrhundert bringt eine neue Werkstoffgeneration: die Verbundmaterialien. Das sind Sandwichs mit einem ultraleichten Kern und einer festen Haut aus faserverstärktem Kunststoff. Diese Sandwichs sind deutlich leichter als Holz und Metall. Und je leichter eine Yacht, umso schneller kann sie segeln.

    Traditionell benutzt man als Kern Balsaholz. Das ist ein extrem leichtes Holz, was im Ofen getrocknet ist. Und die Schichten außen sind im konventionellen Kunststoffbootsbau Glasfasergelege, die mit Polyesterharzen verarbeitet werden und auf diesen Kern auflaminiert, aufgeklebt werden, um diesen Verbund zu geben.

    Balsaholz und glasfaserverstärkte Kunststoffe. Aus diesem Gefüge bestehen heute unzählige Hobbyyachten. Profis wie Torsten Conradi aber ist das noch zu schwer. Anfang der 80er Jahre entdecken sie einen anderen Verbundwerkstoff fürs Segeln.

    Was wir gemacht haben und was neu war: Dass wir Kernmaterialien, die damals nur aus dem Flugzeugbau kamen, sog. Nomex-Waben, verwendet haben. Das ist Papier, was mit einem Kunststoff getränkt ist, einem so genannten Kevlar-Material. Man muss sich das vorstellen wie Bienenwaben. Vergleichbar ein bisschen wie der Kern von dickeren Pappkartons, was den Pappkarton stabil macht. Diese Nomex-Waben sind sehr viel leichter als Balsaholz. Und die dünnen Deckschichten sind dann nicht mehr Glasfaser, sondern Kohlefaser - schwarze, hochfeste Fasern. Und als Kleber nimmt man keine Polyester, sondern Epoxidharze, die bessere Klebereigenschaften haben.

    In der konventionellen Technik, mit Balsaholz und Glasfaser, wiegen Rumpf und Deck einer 15 Meter langen Yacht rund 3,5 Tonnen. Mit Kohlefaser und Nomex-Waben ist es die Hälfte, 1,7 Tonnen. In den achtziger Jahren setzt sich das neue und superleichte Wundermaterial in der Regattawelt durch.

    Dann gelang es ziemlich schnell, den Admiral's Cup, die inoffizielle Teamweltmeisterschaft im Hochseesegeln, zu gewinnen, für Deutschland. ... 83 war das. Wir haben uns so angekuckt statistisch, dass wir wohl die Konstrukteure sind, die die meisten Admiral's Cup-Siege auf sich vereinen können.

    Und: Conradis Kompagnon Rolf Vrolijk hat das Schweizer Designteam der Alinghi geleitet, der Gewinnerin des letzten America's Cup. Für die ganz normale Wochenendyacht taugen Kohlefaser und Nomex-Waben jedoch weniger. Sie sind zu teuer, und:

    Es ist schon eine sehr sensibles Material. Die Anfälligkeit im Alltagsgebrauch, wo man vielleicht auch mal gegen eine Tonne oder eine Boje fährt, ist zu groß, als dass man das als Allroundmaterial einsetzen kann. Es ist also wirklich dem Rennsport vorbehalten. Anfang Oktober 2001. Die Illbruck passiert den Äquator. Der einzige Deutsche an Bord heißt Tony Kolb und muss die Äquatortaufe über sich ergehen lassen. Man schneidet ihm Haarbüschel ab und schüttet ihm einen ekelhaften Brei aus Essensresten über den Kopf. Da hilft nur eines: abtauchen in die Fluten des tropischen Atlantiks. Die erste Etappe ist mit 7350 Seemeilen auch die längste. Sie führt von Southampton in England nach Kapstadt, Südafrika. Kurz vor Kapstadt gerät die Illbruck in ein Gewitter. Dennoch: Nach 31 Tagen und sechs Stunden läuft sie in Kapstadt ein - als Gewinnerin der ersten Etappe.

    Für den deutschen Segelsport ein ganz großer Tag.

    Kiel, die Halle der Knierim-Yachtbau GmbH. Eine der wenigen Werften in Deutschland, die beim Bau von Rennyachten international mithalten können.

    Der Neubau ist ein 50-Fuß-Cruiserracer. Das heißt ein Boot, was zum Fahrtensegeln tauglich ist und auch für Rennen. Es wird sehr leicht gebaut aus Kohlefaser und Schaumkernmaterial. Hendrik Janknecht ist Bootsbauer und zeigt auf den anthrazitfarbenen Rumpf, der vor uns steht: 17 Meter lang, kopfüber aufgebockt auf ein Holzgerüst. Im Moment liegt der Rumpf noch auf seiner Form, erzählt Janknecht. Vor zwei Wochen haben er und seine Kollegen angefangen und als erstes eine Schicht aus Kohlefasern über die Form gelegt.

    Die Kohlefasern werden mit Harz getränkt. Dann sind sie sehr beweglich. Dann werden sie einzeln der Form nach auf den Rumpf aufgelegt in einer bestimmten Richtung, einer Faserrichtung, so wie die Last nachher im Schiff verläuft. Und dann härten die Fasern aus, bzw. das Harz härtet aus. Wo das Boot später besonders stark belastet wird, etwa am Bug, kommt mehr Kohlefaser hin, bis zu fünf Lagen aufeinander. Für weniger beanspruchte Stellen tun es zwei Lagen. Als mittlere Schicht des Sandwichs nehmen die Knierim-Leute keine Wabenstruktur, sondern einen Kunststoffschaum, 20 Millimeter dick und extrem leicht. Unter Vakuum wird der Schaum auf die Kohlefaser gepresst. Danach kleben die Bootsbauer die Außenlage auf, ebenfalls aus Kohlefaser. Jetzt lösen sie den Rumpf von seiner Form. Noch am Abend werden sie ihn per Kran umdrehen und in seine richtige Lage bringen. Morgen dann kann der Innenausbau beginnen. 11. November 2001. In Kapstadt fällt der Startschuss zur 2. Etappe des Volvo Ocean Race. Bis Sydney sind es 6500 Seemeilen.

    Ein stürmisches Revier. Die Crew der Illbruck ist durchnässt bis auf die Knochen. Plötzlich kommt Unruhe auf. Wassereinbruch im Vorschiff, eine Inspektionsluke ist gebrochen, die Illbruck droht zu sinken. Hektisch pumpt die Mannschaft das Wasser ab. Tony Kolb, gelernter Bootsbauer, repariert das Leck mit einem heraus gesägten Bodenbrett. Zwei Stunden verliert die Illbruck. Die Aufholjagd beginnt - durch Sturmböen und meterhohe Wellen.

    Man wünscht sich dann nur, wenn sechs Stunden Wache vorbei sind, dass dann ein Hubschrauber kommt und einen abholt und nach Hause in ein warmes Bett und eine Dusche bringt - was leider nicht der Fall ist. Sondern man geht wieder unter Deck in die Koje und versucht sich da irgendwie trockenzuschlafen.

    Die Sensation: Die Illbruck holt das Feld wieder ein und feiert nach 22 Tagen den zweiten Etappensieg. Sechs Wochen sind vergangen in der Knierim-Werft in Kiel. Inzwischen ist einiges passiert. Langsam nimmt die neue Yacht Formen an.

    Wir haben den Rumpf umgedreht, wir haben ihn ausgerichtet. Wir haben Teile des Innenausbaus drin. Wir haben die Verstärkung eingebaut, die die Kräfte für den Mast aufnehmen. Die Rumpfschale ist soweit eigentlich fertig. Wir beginnen jetzt außen mit den Spachtel- und Lackierarbeiten.

    Geschäftsführer Steffen Müller führt mich nach hinten in die Halle. Hier entsteht das Deck, ebenfalls ein Sandwich aus Kohlefaser und PVC-Schaum. Gestern haben die Arbeiter den Schaum auf die Kohlefaser geklebt, jetzt wird es unter Vakuum zusammengepresst. Dazu haben die Arbeiter das Deck in einen riesigen Plastiksack gesteckt, der so eng anliegt wie die Verpackungsfolie um eingeschweißte Tortellini.

    Es wird die Luft mit der Pumpe, die wir hören, abgesaugt. Und dadurch entsteht dieser Anpressdruck, um die Schaumplatten sicher zu verkleben. Wir lassen das jetzt 48 Stunden unter Vakuum. Dann hat das Harz abgebunden. Und dann können wir den Vakuumdruck wegnehmen, die Vakuumfolie runter nehmen und mit den weiteren Arbeiten fortfahren.

    Üblicherweise stellt man Sandsäcke und Bleigewichte auf die Schaumplatten, um sie auf das Kohlefaser-Laminat zu pressen. Mit der Vakuumpumpe wird's viel gleichmäßiger, erklärt Müller. Handwerk auf höchstem Niveau.

    Das Kritische bei so einer Sandwich-Konstruktion ist immer das Verkleben des Laminats mit dem Schaum. Da hat jede Werft ihre eigenen Tricks und Rezepturen, wie man sicherstellen kann, dass das wirklich dauerhaft miteinander verbunden ist. Das ist eben ein Geheimnis.

    Dann klettern wir auf ein Holzpodest und werfen einen Blick ins Innere des Rumpfes. Die Bootsbauer haben Schotts und Stringer eingebaut - Querwände und Längsträger, die den Rumpf stabilisieren.

    Momentan sieht es aus wie ein sinnloses Durcheinander von Kohlefaser-Paneelen. Die haben aber alle ihren Sinn und sind gleichzeitig Möbelpaneele. Das sind dann die Kojen, die mit Polstern versehen aussehen wie Kojen in jedem anderen Boot auch.

    Acht Schlafplätze wird die Yacht bekommen, alle eher spartanisch denn luxuriös. Je mehr Komfort, desto mehr Gewicht und umso langsamer das Boot. Nächste Woche werden die Knierim-Leute das Deck aufsetzen und mit dem Rumpf verkleben. Dann folgen Innenausbau, Kiel, Mast und schließlich die Segel. Aufgelegt wurde die Yacht Ende April. Mitte September soll sie fertig sein: 140 Quadratmeter Segelfläche, bis zu 18 Knoten schnell, 33 Stundenkilometer - fit für den Atlantiktörn in die Karibik und fit für manch eine Regatta. Ein Schnäppchen allerdings ist sie nicht gerade.

    Wenn man sich dafür entscheidet, ein Kohlefaserboot zu bauen, ist man auch in einer exklusiven Preisklasse. Wir liegen bei einem Einstiegspreis von 850.000 Euro.

    Etappe Nummer 3 von Sydney nach Auckland in Neuseeland. Das Wetter schlägt um, ein Orkan wütet mit Windstärke neun. Plötzlich eine Windhose, nur zwei Seemeilen vom Boot entfernt.

    Wir sind acht Stunden aus Sydney raus gewesen. Und dann hat sich aus dieser Wolke so ein Wirbelsturm entwickelt. Der ist ganz bis zum Wasser runter gegangen und hat Kurs auf uns zugenommen. Wir haben versucht auszuweichen - das Ding ist einfach auf uns zu und ist näher und näher gekommen. Dann haben wir alle Segel geborgen. Dann ist dieses Ding in 50 Meter Entfernung an uns vorbeigerauscht. War unglaublich. Möchte ich nicht noch mal erleben. Hab wirklich Angst gehabt.

    Kolb und seine Crew sind froh, Auckland mit heiler Haut zu erreichen. Die Illbruck wird vierte. Das reicht, um die Gesamtführung zu verteidigen.

    Die Schiffe werden immer leichter; man kann sie leichter bauen. Und das führt natürlich zu neuen Schiffsformen, die man dann erst mal finden muss.

    Professor Kai Graf arbeitet an der Fachhochschule Kiel. Ihn interessiert vor allem eines: die optimale, die strömungsgünstigste Form einer Yacht.

    Klassischerweise war die Tätigkeit des Yachtdesigners sehr stark von seiner Intuition und Erfahrung geprägt. Früher hat man Yachten entworfen aus dem Bauch heraus, ohne aber Werkzeuge zur Analyse zu haben - Werkzeuge, die quantitative Aussagen machen zur Leistungsfähigkeit der Yacht.

    Eines dieser Werkzeuge, die heute beim Yachtdesign helfen, steht in der Halle nebenan: der Umlauftank, eine Art überdimensionale Badewanne.

    Jetzt sind wir hier in unserem Schiffbau-Strömungslabor. Wir betreiben hier diesen Umlauftank. Der hat ein Wasservolumen von ungefähr 35 Kubikmeter, eine Länge von 6 Metern, eine Breite von 1,5, Meter. Was Sie jetzt da sehen, ist ein Modell eines Volvo-Ocean-Racers. Eine Untersuchung, die wir für die Illbruck-Kampagne durchgeführt haben. Das Modell hat eine Länge von ungefähr 1,20 Meter.

    Unter uns im Keller steht der Propeller. Fast lautlos setzt er das Wasser in Bewegung, das nun wie ein Bach an uns vorbeifließt. In der Mitte der Wanne ist das Illbruck-Modell in einen Metallarm eingespannt. Graf geht zum Arm, dreht an einer Schraube, das Modellboot neigt sich. Dann stellt er es schräg in die Strömung. Augenblicklich ändert sich das Wellenmuster hinter dem Rumpf.

    Das Modell ist mit Sensoren gespickt. Sie messen alle Kräfte, die das Boot in der Strömung erfährt. Die Kräfte sind groß bei einem schlecht geschnittenen Rumpf und klein bei einem gut geschnittenen. Das Ziel des Ganzen: eine Yacht, die dem Wasser möglichst wenig Widerstand bietet. Modellversuche wie die in Kiel waren bis vor kurzem der Standard im Yachtbau. Allmählich aber übernehmen andere Methoden das Ruder - Computersimulationen.

    Das waren früher rein wissenschaftliche Methoden. Die haben heute ihren Eingang in die Praxis gefunden. Und in dem Maße, wie wir bessere Werkzeuge verfügbar haben, können wir damit natürlich auch bessere Schiffe entwerfen.

    Vor einigen Jahren waren die Computerberechnungen noch zu ungenau. Doch nun lässt Kai Graf 42 PCs gleichzeitig auf ein Problem los. Die Rechner bewältigen 20 Millionen Gleichungen mit 20 Millionen Unbekannten und spucken haarklein aus, ob sich ein Rumpf schnittig durchs Wasser bewegt oder nicht.

    Das bedeutet, dass der Yachtdesigner uns Formenbeschreibungen der Boote zuschickt. Das funktioniert heutzutage übers Internet. Dann werden die Strömungsprobleme auf unseren Parallelrechnern gelöst. Mit Hilfe geeigneter Verfahren können wir dann die Geschwindigkeit vorhersagen. Das Vorgehen ist bei uns, dass wir von einem Yachtdesigner eine Reihe von Designalternativen bekommen und dann ganz einfach herausfinden müssen: Welches ist die schnellste Alternative?

    Gewaltig sind die Unterschiede nicht, ein paar Sekunden pro Seemeile. Doch die können bei einer Topregatta entscheidend sein. Dass Kai Graf und seine Leute immer etwas zu tun haben, liegt unter anderem daran, dass es nicht nur eine Form von Rennyachten gibt. Nein, es gibt Dutzende. Der Fachmann spricht von verschiedenen Konstruktionsklassen.

    Ganz ähnlich zum Automobilsport; da gibt's die Formel 1, da gibt's Tourenwagen-Meisterschaften. So gibt's eben auch im Segelsport Bootsklassen. Die bekanntesten sind sicherlich America's Cupper, Volvo Ocean Racer. Aber auch die Jollen, die an Olympiaden teilnehmen, die unterliegen alle Vermessungsregeln. Und die dominieren das Bootsdesign. Das führt natürlich dazu, dass man ein Boot immer anpassen muss an die Klasse, in der es segeln soll.

    Zwei Beispiele: Volvo Ocean Racer wie die Illbruck sind recht breit, mehr als fünf Meter, und haben relativ wenig Tiefgang. Ihre Form ist optimiert für so genannte Vorm-Wind-Kurse. Das sind Kurse, bei denen der Wind schräg von hinten kommt, wie die meiste Zeit beim Volvo Ocean Race. Bei Rückenwind können diese Yachten regelrecht auf den Wellen gleiten und schaffen bis zu 30 Knoten, also über 50 Stundenkilometer. Muss die Illbruck aber gegen den Wind kreuzen, bringt sie es auf höchstens neun Knoten - kein Spitzenwert. Anders bei den Booten des America's Cup. Sie sollen möglichst schnell am Wind segeln können, also schräg gegen den Wind.

    America's-Cup-Yachten werden für die Kreuzkurse optimiert. Das führt dazu, dass die Schiffe sehr schmal werden. Man hat also Schiffe, die 25 Meter lang sind, drei bis vier Meter breit sind, manchmal sogar noch schmaler, also sehr schmal im Verhältnis zur Länge. Diese Schiffe haben einen Ballastkiel mit einem torpedoähnlichen Körper, der am Ende des Ballastkiels angeordnet ist. Und dieser Ballastkiel trägt 75 Prozent des Gesamtgewichtes der Yacht. Damit können diese Schiffe sehr viel Segel tragen. Die können also sehr hohe Geschwindigkeiten auf Kreuzkursen erreichen, sind dafür optimiert.

    Das Resultat: Zehn Knoten und mehr bei Kreuzkursen, aber nur 17 Knoten bei Rückenwind.

    Etappe 4, es geht von Auckland vorbei an Kap Horn nach Rio de Janeiro. Das Deck der Illbruck ist zugefroren und spiegelglatt. Dick vermummt versucht die Crew im Südpolarmeer Kurs zu halten und den Eisbergen nicht zu nahe zu kommen.

    Die Illbruck erwischt eine günstige Strömung. Am 10. Februar erreicht sie Kap Horn, die Spitze Südamerikas. Immer wieder muss Tony Kolb nach oben auf den Mast, fast 30 Meter hoch.

    Einer meiner Lieblingsarbeitsplätze. Bei großen Wellen, Kälte, dicke Handschuhe an, da ist es hier oben nicht immer ganz so gemütlich. Da purzelt man hier oben richtig rum.

    Samba für die Sieger. Die Illbruck hat Rio als erste erreicht. Der Gesamtsieg beim Volvo Ocean Race scheint greifbar nah.

    Ein Polyestersegel, wenn man das eine Woche lang benutzen würde, wäre es für Regattasegler wie ein Kartoffelsack - also nicht mehr das Profil dort, wo es hingehört. Während ein Aramid- oder ein Carbonsegel die Form erheblich länger hält.

    Thomas Jungblut leitet den Deutschlandvertrieb von North Sails. einem der größten Segelhersteller der Welt mit Hauptsitz in den USA. Einst waren Segel schlicht aus Leinen und Baumwolle. Heute bestehen sie zumeist aus dem Kunststoff Polyester. Für Rennyachten aber taugt Polyester nur bedingt.

    Entscheidend ist Gewicht und Festigkeit, also Dehnungsarmut. Und das ist eigentlich der Punkt, wo andere Materialien wie Aramid, also Kevlar, oder Carbon erheblich besser sind, weil sie dehnungsärmer sind und leichter. Diese Materialien werden heute für den Regattasport ausschließlich für Segel benutzt.

    So ein Hightech-Segel aus Kevlar oder aus Carbon, aus Kohlefaser, wiegt nur halb so viel wie ein Polyestersegel. Und genauso wichtig: Selbst bei starker Belastung behält es seine Form, sein optimales Profil. Die Fertigung allerdings ist ein Akt. Gewöhnliche Segel werden genäht oder verklebt. Ganz anders läuft die Produktion von 3DL, so heißt das Patent von North Sails.

    3DL wird gefertigt über einer Form. Es wird das Segel schon in der Form gefertigt, wie es nachher im Winde stehen würde. Es gibt keine Nähte oder Verklebungen, sondern das Segel wird gleich in die Form reingebaut.

    Diese Form wird per Computer in die gewünschte Gestalt gebracht, indem der Rechner 300 Luftdruckstempel hoch beziehungsweise runter fährt, sagt Thomas Jungblut.

    Anschließend wird eine dünne Folie über diese Form gespannt. Dann kommt eine Maschine und legt die Aramid- oder Carbonfäden von den Ecken aus auf dieses Segel. Es kommt dann Kleber drauf, anschließend wieder eine Folie. Das Ganze wird mit Vakuum zusammengedrückt und mit einem Heizkissen beheizt, damit der Kleber aushärtet. Und fertig ist das Segel.

    Wenn man so will ein Segel aus einem Guss. Besonders spektakulär: Wie ein Drachenflieger hängt ein Arbeiter an einem Kran und schwebt über dem halbfertigen Segel, um das Verlegen der Fasern zu kontrollieren und das Heizen, man könnte auch sagen das Backen. Vier Stunden dauert es, dann ist das Segel fertig.

    Man kann sagen gerade im Hightech-Bereich wie America's Cup oder Volvo: Alle Syndikate haben sich für 3DL-Segel entschieden, weil die Segel leichter sind und besser die Form halten.

    Das Großsegel der lllbruck hat den Wert einer Luxuslimousine. Schlichtere Versionen für den Hobbyskipper gibt es schon für 5000 Euro. Und nun basteln die North-Sails-Leute in ihrer Fabrik in Nevada an einer Maschine, die kleine 3DL-Segel in 1,5 Minuten produzieren soll - ein Hoffnungsschimmer für ambitionierte Amateure.

    Mai 2002, die Etappe über den Atlantik, von Annapolis in den USA nach La Rochelle in Frankreich. Der Wind ist optimal, die Illbruck kommt mächtig in Fahrt. So schnell wie jetzt waren Tony Kolb und seine Leute noch nie.

    Wir sind schnell unterwegs heute. Wir haben 30 Knoten Wind und 20 bis 24 Knoten Bootsspeed. Wir haben ungefähr noch vier bis fünf Tage bis La Rochelle. Da ist absolut eine superschnelle Zeit.

    Spitzengeschwindigkeit: fast 39 Knoten, 70 Stundenkilometer - für die Segler der reine Wahnsinn. Dann die Meldung von der Rennleitung. 473 Seemeilen an einem Tag. Weltrekord für Einrumpfboote, nur Katamarane sind noch schneller. In La Rochelle landet die Illbruck ihren vierten Etappensieg.

    Superleichte Materialien, schnittige Rümpfe - und Segel, die ihre Form halten. Das sind die wohl wichtigsten Trends im Regattasport - aber nicht die einzigen:

    Die Masten bestehen bei den leistungsorientierten Booten aus Kohlefaser. Die Gewichtsvorteile und Schwerpunktvorteile sind so groß, dass man zuviel von dem Leistungspotenzial des Bootes verlieren würde, wenn man herkömmliche Aluminiummasten bauen würde,

    sagt Steffen Müller von der Knierim-Werft in Kiel. Ein Mast aus Kohlefaser ist bis zu 40 Prozent leichter als einer aus Aluminium. Ein weiterer Trend: An Bord einer Rennyacht findet sich mehr und mehr Elektronik, meint Torsten Conradi, Bootskonstrukteur aus Bremerhaven.

    Sie haben GPS natürlich, sodass Sie Ihren Standort kennen. Sie kennen Ihre Geschwindigkeit. Und man hat Displays, auf denen man genau sehen kann, wo man sich befindet und wo man hin muss.

    Der Bordrechner macht Routenvorschläge. Entscheiden aber muss nach wie vor der Skipper - zum Beispiel ob es sich lohnt, eine Wolke zu umsegeln, um besseren Wind zu bekommen. Noch recht neu ist der Trick mit dem Wasserballast. Hierbei sind im Rumpf des Bootes mehrere Tanks eingebaut. Sie sind durch Rohre miteinander verbunden.

    Das Wasserballast-System funktioniert so: Für die Kurse, in denen Stabilität gewünscht ist, wird Wasser über eine Pumpe in die jeweils dem Wind zugewandten Seite gepumpt, um dann bei einer Wende oder Halse durch ein Rohrsystem auf die andere Seite geleitet zu werden. Dadurch erreicht man eine Erhöhung der Stabilität, ohne dass man mehr Crew mitnehmen muss.

    Beim Volvo Ocean Race kam der Wasserballast bereits zum Einsatz. Zwar brauchen die Tanks Platz und schränken den Innenraum der Yacht ein. Aber sie sparen Tiefgang - nicht unwichtig für manche Hafeneinfahrt. Die neuste Erfindung aber heißt im Seglerlatein "Canting Keel". Gemeint ist ein schwenkbarer Kiel, den eine kräftige Hydraulik in Sekunden von der einen Seite des Bootes zur anderen fährt.

    Fürs Segeln wird der zur Seite geschwenkt, um die Stabilität des Bootes zu erhöhen. Man muss sich das so vorstellen: Bei der Jolle steigen die Leute ins Trapez und hängen dann im Trapez, um das Boot aufzurichten. Und hier macht man das Gleiche quasi mit dem Kiel. Man schwenkt den Kiel soweit zur Seite rüber, dass er das Boot aufrichtet, wenn der Wind in die Segel bläst.

    Unten trägt der schwenkbare Kiel einen tonnenschweren Ballast, die Bleibombe. Weiter hinten ragen Schwerter aus dem Rumpf. Sie halten das Boot auf Kurs und verhindern ein Abdriften. Der Vorteil: Das Boot steht aufrechter im Wind und wird damit schneller.

    Das ist jetzt gerade in den Anfängen, dass diese Cant Keele auch in die Regattaklassen Einzug halten dürfen, dass solche Kiele überhaupt zulässig sind. Das wird sicherlich dazu führen, dass sich die Boote noch mal sehr stark verändern werden.

    So könnte der Kiel in Zukunft viel strömungsgünstiger gebaut werden, meint Torsten Conradi. Der Nachteil: Damit die Hydraulik den Kiel jederzeit schwenken kann, muss während der gesamten Regatta der Schiffsmotor laufen. Beim nächsten Volvo Ocean Race, das 2005 startet, sind sie jedenfalls erlaubt, die schwenkbaren Kiele. Die Fans hoffen, dass der Meeresmarathon dadurch ebenso spannend wird wie das letzte Rennen, das vor zwei Jahren über die Ziellinie ging.

    Als erste deutsche Segelyacht hat die Illbruck das Volvo Ocean Race gewonnen. Insgesamt acht Boote waren im September vergangenen Jahres in Southampton gestartet und erreichten nach mehr als 60.000 Kilometern am Abend die Kieler Förde.

    Am 9. Juni 2002 meldet Tagesschausprecher Jan Hofer den Sieg der Illbruck. Unzählige Begleitboote eskortieren sie in den Kieler Hafen. An Land warten 300.000 Menschen und feiern die Illbruck-Crew - und den Sieg bei der härtesten Regatta der Welt.

    War absolut Wahnsinn! War hart, aber hat sich gelohnt!