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Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo
Spiel mit dem Feuer auf dem Balkan

Der Streit zwischen Serbien und dem seit 2008 unabhängigen Kosovo steht dem langfristig angestrebten EU-Beitritt beider Länder im Weg. Als Lösung brachte Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic einen Gebietstausch ins Gespräch. Doch Beobachter warnen vor unabsehbaren Folgen für den Balkan.

Von Clemens Verenkotte | 24.08.2018
    Straßenszene aus der Stadt Mitrovica im Kosovo: An einer Straßenlaterne hängt eine serbische Flagge.
    Die Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo ist in einen serbischen und einen albanischen Teil gespalten (imago stock&people)
    An Warnungen vor einem Gebietstausch zwischen Serbien und dem Kosovo fehlt es nicht: Dies hätte unabsehbare Folgen, falls es entlang ethnischer Bevölkerungsgruppierungen zu einer Neuordnung kommen würde, befürchtet der Politologe Ramush Tahiri in der kosovarischen Hauptstadt Pristina.
    "Es wird immer jemand unzufrieden sein, es wird immer jemand mehr verlangen, es wird immer jemand umziehen müssen. Weil das Territorium für ethnische Säuberungen ausgetauscht werden würde. Die Theorie der ethnischen Staaten ist schließlich eine überholte Theorie und hat immer Kriege verursacht. Für die Bürger sind Staaten die Zukunft. Das Kosovo ist souverän und hat ein eigenes Territorium, und es muss erhalten bleiben", fordert Tahiri.
    Massiver wurschaftlicher Schaden durch Status Quo
    Genauso sieht es auch Hashim Thaci, der Staatspräsident Kosovos und die seit langem dominanten Führungsfigur im knapp zwei Millionen Einwohner großen Land: "Als Präsident des Landes möchte ich auch den Bürgern des Landes versichern, dass es keine Kraft geben wird, nicht einmal Diskussion zu erzwingen, über das Teilung von Kosovo zu diskutieren. Das heißt, wir werden das nie akzeptieren."
    Um das permanente Patt zwischen Belgrad und Pristina zu beenden, und um damit den Weg Serbiens und später auch des Kosovo in die EU freizumachen, bemühen sich die Europäische Kommission sowie die Bundesregierung, die beiden ehemaligen Kriegsgegner zu Kompromisslösungen zu bewegen. Bislang jedoch ohne erkennbaren Erfolg.
    Serbiens Volkswirtschaft würde, so berechnete es die "Open Society"-Vertretung in Belgrad, massiven, dauerhaften Schaden erleiden, falls es beim Status Quo bleiben würde - und damit dem Nein zum EU-Beitritt. Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Lebensstandard würden erheblich sinken. Es sei denn: Es käme zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo, einschließlich eines Gebietstauschs, wie es in der Studie der "Open Society"-Vertretung in Belgrad heißt.
    Vucic ventiliert Gebietstausch-Idee
    Im Norden des Kosovo leben rund 42.000 serbisch stämmige Einwohner, die sich nicht dem Zentralstaat unterordnen wollen. Im Südwesten Serbiens gibt es hingegen eine Region, in der rund 30.000 Menschen wohnen, von denen 91 Prozent Albaner sind. Die Idee eines Gebietstauschs lässt die Emotionen hochgehen. Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic ventiliert diesen Gedanken, nicht ohne eigene Absichten zu verfolgen:
    "Ich setze mich für eine Abgrenzung von den Albanern ein. Das verheimliche ich nicht, das ist die Politik, die ich vertrete. Ob sie die Unterstützung unseres Volkes bekommen wird oder nicht. Ein Territorium, das unterschiedlich behandelt wird, auf dem nicht klar ist, was wem gehört, ist immer eine Quelle für potenzielle Konflikte und viele Probleme. Ob uns das gelingen wird oder nicht, ist schon eine andere Angelegenheit. Das hängt nicht von uns ab.
    Ich habe unzählige Male gesagt, dass für einen Tango zwei gebraucht werden. Sollten wir jemals die Gelegenheit haben, eine Lösung zu treffen, muss das ein allumfassendes Paket sein, das viele, viele Aspekte betreffen wird und gar nicht so vereinfacht und simpel sein wird, wie sich das einige vorstellen."
    Striktes "Nein" von Bundesregierung und EU
    Aufgeschlossen gegenüber einem etwaigen Gebietstausch zeigt sich die US-Regierung unter Präsident Trump, auch Frankreichs Präsident Macron wolle Fortschritte sehen. Die Bundesregierung sowie die EU-Außenbeauftragte Mogherini halten an einem strikten "Nein" zu jeder Art der Grenzverschiebung fest. Dragan Popovic, Direktor des Zentrums für praktische Politik in Belgrad, weist auf die Folgen eines Gebietstauschs für die gesamte Region hin:
    "Momentan hoffen viele auf dem Balkan, dass auch sie mit der Umänderung der Grenzen beginnen können, vor allem in Bosnien und Herzegowina, in Mazedonien und so weiter. Aber ich fürchte, dass sich das sehr schnell vom Balkan ausbreiten und unabsehbare Folgen auslösen könnte.
    Wie unvollkommen auch immer eine solche Lösung nach dem Zerfall Jugoslawiens war, es wurde darauf bestanden, dass diese Einheiten, so wie sie existiert haben, in diesen Grenzen bleiben. Man kann weiter über ihren Status verhandeln und so weiter, aber ohne diese Einheiten, wie sie in Jugoslawien waren, zu zerschlagen. Wenn wir dieses Prinzip jetzt aufgeben, fürchte ich, würden wir die 'Büchse der Pandora' öffnen."