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Gebremste Demenz
Ein Diabetes-Medikament könnte gegen Alzheimer helfen

Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Dies legt die Vermutung nahe, dass Medikamente, die Zuckerkranken helfen, auch das Fortschreiten einer Demenz bremsen könnten. Britische Forschende haben nun einen Wirkstoff getestet, der Hoffnung macht.

Von Lukas Kohlenbach | 02.08.2021
Illustration: Kopf eines Mannes löst sich auf in einen wegfliegenden Vogelschwarm.
Der Wirkstoff Liraglutid, der gegen Diabetes verschrieben wird, stabilisiert bei Alzheimer-Patienten die Gedächtnisleistung und das Hirnvolumen (imago / Ikon Images / Gary Waters)
Auf den ersten Blick haben Diabetes und Alzheimer nicht viel gemeinsam. Bei Diabetes, der Zuckerkrankheit, gerät der Blutzuckerspiegel außer Kontrolle. Bei Alzheimer, dem schleichenden Gedächtnisverlust, sterben Nervenzellen im Gehirn. Doch: Diabetiker haben ein besonders hohes Risiko, im Alter Alzheimer zu entwickeln. Was könnte die Verbindung zwischen den Krankheiten sein?
Illustration der Entstehung von Amyloid-Plaques (gelb) auf den Nervenzellen des Gehirns (blau)
Alzheimer-Forschung: Das Rätsel des Vergessens
Alzheimer ist mit fast 50 Millionen Betroffenen weltweit die Hauptursache für Demenz. Seit Jahren suchen Forscher und Pharmafirmen nach einem wirksamen Mittel gegen die Erkrankung. Ein Kandidat ist Aducanumab: Der Wirkstoff galt bereits als gescheitert, nun soll er womöglich doch eingesetzt werden.

Auch bei Alzheimer ist der Stoffwechsel gestört

"Man hat beobachtet oder weiß schon lange, dass bei der Alzheimer-Erkrankung wahrscheinlich Regulationsstörungen auch der Verwertung von Glukose, also vom Zucker, im Gehirn stattfinden, dass das dazu beiträgt, dass die Gehirnzellen schlechter funktionieren", erklärt Frank Jessen, der an der Uniklinik Köln Alzheimer-Erkrankte behandelt.
Wenn Alzheimer und Diabetes ähnliche Entstehungsmechanismen teilen, könnten dann auch Diabetes-Medikamente bei Alzheimer-Patienten wirksam sein? In den letzten Jahren testeten Gehirnforscher verschiedene Mittel aus der Diabetes-Behandlung.

Die Hoffnungsträger heißen 'GLP-1-Analoga'

Besonders eine Wirkstoffgruppe schien vielversprechend: die sogenannten GLP-1-Analoga. Sie können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und zeigen nicht nur in Bezug auf die Zuckerverwertung im Gehirn positive Effekte, so Frank Jessen: "Zum Beispiel wirken sie auch gegen chronisch entzündliche Prozesse und wir wissen heute auch, dass im Gehirn bei der Alzheimer-Erkrankung solche chronisch entzündlichen Prozesse eine wichtige Rolle spielen."
Liraglutid ist so ein Wirkstoff aus der Gruppe der GLP-1-Analoga. Nachdem in Experimenten mit Mäusen positive Effekte beobachtet wurden, setzten Forschende um den britischen Wissenschaftler Paul Edison eine einjährige Studie mit über 200 Alzheimer-Erkrankten auf, um die Wirksamkeit zu überprüfen.

Liraglutid vermindert den Gedächtnisverlust

"Wir konnten zeigen, dass die Menschen, die die Behandlung erhielten, ein besseres Gedächtnis hatten als die Kontroll-Patienten", sagt Paul Edison. Auf der Internationalen Alzheimer-Konferenz stellte er vergangene Woche erste Ergebnisse der Studie vor. Nicht nur der Gedächtnisverlust konnte bei den Probanden, die Liraglutid erhielten, gebremst werden. Auch das gesamte Hirnvolumen schrumpfte weniger stark als bei den Studienteilnehmern, die nur ein wirkstoffloses Placebo bekamen.
Vielversprechende Ergebnisse, die den Hersteller von Liraglutid veranlassten, zwei größere Studien mit mehreren tausend Probanden aufzusetzen. Statt Liraglutid wöchentlich zu spritzen, wird dabei dessen Nachfolger Semaglutid verwendet, das als Tablette besonders einfach anzuwenden ist. Paul Edison: "Ich denke, falls das effektiv sein sollte, ist das eine wirklich signifikante Wendung in dem Forschungsfeld."

Kombination mehrerer Medikamente könnte helfen

So könnte schon innerhalb der nächsten fünf Jahre eine weitere Behandlungsoption für Alzheimer auf den Markt kommen. Heilbar werde die Erkrankung dadurch jedoch wahrscheinlich nicht, vermutet Frank Jessen: "Man würde eher erwarten, dass man den Krankheitsverlauf verzögert und längere Stabilität schafft. Das ist eher eine realistische Erwartung."
Eine Forscherin arbeitet im Labor des Pharmaherstellers Biogen in Cambridge, Massachusetts. Die Firma hat die Zulassung für ein Alzheimer-Medikament bekommen
Umstrittenes Alzheimer-Medikament in den USA zugelassen
Nach mehr als 15 Jahren ist in den USA erstmals wieder ein neues Alzheimer-Medikament zugelassen worden. Dabei waren Studien wegen mangelnder Wirksamkeit abgebrochen worden. Dass die Zulassung jetzt doch noch erteilt wurde, macht einerseits Hoffnung, sorgt aber auch für Skepsis – auch in Deutschland.
Der Nutzen wäre damit ähnlich wie bei dem Antikörper-Medikament Aducanumab, das vor Kurzem in den USA zugelassen wurde. Spannend dürfte in der weiteren Zukunft deshalb vor allem sein, ob die Kombination solcher Ansätze möglicherweise noch einen besseren Effekt bringt als nur ein Ansatz alleine.