Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Gebremste Euphorie

Europa streckt die Hand nach Osten aus: In dieser Woche soll auf einem EU-Sondergipfel die sogenannte "Östliche Partnerschaft" gegründet und so die Beziehungen zur Ukraine, Moldau, Georgien, Aserbaidschan, Armenien und Belarus intensiviert werden. Vertiefte Zusammenarbeit ja, aber kein automatischer EU-Beitritt, so lautet das EU-Angebot. Die Ukraine zeigt sich davon wenig begeistert.

Von Clemens Hoffmann | 04.05.2009
    In Kiew fällt die Begeisterung über den Startschuss zur östlichen Partnerschaft verhalten aus. Viele meinen, in dem Programm stecke nichts wirklich Neues für die Ukraine. So auch Sergei Solodki, Redakteur für Außenpolitik bei der Internet-Zeitung "Glavred":
    "Alles, was die EU den sechs Ländern jetzt anbietet: Assoziationsabkommen, Erleichterungen im Visa-Bereich, Freihandelsabkommen, darüber verhandeln wir schon - auch ohne eine 'östliche Partnerschaft'. Wir haben schon gute bilaterale Beziehungen mit der EU. Aber ich verstehe auch, dass Europa eine systematische Politik sucht gegenüber seinen östlichen Nachbarn. Die Ukraine könnte da als Beispiel dienen für die anderen Länder in der Region."

    Mit seiner Sicht der Dinge steht der Journalist nicht alleine da. Auch Brüssels Kalkül geht in diese Richtung. EU-Diplomaten halten es für wünschenswert, dass Länder wie Georgien, Weißrussland oder Moldawien sich bei der Modernisierung ihrer Gesellschaften künftig mehr an Kiew, und weniger an Moskau orientieren. Russlands Außenminister Lawrow warf der EU deshalb bereits öffentlich vor, sie sei auf der Suche nach "Einflusssphären" in den Ländern, die früher zur Sowjetunion gehörten. Für den Kiewer Journalisten Solodkij ist Lawrows Wortwahl verräterisch.

    "Egal welche Initiative aus dem Westen, ob NATO oder EU: Immer wird alles sehr negativ vom Kreml aufgenommen. Eines Tages werden die entwickelte Ukraine, ein entwickeltes Georgien oder Moldawien ein Beispiel für Russland werden, ein Ansporn, selbst Veränderungen vorzunehmen. Das ist vielleicht der Grund, warum russische Politiker so viel Angst haben vor Veränderungen in ihrer früheren Einflusssphäre."

    Nicht nur deshalb argumentiert der "Glavred"-Journalist in seinen Leitartikeln dafür, dass sein Land die regionale Vorreiterrolle in der neuen Ostpartnerschaft übernimmt. Wenn sich die Ukraine als verlässlicher Partner der EU erweist, kann das auch Chancen eröffnen, meint Solodkij.

    "Die Ukraine ist bekanntlich sehr daran interessiert, eine klare Perspektive für die EU-Integration zu bekommen. Vielleicht hilft uns die östliche Partnerschaft dabei, von den Europäern ein solches Angebot zu erhalten."

    Realistischer und schneller als der erträumte EU-Beitritt scheinen jedoch andere Dinge erreichbar; etwa immer engere Beziehungen zu Europa oder mehr Zusammenarbeit zwischen den östlichen Partnerländern bei wichtigen Themen wie Energie und Wirtschaft, Grenzen und Sicherheit. Und ganz handfest: zusätzliche finanzielle Mittel für dringend notwendige Reformen.

    Insgesamt 600 Millionen Euro will die europäische Kommission für die östliche Partnerschaft in den kommenden vier Jahren bereitstellen. Dem Vorsitzender des Europa-Ausschusses im ukrainischen Parlament, Boris Tarasjuk, reicht die Summe jedoch nicht aus:

    "600 Millionen Euro sind nichts. Die Türkei allein bekommt in einem Jahr so viel finanzielle Hilfen von der EU, wie nun sechs Länder für vier Jahre bekommen sollen. Das ist unpassend und müsste korrigiert werden. Die Frage ist, ob die EU in der Finanzkrise dazu in der Lage ist."

    Abgesehen vom Geld sieht Tarasjuk noch ein weiteres Defizit der östlichen Partnerschaft. Ähnlich wie bei der EU-Nachbarschaftspolitik, bei der sich die Ukraine zu Unrecht mit afrikanischen und arabischen Staaten in einen Topf geworfen fühlte, ist man in Kiew auch mit der neuen Ost-Partnerschaft nicht wirklich glücklich. Zu unterschiedlich seien Entwicklungsstand und Ziele der sechs Ost-Partner.

    ""Prinzipiell werden wir uns pragmatisch verhalten und diese neue Politik akzeptieren, aber nicht als Ersatz für unser Ziel, eines Tages Mitglied der Europäischen Union zu werden."

    Doch der frühere Außenminister Tarasjuk ist Realist genug, um zu erkennen, dass der Beitritt der Ukraine derzeit nicht auf der Tagesordnung steht. Schuld daran trägt auch die politische Führung des Landes: Die einzige europapolitische Initiative der vergangenen Wochen war eine Drohung von Präsident Juschtschenko: Man werde die Visapflicht für Europäer wieder einführen, falls die EU ihre Visavorschriften für Ukrainer nicht weiter lockere.

    Westliche Diplomaten wiesen den Erpressungsversuch postwendend zurück. Doch der Versuch, mit dem Thema Reisefreiheit zu punkten, ist vor allem innenpolitisch motiviert: In wenigen Monaten wird ein neuer Präsident gewählt, und dem immer unpopuläreren Amtsinhaber schwimmen die Felle weg.

    Teil zwei am Dienstag in Europa heute: Das Ende der westlichen Blockade? Weißrussland , die Östliche Partnerschaft und die Europäische Union