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Geburt einer Selbstinszenierung

Manche sehen ihn als den ersten Medienstar Italiens. Er benannte das "Sandwich" in "Tramezzino" um: Gabriele D’Annunzio, Dichter, Kriegsheld und genialer Selbstvermarkter, führte das Leben eines Bohemiens, bis er sich als Soldat neu erfand. Seine Auftritte wurden zum Vorbild für Mussolini.

Von Maike Albath |
    "Wieder ist ein junger Mensch geschlagen, wieder ist ein Leben vollendet, wieder ist eine Kraft versiegt. Aber auch bei dieser Beerdigung schmücken wir Kämpfenden nicht den Tod, sondern preisen das Leben! Wir überlassen uns nicht der Trauer, sondern feiern den Triumph!"

    Mit martialischen Worten ehrte der Dichter Gabriele D’Annunzio im Winter 1917 einen Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Seine Reden waren berühmt und wurden im Radio übertragen. Sie kamen der italienischen Regierung sehr zupass: Es galt, den verlustreichen Krieg zu rechtfertigen und die Soldaten auf die Verteidigung der Nation einzuschwören. D’Annunzio, am 12. März 1863 als Sohn einer bürgerlichen Familie in Pescara geboren und selbst ein hochdekorierter Flieger, hatte schon früh ein glanzvolles Leben angestrebt. Selbstbewusst wandte er sich an den Nobelpreisträger für Literatur Giosué Carducci:

    "Ich bin sechzehn Jahre alt, und schon spüre ich in der Seele und im Geist das erste Feuer jener Jugend erglühen, die naht: in meinem Herzen tief eingeprägt ist ein maßloser Wunsch nach Wissen und Ruhm."

    Der Vater finanzierte D’Annunzio 1879 seinen ersten, hoch gelehrten Lyrikband, und der Nachwuchsdichter entpuppte sich als Verkaufsgenie in eigener Sache: Der Verfasser sei bei einem Reitunfall ums Leben gekommen, ließ er verlauten. Sofort war der junge Mann in aller Munde. Nach dem Studium in Rom ergriff er den Beruf des Journalisten und avancierte zum Liebling der Salons. D‘Annunzio kultivierte Nietzsches Idee vom Übermenschen, kreiste in seinen Werken um die Begriffe Wille, Wollust, Stolz und Instinkt und verarbeitete in seinen pompösen Gedichten eine Fülle europäischer Einflüsse, die er aber sorgfältig verdeckte. Mit dem skandalumwitterten Roman Lust von 1889 wurde er zum Repräsentanten des Dekadentismus und war nun endgültig international berühmt. Das erlaubte ihm, eine gefeierte Frau zu umgarnen: die Schauspielerin Eleonora Duse.

    "Da Du die einzige Offenbarung bist, die eines Dichters würdig ist, und da ich ein großer Dichter bin, ist es notwendig – vor den heilige Gesetzen des Geistes -, dass Du Deine Kraft meiner Kraft übergibst – Du Eleonora Duse mir Gabriele D’Annunzio."

    Er gebärdete sich wie ein Renaissancefürst, dabei ertrank er in Schulden. D’Annunzio nutzte die Affäre als Kampagne in eigener Sache. Er schrieb Eleonora Duse Theaterstücke auf den Leib, die sie aufführte und finanzierte. Nach einigen Jahren wurde er der Schauspielerin überdrüssig und verfasste den pathostrunkenen Roman Das Feuer, der 1900 erschien. Ein gehässiges Porträt der Freundin, die alternd alle Reize verliert, während der Held vor "bestialischer Wildheit" strotzt und sich einer jüngeren Frau zuwendet. Die Duse hielt trotzdem an ihm fest. Ihr Impresario bat sie, die Veröffentlichung zu verbieten.

    "Ich kenne den Roman, und ich werde den Druck nicht verhindern. Mein Leiden zählt nicht, wenn es darum geht, der italienischen Literatur noch ein Meisterwerk zu schenken. Und dann … ich bin vierzig und ich liebe!"

    Bald kam es dann doch zum Bruch. D’Annunzio floh vor seinen Gläubigern nach Frankreich, bis er sich durch seine Einsätze im Ersten Weltkrieg rehabilitieren konnte und mit waghalsigen Aktionen, wie dem Abwurf tausender Flugblätter über Wien, Aufmerksamkeit erregte. Doch kurz nach Kriegsende sprach D’Annunzio von einem "verstümmelten" Sieg seines Landes, denn das istrische Fiume, heute Rijeka, sollte nicht mehr zu Italien gehören. In einem spektakulären Handstreich eroberte der Dichter 1919 mit seinen Freischärlern die wohlhabende Hafenstadt und etablierte für ein Jahr ein autokratisch-anarchistisches Regime. Dem aufkommenden Faschismus stand er zunächst positiv gegenüber, ohne je Mitglied der Partei zu werden. Mussolini kopierte die Auftritte des flamboyanten Dichters und besuchte ihn auf dessen Anwesen am Gardasee, wo D’Annunzio, von Kokain zerrüttet, am 1. März 1938 starb.