Milbradt: Guten Morgen.
Liminski: Herr Milbradt, Sie und Ihre Kollegen seien höfliche Menschen und würden schon deshalb einer Einladung ins Kanzleramt folgen, meinte Frau Merkel gestern im Deutschlandfunk. Natürlich braucht man auch in der Politik höfliche Umgangsformen. Reicht das aber aus, um die Probleme zu lösen? Gibt es ein besonderes Interesse der Ostländer an einem Reformgipfel?
Milbradt: Es gibt ein besonderes Interesse an den Reformen, weil uns in Ostdeutschland die Wirtschaftsmisere in Deutschland bei der schwachen Ausgangslage natürlich besonders trifft. Deshalb möchten wir, dass die notwendigen Dinge angebracht werden, was Gipfel und ähnliches angeht. Ich habe gesagt, ich will einer Einladung nachkommen, aber ich sehe natürlich die Gefahr, dass wir Parlamente nicht völlig ausschalten können. Wenn nur noch Gipfel gemacht werden, brauchen wir keinen Bundestag und Bundesrat, das wären dann nur noch Abnick-Organe. Das kann auch nicht richtig sein. In Ausnahmefällen ja, als Regel nein. Das ist meine Position.
Liminski: Bayerns Ministerpräsident Stoiber sieht die Union in der Pflicht, eigene Vorschläge zu unterbreiten, wenn die Regierung das verlangte seriöse Finanzierungskonzept für das Vorziehen der Steuerreform schuldig bleibe. Schert Bayern damit aus der Unionsfront aus? Ist das auch Ihre Meinung?
Milbradt: Wir haben ja in der Vergangenheit unsere Positionen deutlich gemacht. Zunächst einmal muss aber die Regierung ihre Politik, ihre Ziele klarlegen. Sie ist ja vom Wähler gewählt worden, man kann ja das Wahlergebnis nun nicht anders interpretieren. Die Regierung ist zwar dran, aber die Opposition soll die Regierungsarbeit tun? So wird es nicht laufen. Klar ist auf jeden Fall: Wir brauchen nicht nur taktische Finessen, sondern wir brauchen eine Auseinandersetzung und eine Diskussion über die wahren Gründe. Das ist auch der Union natürlich klar.
Liminski: Diese Auseinandersetzung ist bei der Gesundheit in einer Konsensrunde geschaffen worden. Sozialministerin Schmidt hat nun nach diesem Modell der Gesundheitsreform auch Konsensrunden für die Pflege und die Rente vorgeschlagen. Halten Sie das für den richtigen Weg?
Milbradt: Wir hatten in der Krankenversicherung eine besondere Situation, deswegen war das richtig. Bei der Pflege mag das so ähnlich sein. Bei der Rente hatten wir ja gerade die sogenannten Jahrhundertreformen von Riester. Hier muss nachgebessert werden. Ich glaube nicht, dass man das ganze Sozialsystem sozusagen in Kungelrunden unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird verhandeln können. Noch einmal: Wenn es erfolgreich Chancen gibt, Probleme zu lösen, werde ich mich dem nicht entziehen. Uns kommt es auf die Lösung an, wobei das Verfahren in einer Demokratie allerdings nicht uninteressant ist.
Liminski: Heute, Herr Milbradt, trifft die Rürup-Kommission zu ihrer letzten Sitzung zusammen. 400 Seiten stark ist der Bericht, den sie am Freitag vorlegen wird. Als Hauptursache für die Notwendigkeit von Sozialreformen hat Rürup das demographische Defizit ausgemacht. Es fehlen die Kinder, sagte er vor ein paar Wochen lapidar. Nun trifft dieses Defizit besonders stark die östlichen Bundesländer. Haben Sie ein eigenes Konzept gegen diese Misere?
Milbradt: Zunächst einmal: Die Union arbeitet ja parallel in einer eigenen Kommission auch zu diesem Thema. Wir werden auch in einigen Wochen dort die Ergebnisse haben und nebeneinander legen können. Dort wird es sicherlich Unterschiede geben. Der Hauptgrund ist, glaube ich, zwischen Experten unstreitig: Wir haben eine dramatische Veränderung der Geburtenrate nach unten und damit ein Ungleichgewicht in der Bevölkerung, und dieses ist in Ostdeutschland besonders groß. Deswegen werden diese Anpassungsprozesse, die ja nicht nur die Sozialsysteme tangieren - das ist sozusagen ein kleinerer Aspekt, der eigentliche ist der gesellschaftliche Aspekt -, natürlich mit Macht die ostdeutschen Länder treffen und haben sie teilweise schon getroffen. Man muss sich alleine die Zahl der Schüler ansehen, die dramatisch zurückgegangen ist, weil es keine Kinder mehr gibt.
Liminski: Haben Sie denn ein eigenes Konzept gegen diese Misere für den Osten?
Milbradt: Nein, wir haben kein eigenes Konzept. Das ist leider nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa so. Uns ist klar in Ostdeutschland - und das gilt besonders für Sachsen -, dass wir eher eine Antwort darauf finden müssen, nicht dass wir das Geburtendefizit beseitigen, sondern wie wir mit dieser neuen Situation umgehen. Es bedeutet ein anderes Verhältnis der Generationen. Die Innovationsfähigkeit, die normalerweise von jungen Leuten in eine Gesellschaft hineingebracht wird, muss jetzt auch stärker von Älteren wahrgenommen werden. Wir müssen die Älteren wenn schon nicht biologisch, dann wenigstens geistig jünger machen, um auf diese Art und Weise einen Teil des Problems zu lösen. Das zweite wird auch sein: Wir werden eine andere Form von Arbeit im zunehmenden Alter haben, wo die Chancen der Arbeitnehmer gestärkt und vor allen Dingen ihre Erfahrung stärker genutzt wird. Das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, nämlich die Älteren aus dem Arbeitsleben völlig ausblenden, kann sich nur eine Gesellschaft leisten, die im Überfluss ist.
Liminski: Ein oder vielleicht sogar der Schlüsselbegriff in der Reformdiskussion ist das Humankapital. Wenn ich Sie recht verstehe, wäre es ein Weg, in das vorhandene Humankapital zu investieren, etwa in die Umschulung und Weiterbildung älterer Arbeitnehmer.
Milbradt: Natürlich. Wobei das nicht nur eine Aufgabe des Staates ist, sondern auch des einzelnen selber, um die Chancen zu erhöhen. Wir brauchen lebenslanges Lernen. Das wird völlig neue Konzepte erfordern. Das sind nicht die klassischen Umschulungsmaßnahmen, sondern man darf gar nicht erst in die Situation kommen. Man muss also ständig weiterqualifizieren. Die Hochschulen werden eine andere Rolle haben. Sie werden nicht nur junge Studenten ausbilden, sondern werden die Absolventen nach einigen Jahren wieder nachschulen, auf den neuen Stand bringen müssen, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch an Ältere vermitteln. Dies bedeutet eben einen Umbau unseres ganzen Bildungssystems in Richtung der älteren Mitbürger.
Liminski: Man muss die Familie wegen der demographischen Entwicklung, Herr Milbradt, nicht gleich unter Artenschutz stellen, aber man sollte sie vielleicht doch mehr schonen oder mehr fördern als das seit Jahrzehnten geschieht?
Milbradt: Das ist richtig. Wir brauchen eine starke Ausgewogenheit unserer Förderung. Wenn es eben richtig ist, dass Kinder unsere Zukunft sind, dann müssen diejenigen, die persönlich viel dazu beitragen - also die Eltern - stark unterstützt werden. Das bedeutet eben auch eine finanzielle Unterstützung. Ich glaube, das allein ist es aber nicht. Wir brauchen auch eine moralische Unterstützung, eine Unterstützung der Öffentlichkeit für die Arbeit. Die ideale Lebensform sind nicht die "Dinks", wie es im Amerikanischen heißt - "double income, no kids" -, sondern es ist die Familie mit Kindern. Wenn wir die nicht mehr als Basis unserer Gesellschaft haben, wird die nächste Generation darunter leiden, denn das Humankapital fehlt. Wenn es nicht durch andere Aspekte wie zum Beispiel physisches Kapital oder eben Nachschulen des vorhandenen Kapitals ersetzt oder ergänzt wird, werden wir unseren Lebensstandard nicht halten können.
Liminski: Das war Georg Milbradt, Ministerpräsident von Sachsen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Milbradt.
Milbradt: Danke.
Link: Interview als RealAudio
Liminski: Herr Milbradt, Sie und Ihre Kollegen seien höfliche Menschen und würden schon deshalb einer Einladung ins Kanzleramt folgen, meinte Frau Merkel gestern im Deutschlandfunk. Natürlich braucht man auch in der Politik höfliche Umgangsformen. Reicht das aber aus, um die Probleme zu lösen? Gibt es ein besonderes Interesse der Ostländer an einem Reformgipfel?
Milbradt: Es gibt ein besonderes Interesse an den Reformen, weil uns in Ostdeutschland die Wirtschaftsmisere in Deutschland bei der schwachen Ausgangslage natürlich besonders trifft. Deshalb möchten wir, dass die notwendigen Dinge angebracht werden, was Gipfel und ähnliches angeht. Ich habe gesagt, ich will einer Einladung nachkommen, aber ich sehe natürlich die Gefahr, dass wir Parlamente nicht völlig ausschalten können. Wenn nur noch Gipfel gemacht werden, brauchen wir keinen Bundestag und Bundesrat, das wären dann nur noch Abnick-Organe. Das kann auch nicht richtig sein. In Ausnahmefällen ja, als Regel nein. Das ist meine Position.
Liminski: Bayerns Ministerpräsident Stoiber sieht die Union in der Pflicht, eigene Vorschläge zu unterbreiten, wenn die Regierung das verlangte seriöse Finanzierungskonzept für das Vorziehen der Steuerreform schuldig bleibe. Schert Bayern damit aus der Unionsfront aus? Ist das auch Ihre Meinung?
Milbradt: Wir haben ja in der Vergangenheit unsere Positionen deutlich gemacht. Zunächst einmal muss aber die Regierung ihre Politik, ihre Ziele klarlegen. Sie ist ja vom Wähler gewählt worden, man kann ja das Wahlergebnis nun nicht anders interpretieren. Die Regierung ist zwar dran, aber die Opposition soll die Regierungsarbeit tun? So wird es nicht laufen. Klar ist auf jeden Fall: Wir brauchen nicht nur taktische Finessen, sondern wir brauchen eine Auseinandersetzung und eine Diskussion über die wahren Gründe. Das ist auch der Union natürlich klar.
Liminski: Diese Auseinandersetzung ist bei der Gesundheit in einer Konsensrunde geschaffen worden. Sozialministerin Schmidt hat nun nach diesem Modell der Gesundheitsreform auch Konsensrunden für die Pflege und die Rente vorgeschlagen. Halten Sie das für den richtigen Weg?
Milbradt: Wir hatten in der Krankenversicherung eine besondere Situation, deswegen war das richtig. Bei der Pflege mag das so ähnlich sein. Bei der Rente hatten wir ja gerade die sogenannten Jahrhundertreformen von Riester. Hier muss nachgebessert werden. Ich glaube nicht, dass man das ganze Sozialsystem sozusagen in Kungelrunden unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird verhandeln können. Noch einmal: Wenn es erfolgreich Chancen gibt, Probleme zu lösen, werde ich mich dem nicht entziehen. Uns kommt es auf die Lösung an, wobei das Verfahren in einer Demokratie allerdings nicht uninteressant ist.
Liminski: Heute, Herr Milbradt, trifft die Rürup-Kommission zu ihrer letzten Sitzung zusammen. 400 Seiten stark ist der Bericht, den sie am Freitag vorlegen wird. Als Hauptursache für die Notwendigkeit von Sozialreformen hat Rürup das demographische Defizit ausgemacht. Es fehlen die Kinder, sagte er vor ein paar Wochen lapidar. Nun trifft dieses Defizit besonders stark die östlichen Bundesländer. Haben Sie ein eigenes Konzept gegen diese Misere?
Milbradt: Zunächst einmal: Die Union arbeitet ja parallel in einer eigenen Kommission auch zu diesem Thema. Wir werden auch in einigen Wochen dort die Ergebnisse haben und nebeneinander legen können. Dort wird es sicherlich Unterschiede geben. Der Hauptgrund ist, glaube ich, zwischen Experten unstreitig: Wir haben eine dramatische Veränderung der Geburtenrate nach unten und damit ein Ungleichgewicht in der Bevölkerung, und dieses ist in Ostdeutschland besonders groß. Deswegen werden diese Anpassungsprozesse, die ja nicht nur die Sozialsysteme tangieren - das ist sozusagen ein kleinerer Aspekt, der eigentliche ist der gesellschaftliche Aspekt -, natürlich mit Macht die ostdeutschen Länder treffen und haben sie teilweise schon getroffen. Man muss sich alleine die Zahl der Schüler ansehen, die dramatisch zurückgegangen ist, weil es keine Kinder mehr gibt.
Liminski: Haben Sie denn ein eigenes Konzept gegen diese Misere für den Osten?
Milbradt: Nein, wir haben kein eigenes Konzept. Das ist leider nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa so. Uns ist klar in Ostdeutschland - und das gilt besonders für Sachsen -, dass wir eher eine Antwort darauf finden müssen, nicht dass wir das Geburtendefizit beseitigen, sondern wie wir mit dieser neuen Situation umgehen. Es bedeutet ein anderes Verhältnis der Generationen. Die Innovationsfähigkeit, die normalerweise von jungen Leuten in eine Gesellschaft hineingebracht wird, muss jetzt auch stärker von Älteren wahrgenommen werden. Wir müssen die Älteren wenn schon nicht biologisch, dann wenigstens geistig jünger machen, um auf diese Art und Weise einen Teil des Problems zu lösen. Das zweite wird auch sein: Wir werden eine andere Form von Arbeit im zunehmenden Alter haben, wo die Chancen der Arbeitnehmer gestärkt und vor allen Dingen ihre Erfahrung stärker genutzt wird. Das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, nämlich die Älteren aus dem Arbeitsleben völlig ausblenden, kann sich nur eine Gesellschaft leisten, die im Überfluss ist.
Liminski: Ein oder vielleicht sogar der Schlüsselbegriff in der Reformdiskussion ist das Humankapital. Wenn ich Sie recht verstehe, wäre es ein Weg, in das vorhandene Humankapital zu investieren, etwa in die Umschulung und Weiterbildung älterer Arbeitnehmer.
Milbradt: Natürlich. Wobei das nicht nur eine Aufgabe des Staates ist, sondern auch des einzelnen selber, um die Chancen zu erhöhen. Wir brauchen lebenslanges Lernen. Das wird völlig neue Konzepte erfordern. Das sind nicht die klassischen Umschulungsmaßnahmen, sondern man darf gar nicht erst in die Situation kommen. Man muss also ständig weiterqualifizieren. Die Hochschulen werden eine andere Rolle haben. Sie werden nicht nur junge Studenten ausbilden, sondern werden die Absolventen nach einigen Jahren wieder nachschulen, auf den neuen Stand bringen müssen, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch an Ältere vermitteln. Dies bedeutet eben einen Umbau unseres ganzen Bildungssystems in Richtung der älteren Mitbürger.
Liminski: Man muss die Familie wegen der demographischen Entwicklung, Herr Milbradt, nicht gleich unter Artenschutz stellen, aber man sollte sie vielleicht doch mehr schonen oder mehr fördern als das seit Jahrzehnten geschieht?
Milbradt: Das ist richtig. Wir brauchen eine starke Ausgewogenheit unserer Förderung. Wenn es eben richtig ist, dass Kinder unsere Zukunft sind, dann müssen diejenigen, die persönlich viel dazu beitragen - also die Eltern - stark unterstützt werden. Das bedeutet eben auch eine finanzielle Unterstützung. Ich glaube, das allein ist es aber nicht. Wir brauchen auch eine moralische Unterstützung, eine Unterstützung der Öffentlichkeit für die Arbeit. Die ideale Lebensform sind nicht die "Dinks", wie es im Amerikanischen heißt - "double income, no kids" -, sondern es ist die Familie mit Kindern. Wenn wir die nicht mehr als Basis unserer Gesellschaft haben, wird die nächste Generation darunter leiden, denn das Humankapital fehlt. Wenn es nicht durch andere Aspekte wie zum Beispiel physisches Kapital oder eben Nachschulen des vorhandenen Kapitals ersetzt oder ergänzt wird, werden wir unseren Lebensstandard nicht halten können.
Liminski: Das war Georg Milbradt, Ministerpräsident von Sachsen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Milbradt.
Milbradt: Danke.
Link: Interview als RealAudio