Dienstag, 30. April 2024

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Gedenkfeier für Frank Schirrmacher
"Ein totaler Journalist"

Bei der Gedenkfeier für den Frank Schirrmacher sei noch einmal gezeigt worden, wie intensiv und vollständig er Journalist gewesen sei, sagte Jürgen Kaube von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über seinen früheren Kollegen. Erinnert worden sei auch an Schirrmachers "unbändige Lust daran, Witze zu reißen."

Jürgen Kaube im Gespräch mit Änne Seidel | 22.06.2014
    Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, spricht am 31.05.2014 bei der Verleihung des Medienpreises für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) im Kurhaus in Wiesbaden (Hessen). Der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, ist tot.
    Frank Schirrmacher war Mitherausgeber der "FAZ" und Leiter des Feuilletons. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Änne Seidel: Anderthalb Wochen ist es jetzt her, dass uns die traurige Nachricht vom Tod Frank Schirrmachers erreichte. Die Reaktionen auf diesen Verlust waren überwältigend. In den Feuilletons und auch im Netz würdigten Kollegen und Freunde von Günther Jauch bis Giovanni di Lorenzo die Verdienste des Publizisten und "FAZ"-Mitherausgebers. Was dabei auffiel war der persönliche Ton vieler dieser Erinnerungen, die vielen prägenden Begegnungen, anregenden Gespräche und kleinen Anekdoten, von denen da die Rede war. Und auch jetzt, anderthalb Wochen nach Schirrmachers Tod, sind die Gespräche und Erinnerungen über und an ihn noch nicht verklungen. Heute fand die Gedenkfeier für Frank Schirrmacher statt. In Sacrow bei Potsdam, wo Schirrmacher wohnte, verabschiedeten sich Familie, Freunde und Kollegen von ihm. Dort war auch Jürgen Kaube von der "FAZ", und er teilt jetzt ein paar Eindrücke mit uns von der Gedenkfeier. Herr Kaube, wie wurde heute an Frank Schirrmacher erinnert?
    Jürgen Kaube: Nun, es war ein Trauergottesdienst, ein evangelischer Trauergottesdienst - Frank Schirrmacher war evangelisch -, der von Wolfgang Huber, dem Bischof, gehalten wurde, und es gab Ansprachen über das hinaus, was an einem solchen Trauergottesdienst, sagen wir, liturgisch vorgesehen ist. Es ist interessant, dass - Sie hatten es gerade erwähnt - so viele Erinnerungen an Frank Schirrmacher aufgeschrieben worden sind, die ja aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen heraus kommen: aus der Unterhaltungswelt, aus dem Film, aus der Politik, aus der Wirtschaft und der Literatur. Gesprochen haben hier die Journalisten: Der Herausgeber der "FAZ", Berthold Kohler, ein Kollege von der "Süddeutschen Zeitung", Alexander Gorko, Kollegen direkt aus dem Feuilleton, Dirk Schümer und Edo Reents, Mathias Döpfner vom Springer-Verlag und die Gattin Rebecca Casati, die ja auch Autorin und Journalistin ist. Und das ist, glaube ich, ganz bezeichnend. Es wurde noch einmal gezeigt, wie intensiv und vollständig, man möchte fast sagen total er ein Journalist war und diesen Beruf liebte, konnte und versuchte, sozusagen die ganze Welt in diesen kleinen Ausschnitt Feuilleton hineinzubringen.
    Seidel: Ein Vollblut-Journalist, sagen Sie. Gab es noch andere Leitbilder, die anklangen in den Reden?
    Kaube: Ein Motiv, das sowohl in der Predigt von Herrn Huber als auch in einzelnen Ansprachen vorkam, war das Motiv der Unverzagtheit. Man könnte auch sagen, seines unbedingten Willens, die Welt zu verblüffen mit dem Journalismus und zu zeigen in der Zeitung, was es alles gibt und was man ohne die Zeitung gar nicht sehen würde, sein Vergnügen auch daran, die Leute in Erstaunen zu setzen, und ungewöhnliche Dinge zu tun. Manche haben das ja dann manchmal etwas übertrieben gefunden, aber dieses Verblüffungsmoment, das war sicherlich etwas, was ganz stark in seinem Charakter da war. Daran schloss sich ein bisschen an - das gab es auch in verschiedenen Ansprachen, auch in der, wie soll ich sagen, natürlich sehr mitgenommenen Ansprache der Gattin, das Motiv seines Humors, dieser unbändigen Lust daran, Witze zu reißen. Als sie erzählte, was ja sicherlich sehr ungewöhnlich ist, dass der erste Satz, den er zu ihr sagte, als sie sich noch gar nicht kennengelernt hatten, der Satz war: "Auf Fotos sehen Sie eigentlich besser aus als in Wirklichkeit", das ist sicherlich etwas ungewöhnlich und das charakterisierte ihn. Das haben auch viele Kollegen immer wieder erzählt, sein Vergnügen daran, Witze zu reißen.
    "Ein ungeheuer erregungsbereiter Mensch"
    Seidel: Gibt es für Sie persönlich eine besondere Szene, eine Begebenheit, die Sie mit Frank Schirrmacher verbinden und die Sie auf jeden Fall in Erinnerung behalten werden?
    Kaube: Es sind ganz viele, aber natürlich ist es der Mann, der im Grunde genommen für jegliche Idee und, fast möchte ich sagen, für jegliche Position - das mussten nicht seine eigenen sein - offen war, wenn sie ihm nur irgendwie in eine Art Erregung versetzen konnte. Also ein ungeheuer erregungsbereiter Mensch, und viele von uns haben das auch geschrieben: die nächtlichen E-Mails, da ist etwas, passen Sie auf, da gibt's was, haben Sie das schon gelesen. Das konnte einen praktisch den ganzen Tag und auch die ganze Nacht über erreichen und das war sehr, sehr charakteristisch für ihn. Und etwas, was auch in diesen Ansprachen ständig vorkam eigentlich, dass er so häufig als Kind beschrieben wurde, kindlich vom Aussehen, manchmal auch vom Charakter, von diesem sich nicht auf Konventionen einlassen, auch innerhalb des Journalismus, der ja auch seine ganz konventionellen Seiten hat. Das ist sicherlich eine Beschreibung, die richtig ist. Man muss hinzunehmen, dass es auch so etwas wie eine kindliche Grundangst bei ihm gegeben hat, eine Sorge, mal um die Welt, mal um die Zeitung. Diese sehr, wie soll ich sagen, unbefangen nannte es Mathias Döpfner, diese sehr unbefangene Art, auf die Welt zuzugehen, manchmal auch die Leute dadurch dann natürlich verletzend oder überfordernd, aber das sind so Charakterzüge, die einem sehr, sehr deutlich vor Augen stehen, auch wenn man jetzt wie ich gar nicht unmittelbar zum Freundeskreis gehörte, sondern einfach ein Kollege war und ihn halt 15 Jahre lang in der Zeitung erlebte, und da gab es was zu erleben.
    Seidel: In den Tagen nach Schirrmachers Tod - das habe ich zumindest aus vielen Nachrufen herausgelesen - überwog ja vor allem die Erschütterung über diesen plötzlichen, unerwarteten, viel zu frühen Tod. Man schien es, erst gar nicht so richtig fassen zu können. Wie ist die Stimmung jetzt in Ihrer Redaktion?
    Kaube: Sie ist gefasst. Wir haben einen Übergangsherausgeber, der eigentlich ja in das verdiente Rentendasein gehen wollte, Günther Nonnenmacher, der politische Herausgeber. Der macht das jetzt ein paar Monate lang, sodass etwas Ruhe hineinkommt. Wir machen unsere Arbeit weiter. Es gibt so viele Anregungen. Es gibt eine lange Liste von Texten, die er von einem sich erwünscht hat, die noch nicht geschrieben sind. Man kann sehr, sehr viel noch machen, was, wenn man so will, noch in seinem Planungshorizont lag, und ich denke, das wird das sein, was wir jetzt die nächsten Wochen einfach machen. Wir machen gutes Feuilleton. Er hätte - das wurde auch hier mehrfach betont - irgendwann auch gesagt, so, jetzt ist Schluss, jetzt geht's weiter, was ist los.
    Seidel: Sagt Jürgen Kaube anlässlich der Gedenkfeier für Frank Schirrmacher. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.