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Zum Tod Frank Schirrmachers
"Er hat das Feuilleton für neue Welten geöffnet"

Frank Schirrmacher habe das Feuilleton für neue Themen und neue Wissenschaften geöffnet - und damit letztendlich gerettet, sagt Hajo Steinert, Leiter der Literaturredaktion des Deutschlandfunks. Darüberhinaus habe Schirrmacher dem Journalismus eine neue Gattung geschenkt.

Hajo Steinert im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.06.2014
    Frank Schirrmacher
    Frank Schirrmacher (1959-2014) (dpa / picture alliance / Frank Pusch)
    Christoph Heinemann: Michael Naumann, der ehemalige Kulturstaatsminister, über Frank Schirrmacher:
    Michael Naumann: " Lassen Sie mich erst einmal sagen, dass mich dieser frühe Tod absolut schockiert hat, denn er war sicherlich der lebendigste Feuilleton-Chef Deutschlands seit Jahrzehnten. Also er war auf alle Fälle ein Mann mit einem enormen Innovationspotenzial, ein blitzgescheiter, innovativer, gut schreibender Intellektueller. Also in anderen Worten: Er war höchst ungewöhnlich in seiner Neugier auf andere, auf anderes, auch auf andere Menschen, aber zweifellos auch schwierig im Umgang."
    Heinemann: Michael Naumann, der frühere Kulturstaatsminister. Im Studio ist jetzt Hajo Steinert von unserer Literaturredaktion. Guten Morgen.
    Hajo Steinert: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Steinert, wir lieben die überregionalen Zeitungen. Wir schauen mal: die "Frankfurter Rundschau" hat Fußball auf Seite eins, aber schon die "Süddeutsche Zeitung" hat rechts Frank Schirrmacher. Die "Bild"-Zeitung mit Frank Schirrmacher, hier oben links. "Die Welt" ein großes Bild von Frank Schirrmacher. Und natürlich - das ist allerdings jetzt kein Wunder - die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Frank Schirrmacher, der Mitherausgeber der FAZ, ist gestern im Alter von 54 Jahren gestorben: Publizist, Herausgeber, Kulturchef wie gesagt. Wie hat er, wenn wir damit vielleicht beginnen, die Kulturberichterstattung der FAZ ausgerichtet?
    Steinert: Er hat sie sehr verändert, als er in sein Amt kam. Er trat ja das Erbe an zunächst in der Literatur, das große Erbe von Marcel Reich-Ranicki, und die Literaturredaktion hat er gleich revolutioniert, indem er sich sozusagen abkehrte von den alten Traditionen, ganz alten Traditionen der Gruppe 47, Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser. Das war für ihn nicht mehr so maßgeblich und er war eigentlich nicht der geborene Literaturredakteur, der Literaturkritiker. Er hatte ein großes Misstrauen gegenüber der Ideologie in der Literatur, auch gegenüber allem, was noch im Kontext der 68er war. Das ist geschuldet seiner Generation, 1959 geboren. Da hatte er auch nicht mit den Dingen zu tun, die vor der deutschen Einheit stattgefunden haben. In die Diskussion hat er sich nicht eingemischt, die hat er auch nicht so recht verstanden. Deswegen war er gar kein Anhänger der DDR-Literatur zum Beispiel und die Intellektuellen in der DDR waren keine Anhänger von Frank Schirrmacher. Er hat sie gleichsam ignoriert und er hat einen neuen Weg gesucht. Heraus aus diesen engen Kasten der Literaturkritik, des Literaturfeuilletons ist er dann übergegangen und hat nach und nach das Feuilleton geöffnet für andere Tendenzen, Gentechnik, Hirnforschung, Informationstechnologie. Alles das, das war sozusagen aus der Not eine Tugend gemacht. Er hat das Feuilleton aber auch geöffnet für Dinge, die eigentlich in den anderen Ressorts vorherrschend waren, und das war revolutionär.
    Heinemann: Aber er hat beides bestehen lassen. Er hat Reich-Ranicki auch seinen Freiraum gelassen und gleichzeitig dann die Informatik reingeholt.
    Steinert: Er hat ihnen einen Freiraum gelassen, die Macht hatte er nicht. Reich-Ranickis Macht, die wirkte immer weiter. Er hat ihn versucht zu ersetzen. Er hat ihn nachher auch sozusagen, nachdem es auch wirklich Streitereien zwischen den beiden gab – ich war selber Zeuge davon, wie die Richtungskämpfe dann im Feuilleton und in der Literaturkritik ausgetragen wurden.
    Heinemann: Wie ging das? Schildern Sie uns das.
    Steinert: Er hat ihn dann nachher sozusagen legitimiert, indem er sich an Reich-Ranickis Seite gestellt hatte, als Martin Walser "Tod eines Kritikers" geschrieben hatte. Das war ja so eine Art Schlüsselroman, in dem es um Reich-Ranicki ging. Da hatte dann Schirrmacher den Vorabdruck dieses Romans abgelehnt und er hat auch diese Diskussion mit Günter Grass natürlich geführt. Er war keiner, der der Literatur die Macht gab, sondern er sah dann sozusagen andere Chancen für sein Feuilleton. Das hat er eröffnet und er hat auch große Dinge gemacht. Er hat die Radioseite zum Beispiel im Feuilleton eingeführt. Davon profitieren die Radiosender, dass jeden Tag die Highlights gebracht werden. Er hat allerdings auch die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" gegründet in Zeiten der ökonomischen Krise von Zeitungen. So wurde der "Welt am Sonntag", der "Bild am Sonntag", alle die Zeitungen, die auch heute lobend über ihn schreiben, sozusagen auch eine Konkurrenz gegeben. Das waren schon Schelmenstücke von Frank Schirrmacher.
    Heinemann: Sein Vorgänger Joachim Fest hatte als Herausgeber der FAZ ja etwa im Historikerstreit Flagge gezeigt. War Schirrmacher ähnlich streitbar?
    Steinert: Er war streitbar, aber aus anderen Gründen. Er war ein Eklektizist. Er war politisch überhaupt nicht einzuordnen. Das liegt aber auch an seiner Generation und seinem großen Gespür für Themen, die nicht im Historischen lagen. Er hat ein Gespür gehabt mit seiner Redaktion, die ihm natürlich immer geholfen hat, sehr populäre Bücher zu schreiben. Wenn die Wirkungsmacht von Schirrmacher heute beschworen wird, von seinen Generationsgenossen, zum Beispiel in der FAZ selbst von Edo Reents, da heißt es, dass er der wort- und wirkmächtigste Kulturjournalist gewesen sei, den Deutschland je hatte. Das ist natürlich unter dem Schock des Todes eine maßlose Übertreibung, das wollen wir so verstehen. Aber was er geleistet hat, Frank Schirrmacher, vor allen Dingen mit seinen Büchern sich ans Publikum zu wenden. Er war ein Eklektiker, er hat die großen Themen genommen, er hatte ein Gespür für große Themen und hat die früh formuliert und in seinen Büchern sozusagen zusammengefasst, was die Wissenschaft nicht geschafft hat. Schauen Sie, alleine so ein Titel "Payback", warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen. Das hat sozusagen einen Ratgeber-Touch, so ein Buch. Oder "Das Spiel des Lebens", "EGO" und andere Dinge auch, die er geschrieben hat, die alle Bestseller wurden. Er hatte diesen raunenden Ton, diesen aufklärerischen Ton, dieses Pathos. Er war sehr beeinflusst von der Wissenschaft, seine Wirkung ging aber nicht in die Wissenschaft zurück, sondern aufs Publikum. Das hat er gewonnen mit seinen Bestsellern.
    Heinemann: Ein Zitat aus dem Artikel, Sie haben ihn angesprochen, des Feuilletons heute der FAZ von Edo Reents am Schluss: "Schließen wir in leichter Abwandlung mit den Worten des treuen Chronisten aus Thomas Manns "Dr. Faustus": Gott sei eurer Seele gnädig, mein Freund." Joachim Fest war der, der seitenlang über Thomas Mann und Richard Wagner schreiben konnte und wunderbar faszinierend erzählen konnte. Das war Schirrmacher nicht.
    Steinert: Nein, nein! Das war er nicht. Das war er schon nicht als Doktorand. Er hat eine nicht sehr beachtete Promotion über Franz Kafka geschrieben. Er war nicht der große Literaturwissenschaftler. Er hatte auch Mühe, die Promotion als Dissertation akzeptiert zu bekommen. Also er war nicht der Große. Er war aber ein durchaus romantisch beseelter Mann. Das müssen wir festhalten. Es ging ihm immer schon von früh an, auch wenn er sich mit Rilke und solchen Dingen beschäftigte, um die Behauptung des Ichs in einer immer komplizierteren Welt. Wenn man heute spricht, ist er jetzt links gewesen oder rechts gewesen, dann würde ich antworten, er war ein Romantiker. Er war einer, der das Ich herausgesucht hat. Er sah die Bedrohung des Ichs im Informationszeitalter in einer Übermacht nehmenden Ökonomie. Das war sozusagen der Grund seines Erfolgs, dass er den Einzelnen gesehen hat in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft, und darin liegt natürlich durchaus sein Verdienst, wenn er sein Publikum damit erreicht, und damit hat er Szenen und Trends gesetzt.
    Heinemann: Aufsehen erregend war der 14. August 2006, Schirrmachers FAZ-Interview mit Günter Grass, in dem dieser einräumt, in den letzten Kriegstagen als SS-Sturmmann zur Waffen-SS eingezogen worden zu sein. Das heißt, wir reden hier auch über einen bedeutenden Journalisten.
    Steinert: Ein guter Fragensteller!
    Heinemann: Ja.
    Steinert: Das ist erst mal nicht bedeutend. Er hat es geschafft, aus Günter Grass etwas herauszuholen, was er an anderer Stelle sicherlich auch gesagt hätte. Wir wollen das nicht überziehen.
    Heinemann: Das ist schwer genug, sage ich Ihnen als Frühmoderator dieser Sendung.
    Steinert: Gute Fragen zu stellen, das ist es. Er war allerdings nicht der Fragensteller so sehr als Kulturjournalist; er war einer, der das Ohr am Puls der Zeit hatte, und er hat gehört, auch darauf gehört, was ihm die Fachkollegen in den Redaktionen natürlich auch gesagt hätten. Ohne die wäre es natürlich nie gegangen. Und gerade für eine Redaktion, die auch sich ausgeweitet hat, die nicht mehr solche Fachredaktionen hatte wie noch andere Zeitungen, dafür war er ein großer Gewinn. Er hat das Feuilleton geöffnet für neue Welten, für neue Wissenschaften, für neue Themen. Andererseits war es aber auch eine gewisse Verengung des Feuilletons, wie wir dieses Feuilleton aus der Tradition des geistigen Deutschlands kennen aus früheren Jahrzehnten. Das ist sozusagen ein Gewinn gewesen und Verlust zugleich - sehr ambivalente Sache das.
    Heinemann: Was wird aus diesem Feuilleton?
    Steinert: Es wird sicherlich so bleiben. Er hat es ja sozusagen auch gerettet. Er hat es ja geschafft, dass das Feuilleton im Umfang so etwa blieb wie es war. Für andere Zeitungen nicht so unbedingt, abgesehen von der Wochenzeitung "Die Zeit", die boomt, war das nicht unbedingt zu erwarten. Die Nachfolger werden gut daran tun, das Feuilleton, um es erfolgreich zu behalten, auch so offen zu halten für politische Themen. Es gab ja durchaus Politikredakteure und Moderatoren, die zunächst das Feuilleton der FAZ gelesen haben und nicht zunächst mal die vorderen Seiten, wo eigentlich der Informationswert war, und das ist auch etwas, was natürlich Frank Schirrmacher gut machte, wofür er steht, dass es einen Debattenjournalismus gibt. Die Informationsflut zu reproduzieren, die wir über Twitter, über alle möglichen Medien haben, das auch in den Zeitungen zu tun, das war nicht seine Sache. Er wollte sozusagen das Feuilleton als ein Debattenforum aufrecht erhalten, und den Weg finde ich allerdings richtig, um in der Flut der Informationen und der Agenturmeldungen, alles was wir haben, nicht unterzugehen als Journalisten.
    Heinemann: Hajo Steinert aus unserer Literaturredaktion.