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Gefährdeter Ort für zivilgesellschaftliches Engagement

Das Andrej-Sacharow-Museum in Moskau steckt in finanziellen Schwierigkeiten: Öffentliche Förderung bekommt es nicht und jetzt wenden sich auch die privaten Förderer ab. Sacharows Witwe Jelena Bonner versuchte gerade auf einer USA-Reise neue Geldgeber zu finden; erfolgreich war das nicht. Nun drohtdie Schließung des Museums, das 120.000 Euro im Jahr kostet.

Von Robert Baag | 18.11.2007
    Viel Zeit hat Museumsdirektor Jurij Vladimirovitsch Samodurow nicht mehr. Und ein Anflug von Verzweiflung in seiner Stimme ist nicht zu überhören, als er das Ende einer Moskauer Institution herauf beschwört, die inzwischen über elf Jahre alt ist und im Russland des Wladimir Putin nun um ihre weitere Existenz fürchten muss. Denn: Die finanziellen Zuschüsse aus dem Westen, die das Andrej-Sacharow-Museum mitsamt seinem gleichnamigen gesellschaftlichen Bildungs-Zentrum bisher am Leben hielten, drohen zu versiegen:

    "Jetzt hat sich die Situation verändert. Alle Zuschussgeber aus dem Westen erwarten von unserm Land höchstens noch die Imitation demokratischen Verhaltens. Beim Rechtssystem, bei den Wahlen, und so weiter. Sie haben sich von Russland abgewandt und konzentrieren sich auf andere Länder. Westliche Zuschussgeber möchten irgendwann einen Effekt sehen. Und sie finden, dass Unterhaltskosten und Gehälter aus russischen Mitteln bestritten werden sollten."

    Samadurows Fazit ist kurz und bitter:

    "Sie haben uns abgeschrieben", sagt er ein wenig resigniert.

    Dabei ist das Angebot, des Sacharow-Museums unweit des Kursker Bahnhofs in Moskau steht, ein Unikat. Es illustriert und zeigt die Verbindung auf zwischen den Traditionen der früheren sowjetischen Dissidenten-Kreise, den Menschenrechts-Gruppen und nicht zuletzt der nonkonformistischen, oppositionellen Kunstszene von den Sechzigerjahren bis heute.

    Das Museum sieht sich in der ideellen Nachfolge seines Namensgebers, des 1989 verstorbenen Friedens-Nobelpreis-Trägers und Atomphysikers Andrej Dimitrijewitsch Sacharow, der einst zusammen mit seinen Dissidenten-Gefährten unbeugsam viel dazu beigetragen hat, den übermächtig scheinenden, totalitären Sowjetkommunismus als Staatsform friedlich zu überwinden.

    Aber: Es gibt noch viele Menschen in Russland, die Sacharow und seinen Mitstreitern gerade dies bis heute nachtragen. Die Auswahl an aktuellen Ausstellungs-Titeln des Museums, die Samodurow aufzählt, sprechen vor diesem Hintergrund für sich:

    "Gerade eben ging unsere Ausstellung mit politischen Plakaten unter dem Titel: "Das Ende der Putin-Ära" zu Ende. Ja, ich hatte Angst. Gemacht haben wir sie trotzdem. Dann die Ausstellung "Verbotene Kunst 2006": Dort waren Arbeiten zu sehen, die sich andere Museen aus Gründen der inneren Zensur selbst nicht zu zeigen trauten. Hier ist gegen uns ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden."

    Grafikarbeiten des ehemaligen politischen Häftlings Vjatscheslaw Sysojew mit dem Titel: "Geh behutsam, sprich behutsam", oder die Ausstellung: "Raoul Wallenberg: Die Stimme eines Mannes", die an den Retter der Budapester Juden während der Nazi-Besatzung und sein anschließendes, bis heute ungeklärtes Schicksal in den Zellen der sowjetischen Geheimpolizei NKWD erinnerte, vor einiger Zeit dann die Ausstellung "Vorsicht, Religion", mit ihren Hinweisen auf die engen Beziehungen der russisch-orthodoxen Kirche zur Staatsmacht, die Ultrarechte sogar zum Sturm auf das Museum provozierte - derlei Projekte laufen dem aktuellen politisch-patriotischen Mainstream zuwider, der "das Positive" in der russisch-sowjetischen Geschichte hervorzuheben wünscht:

    "Es gibt ein Putin-Russland, und es gibt ein Sacharow-Russland - und das ist ein großer Unterschied! Menschen mit Geld haben heute Angst, offen und legitim unser Museum zu unterstützen. Denn: Ihnen könnte so etwas wie dem Putin-Gegner Chodorkovskij zustoßen - etwas sehr Unangenehmes."

    Michail Chodorkovskij, ein ehemaliger Oligarch, sitzt nach einem international als rechtsstaatlich überaus zweifelhaft bewerteten Prozess wegen Steuerhinterziehung und Betrugs in Haft. Er hatte übrigens das Sacharow-Museum vor seiner Verhaftung unterstützt.

    Selbst das Sacharow-Archiv mit dem außerordentlich wertvollen Nachlass des Dissidenten scheint die Offiziellen im heutigen Russland nicht mehr sonderlich zu interessieren.

    Dass er von der so genannten "Gesellschaftlichen Kammer" beim Präsidenten kein Geld für das Museum bekommen würde, meint Samodurow, sei ihm klar gewesen - aber sogar die Bitte um finanzielle Unterstützung für das zeithistorisch kostbare Archiv sei noch nicht einmal beantwortet worden. Genauso übrigens wie eine Reihe von Bittbriefen an westliche Botschaften in Moskau, die bislang ebenfalls noch nicht reagiert hätten. Geschieht kein Wunder, so Samodurow, und es gelingt doch noch, das drohende Defizit von knapp 300-tausend US-Dollar für das kommende Jahr zu decken, kann Samodurow die Entlassung seiner wenigen Mitarbeiter und die Schließung der international anerkannten Institution "Sacharow-Museum" nicht mehr ausschließen.