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Gefährliche Kriegsberichterstattung

Am 26. Juli 1991 starb Egon Scotland. Er war einer der ersten von 45 Journalisten, die während des Balkankrieges getötet wurden. Der Fall Scotland war eine Zäsur: Seit dem Balkankrieg werden Journalisten weltweit immer öfter zur Zielscheibe in Kriegen.

Von Karl Hoffmann | 26.07.2011
    Am 26. Juli 1991, kurz vor Sonnenuntergang, rollte der Wagen mit den beiden deutschen Journalisten Peter Wüst und Egon Scotland auf der kerzengeraden und verlassenen Dorfstraße ins Zentrum von Glina. Vorbei an Ivo Naglic, der sich in seinem Haus verbarrikadiert hatte. Denn in Glina, einer Kleinstadt 70 Kilometer südlich von Zagreb, war an diesem Tag der Krieg ausgebrochen.

    "Ja, hier wurde mein Nachbar Regic getroffen, und ein paar Meter weiter vorne das Auto. Auf dem Auto war ein Presseschild. Es fuhr also zuerst rückwärts und dann hat das Auto umgedreht und fuhr dorthin, wo sie hergekommen waren. Und hier, vor dem Haus Jukinac, Nummer 75, wurde es getroffen. Es wurde von der Brücke aus beschossen. Dort stand ein Panzer. Auch unser Nachbar Regic wurde vom Panzer aus erschossen, fast zur selben Zeit. Er wurde zuerst getroffen, dann kam das Auto mit dem Presseschild."

    Ein Heckenschütze hatte das Pressefahrzeug aus mehreren Hundert Metern Entfernung gezielt beschossen und Egon Scotland auf dem Beifahrersitz getroffen. Peter Wüst, der am Steuer saß, blieb unverletzt und raste ins nächstgelegene Krankenhaus. Vergebens.

    "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Nur wenige Stunden nach dem Waffenstillstandsappell des jugoslawischen Staatspräsidiums ist es zwischen Serben und Kroaten wieder zu heftigen Gefechten gekommen. Zu den Opfern gehört auch der 43 Jahre alte Redakteur der in München erscheinenden Süddeutschen Zeitung, Egon Scotland, der tödliche Schussverletzungen erlitt ..."

    Scotland war auf dem Weg ins Krankenhaus verblutet. Er war einer der ersten von 45 Journalisten, die während des Balkankrieges getötet wurden, die meisten gerade deshalb, weil sie Pressevertreter waren und damit zu unerwünschten Augenzeugen wurden. Der Fall Scotland war eine Zäsur. Seit dem Balkankrieg werden Journalisten weltweit immer öfter zur Zielscheibe in Kriegen. "Der Tod von Scotland führte der deutschen Öffentlichkeit drastisch eine Wirklichkeit vor Augen, die wir heute in Ländern wie Libyen oder Somalia täglich erleben: Es gibt schon lange keine "Unbeteiligte" in Kriegen mehr. "Journalisten und Zivilisten werden Opfer gezielter Todesschüsse" so der Verein "Journalisten helfen Journalisten", der von Freunden und Kollegen nach dem Tode von Egon Scotland in München gegründet wurde.

    Nach dem SZ-Reporter sind bis heute weltweit weitere elf deutsche Journalisten in Konfliktregionen ums Leben gekommen. In Gebieten mit bewaffneten Kämpfen sei es für Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Jahrzehnten schwieriger geworden, zu berichten. Ihre Neutralität werde zunehmend missachtet. "In viele Auseinandersetzungen von heute sind irreguläre Truppen oder terroristische Gruppen involviert, die völkerrechtliche Schutzklauseln ignorieren und die Ermordung und Entführung von Journalisten sogar als legitimes Mittel betrachten, heißt es in einer Erklärung von Reporter ohne Grenzen. Konfliktparteien machten Berichterstatter bewusst zum Ziel von Angriffen oder Geiselnahmen: damit bestimmte Diskussionen und Meinungen nicht mehr den Weg in die Öffentlichkeit finden, unerwünschte ausländische Beobachter das Land verlassen oder um sich Lösegeld zu beschaffen und politische Forderungen durchzusetzen. Ein Hauptproblem sei, dass die meisten Verbrechen gegen Journalisten nicht geahndet werden. Im Falle Scotland gibt es aber möglicherweise einen Verantwortlichen. Erinnert sich ein Bewohner von Glina:

    "Kapetan Dragan war der Befehlshaber über alle, die hier die territoriale Verteidigung übernommen hatten. Und auch über die Martic Milizen. Sein Wort war Befehl. Er war Gott und Knüppel."

    Dragan Vasiljkovic war ein selbsternannter Milizenführer, der als Jugendlicher von Serbien nach Australien ausgewandert war. Bei Ausbruch des Balkankrieges hatte eine eigene Söldnertruppe auf die Beine gestellt – aus patriotischen Gründen, wie er behauptete. Nach dem Krieg hatte sich Dragan unter seinem zweiten Namen Daniel Snedden in Australien versteckt. Als er 2006 entdeckt wurde, verlangten die Behörden in Zagreb seine Auslieferung. Er sei verantwortlich für Vergewaltigungen, Misshandlungen von Gefangenen und möglicherweise auch für den Mord an dem Journalisten Egon Scotland. Noch immer sitzt Snedden in Auslieferungshaft und wehrt sich gegen einen Kriegsverbrecherprozess in Kroatien. Ivan Zwonimir Cicak vom Helsinki Komitee für Menschenrechte in Zagreb hält ihn zumindest für einen mittelschweren Kriegsverbrecher:
    "Immerhin ist er, soweit ich sehen kann, verantwortlich für den Tod von mehreren Menschen. Wie viel er persönlich umgebracht hat, das muss das Gericht entscheiden. Wenn er nach Kroatien ausgeliefert wird, bekommt er mindestens 15 Jahre Gefängnis."