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Gefahr durch Uranmunition?

Gerner: Auch nach Bekanntwerden eines Leukämiefalls bei einem Bundeswehrsoldaten sieht Verteidigungsminister Rudolf Scharping keine Gefahr für deutsche Soldaten durch den Einsatz von Uranmunition in den Balkankriegen. Rudolf Scharping hat das in ersten Interviews geäußert. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen.

    Scharping: Guten Morgen.

    Gerner: Herr Scharping, sagen Sie uns noch einmal, wie gefährlich ist aus Ihrer Sicht die Munition, über die wir reden?

    Scharping: Ich will Ihnen zunächst zu Ihrer Anmoderation sagen, dass Sie sich auf einen Stabsunteroffizier beziehen, der 1998 erkrankt ist, also vor dem Kosovo-Krieg, und der in Mosta, also in Bosnien eingesetzt war und wie wir mittlerweile wissen ohne jeden Kontakt zu jener fraglichen Munition. Die Munition selbst wird gehärtet, um sie durchlassfähiger zu machen. Dazu wird Uran als Metall, nicht als strahlendes Material verwendet. Deshalb haben auch alle Untersuchungen ergeben, dass die Strahlung aus diesem Uran unterhalb der natürlichen Umwelteinflüsse liegt. Das von mir angeordnete Biomonitoring, eine Sicherheitsmaßnahme lange bevor es die öffentliche Diskussion gab, nämlich im November 1999, hat bisher ebenfalls keine Ergebnisse erbracht, die auf ein Risiko hinweisen.

    Gerner: Herr Scharping, Sie haben gestern im Fernsehen den Uranstaub, der auftritt, problematisch genannt. Kann man dort von einem Restrisiko sprechen, auch wenn es gering ist?

    Scharping: Das ist etwas, was mich sehr erstaunt. Wir haben schon im Juni 1999, also lange vor den Schreiben, die aus der NATO kamen, und auf Grund von Hinweisen, im Verteidigungsausschuss darüber berichtet. Ich habe damals schon darauf aufmerksam gemacht, dass nicht das Strahlungsrisiko eine Frage sei, die man mit besonderer Aufmerksamkeit betrachten müsse. Man kann sie nicht vernachlässigen, aber viel gravierender könnte werden, dass Uran als Schwermetall sich in bestimmten Teilen des Kosovo beispielsweise oder auch Bosniens konzentriert und dass diese Konzentration wenn man einatmet in der Lunge beispielsweise zu bösartigen Erkrankungen führen kann. Das ist ein Risiko, das man beobachten muss und das man auch vergleichen muss beispielsweise mit Berufsgruppen, die früher im Uranbergbau beschäftigt waren. Selbst wenn man dieses Risiko auch langfristig für nicht besonders erheblich hält, es ist eine Frage der Fürsorge, eine Frage der klaren Maßstäbe, dass man auch auf solche Risiken achtet. Deshalb habe ich die Verhaltensvorschriften, die es 1997 von meinem Vorgänger für Bosnien gab, auch entsprechend verschärft, habe das Biomonitoring angeordnet und deshalb werden alle Soldaten sehr sorgfältig aufgeklärt. Bisher haben wir keine Erkenntnisse darüber, dass es zu Risiken kommt, aber wir nehmen jeden Hinweis ernst.

    Gerner: Wenn es wie Sie sagen ein mögliches Risiko beim Uranstaub gibt, sind dann nicht weitere Untersuchungen als sie bisher bei Bundeswehrangehörigen stattgefunden haben gegeben?

    Scharping: Ich verlasse mich dort auf den Rat international hochrenommierter Fachleute. Die haben gesagt, es sei sinnvoll, dieses Biomonitoring zu machen. Das ist im November 1999 begonnen worden.

    Gerner: Das ist so ein Zauberwort. Was steckt denn konkret dahinter?

    Scharping: Dahinter steckt, dass man die Gebiete, in denen diese Munition von den Amerikanern eingesetzt worden ist, überprüft, dass man die Strahlung misst, dass man Bodenproben entnimmt, dass man Wasser untersucht.

    Gerner: Wie viele Bundeswehrsoldaten sind das bisher durchgangen?

    Scharping: Dieses Biomonitoring betrifft Gebiete. Ergänzend dazu haben wir Soldaten, die in diesen Gebieten eingesetzt waren, ebenfalls sehr gründlich untersucht. Es gibt keinen Hinweis auf ein Strahlungsrisiko und vor diesem Hintergrund verlasse ich mich auf den Rat der Fachleute und lasse diese Untersuchungen fortsetzen. Die werden, wie der Verteidigungsausschuss des Bundestages sehr genau weiß, im Februar 2001 abgeschlossen sein. Gibt es den leisesten Hinweis auf ein Risiko, dann wird es auch entsprechend weitere Untersuchungen geben.

    Gerner: Herr Scharping, der "Tagesspiegel" berichtet, ab heute würden alle Leukämiefälle, die es in der Bundeswehr gegeben hat, untersucht. So heißt es in Agenturen. Werden ab heute doch zusätzliche Untersuchungen angestellt?

    Scharping: Ich kenne diese Meldungen nicht. Allerdings hatte ich veranlasst, dass eine statistische Erhebung verglichen wird, nämlich dass die Zahl der Leukämiefälle in der Bundeswehr verglichen wird mit der Zahl der Leukämiefälle in der Bevölkerung, um herauszufinden, ob es da irgendeine abweichende Auffälligkeit gibt, aber auch das gibt es nicht. Dass es Leukämie gibt als eine Krankheit, die unabhängig von militärischen Einsätzen entstehen kann, das weiß jeder. Das ist ein bedauerliches und schweres Schicksal. Aber man kann das ja nicht immer auf Einsätze und deren Umstände zurückführen, sondern es ist eine Erkrankung, die es in der Bevölkerung normalerweise und leider gibt.

    Gerner: Das heißt Sie wissen von mehr als dem jetzt am Wochenende bekannt gewordenen einen Leukämiefall in jüngster Vergangenheit?

    Scharping: Entschuldigung, wir diskutieren über Einsätze auf dem Balkan und ob sie gefährlich sind. Dieser Frage wird sehr, sehr sorgfältig nachgegangen. Ob es sich in dem einen Fall um eine Leukämie, um welche Form der Leukämie und andere Fragen handelt kann nur geklärt werden, wenn die Krankenakten auf den Tisch kommen. Das bedeutet, dass die zivilen Ärzte, die den Stabsunteroffizier a.D. behandelt haben, von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Ich hoffe das geschieht oder ist geschehen. Dann kann man auch der Frage nachgehen, was dort eigentlich wirklich war.

    Gerner: Herr Scharping, was ist mit Soldaten, die im Kosovo jetzt im Einsatz sind, die möglicherweise verunsichert sind und von sich aus auf einer Untersuchung bestehen? Wird die Bundeswehr das bezahlen?

    Scharping: Ja selbstverständlich. Jeder der meint, er wolle untersucht werden, weil er sich in irgendeiner Weise beeinträchtigt fühlt, der erhält das im Rahmen der freien Heilfürsorge innerhalb der Bundeswehr. Im übrigen wäre es vielleicht auch ganz gut, sich einmal darüber klar zu werden, dass diese Diskussionen einer gewissen Sensibilität und einer großen Sorgfalt bedürfen. Die habe ich in manchen Medien in den letzten Wochen vermisst, vor allen Dingen angesichts der Tatsache, dass seit Juni 1999 in rund 40 Fällen dem Parlament und dem Verteidigungsausschuss berichtet worden ist, also auch der Öffentlichkeit.

    Gerner: Es gibt Kommentatoren, die eine Parallele zu der BSE-Krisenvorsorge nach dem Stichwort "die Vorsorge kann gar nicht weit genug gehen" ziehen. Sie meinen, Sie hätten sich keine Versäumnisse zu Schulden kommen lassen?

    Scharping: Ich will jetzt auf diesen hanebüchenen Vergleich nicht eingehen.

    Gerner: Es geht einfach um die Vorsorge bei möglichen Gefahren, seien sie noch so gering.

    Scharping: Wir haben jedenfalls alles unternommen, was uns ärztliche Fachleute gesagt haben und was menschliches Ermessen geboten hat.

    Gerner: Wie ist es mit der Zivilbevölkerung in Serbien?

    Scharping: Schauen Sie, nach unseren Erkenntnissen ist diese Munition in Bosnien und im Kosovo eingesetzt worden, nicht in Serbien selbst.

    Gerner: Im Kosovo-Krieg meine ich!

    Scharping: Ja, und deswegen kann es auch um die serbische Bevölkerung nicht gehen. Da gibt es andere auch sehr schwerwiegende Probleme, die ich nicht klein reden, aber jetzt auch nicht erörtern will. Deswegen geht es um die Bevölkerung innerhalb des Kosovo. Da gibt es Warnungen, da gibt es Verhaltenshinweise, da gibt es zum Teil Gebiete, in denen man sagt, geht da lieber nicht so nah an einen zerstörten Panzer oder anderes dran. Insofern ist das ein Problem, das nach meinen Erkenntnissen mit größter Sorgfalt behandelt wird. Im übrigen kann ich nur sagen, die Bundeswehr hat diese Munition nicht und es wäre besser, kein Staat würde sie einsetzen.

    Gerner: Falls sich bestätigt was jugoslawische Ärzte behaupten, dass es einen Zuwachs von bis zu 30 Prozent an Krebsfällen unter der Zivilbevölkerung im Kosovo gegeben hat, wäre dann die NATO, wäre die Bundeswehr in der Pflicht zu helfen?

    Scharping: Ich habe nicht die Absicht, irgend etwas spekulativ zu erörtern, schon gar nicht vor dem Hintergrund, dass die Weltgesundheitsorganisation festgestellt hat, dass die Zahl der Leukämieerkrankungen im Kosovo zurückgegangen ist.

    Gerner: Aber Strahlungsreste an mehreren Einschlagsorten, wie eine UN-Organisation festgestellt hat, sind nach wie vor Gefahrenpunkte?

    Scharping: Das ist eine Strahlung in so geringer Dosis. Ich sage es noch einmal: sie liegt unterhalb der natürlichen, in der Umwelt vorhandenen Strahlung. Niemand hat mir bisher gesagt, dass in derart kurzer Zeit diese Strahlung irgendein negatives Krankheitsrisiko hervorrufen könnte. In langer Frist halten alle Nuklearmediziner, die von unserem Sanitätsdienst gefragt worden sind, ebenfalls ein Risiko für ganz und gar ausgeschlossen, und die Untersuchungen, die bisher gemacht worden sind, bestätigen das auch.

    Gerner: Die USA, Herr Scharping, nutzen die Munition weiter. Werden Sie sich für ein Verbot einsetzen?

    Scharping: Ich habe gestern schon gesagt: wir vertreten unseren Standpunkt auch innerhalb der NATO. Es wäre besser, kein Staat würde diese Munition einsetzen. Es gibt andere Möglichkeiten, Geschossmäntel zu härten, panzerbrechende Munition zu entwickeln. Man muss dafür nicht Uran verwenden.

    Gerner: Haben denn die Europäer die Macht, die USA davon abzubringen?

    Scharping: Das sind Diskussionen in einem Bündnis, in dem jeder Staat frei darüber entscheidet, welche Art von Waffen er einsetzen will.

    Gerner: Aber Ihres Wissens versuchen die USA daran festzuhalten?

    Scharping: Dazu ist es sinnvoller, den amerikanischen Verantwortlichen zu fragen als den deutschen.

    Gerner: Italien hat gesagt, es hätte nichts vom Einsatz von Uranmunition im Bosnien-Krieg gewusst. Wie war das mit Deutschland und haben die USA möglicherweise NATO-Mitgliedern etwas vorenthalten?

    Scharping: Meines Wissens nicht. Es hat im späten Frühjahr, im Frühsommer 1999 entsprechende Informationen gegeben und die waren in der NATO allgemein zugänglich.

    Gerner: Also Deutschland kann diese Meinung Italiens nicht teilen?

    Scharping: Jedenfalls haben wir daraus schon im Juni 1999 die Konsequenz gezogen, unmittelbar nach Ende des Krieges, den Verteidigungsausschuss zu informieren und auch die Maßnahmen darzulegen, die wir zum Schutz der Soldaten und der Zivilbevölkerung zu ergreifen gedenken.

    Gerner: Der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping war das zu den jüngsten Vorwürfen und Spekulationen, uranhaltige Munition könnte deutsche Soldaten gefährden. - Danke für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio