Archiv


"Gefangen in der Abhängigkeit"

Im Auftrag der Welthungerhilfe hat die Fotografin Ursula Meissner das Leben in einem Flüchtlingslager in Darfur dokumentiert. Auch in den Lagern seien die Menschen nicht vor Überfällen geschützt, sagte Meissner. Die Flüchtlinge seien in der Abhängigkeit der Hilfe gefangen und müssten die Angriffe ertragen.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak:, Wir wollen ihnen jetzt vom ganz normalen Alltag in einem der zahllosen Flüchtlingslager im Sudan, in Darfur erzählen. Die Menschen, die dort Leben, haben vielleicht sogar ein wenig Glück gegenüber denen, die außerhalb in der Region Darfur herumirren und versuchen dort irgendwie zu überleben. Und es werden immer mehr. Die Welthungerhilfe hilft den Flüchtlingen, so gut sie kann. Vor den Toren des Lagers und manchmal auch innerhalb desselben kann sie sie nicht wirklich beschützen. Die Fotografin Ursula Meissner hat für die Welthungerhilfe eine Woche mit einer Familie in einem solchen Lager gemeinsam verbracht, ist nun am Telefon. Frau Meissner, was war denn das für eine Familie?

    Ursula Meissner: Ja, guten Morgen. Das war Fatima mit fünf Kindern. Und ich wollte einfach sehen, wie das Leben ist unter Zweigen und einer Plastikplane und konnte mir das nicht vorstellen.

    Durak: Wie sieht denn so ein Alltag aus? Morgens wird aufgestanden, gewaschen, gefrühstückt von dem, was man sich bei der Essensausgabe im Lager geholt hat. So etwa stellt sich ja mancher selbst gutwillige Beobachter dies aus der Ferne vor in einem Flüchtlingslager.

    Meissner: Na ja, die kriegen ihre Rationen eben für jeweils zwei, drei Wochen und holen sich erst mal Wasser. Die Fatima, die Frau, steht morgens, Sonnenaufgang, fünf Uhr, auf und fängt an zu arbeiten. Also, auch in dieser Enge ist das ja so, dass man erst ganz viel aufräumen, saubermachen, kochen und das Vieh - es gibt einige wenige, die noch ein paar Ziegen haben -, das muss rausgeführt werden. Und dann ist das große Problem, dass kein Holz da ist, und alle solche Dinge.

    Durak: Und wo bekommt man Feuerholz her?

    Meissner: Nun, das holen meistens die Frauen. Wenn so ein Lager, zunächst war es ein relativ kleines Lager, mit 22.000 Menschen, jetzt sind es fast 100.000 - also 100.000 Menschen ist eine Kleinstadt -, und die alle brauchen Holz. Also müssen sie um das Lager herum Holz sammeln. Das ist richtig gefährlich, weil da die Dschandschawid sind und eben die Frauen entweder vergewaltigen, überfallen und ihnen das Vieh wegnehmen, während sie auf der Holzsuche sind.

    Durak: Gibt es irgendjemand, der die Frauen schützt?

    Meissner:! Nein. Sie sind gezwungen, Holz zu suchen. Sie sind in der Abhängigkeit. Man braucht das Holz zum Kochen, sonst können Sie ihren Brei nicht kochen, den sie jeden Tag essen. Wer soll sie schützen? Sie brauchen das, sie haben gar keine andere Wahl.

    Durak: Bleibt es im Lager friedlich unter solchen Umständen?

    Meissner: Es gibt in der Nacht immer wieder Angriffe. Davon reden dann die Männer, die setzen sich zusammen, diskutieren darüber. Aber sie können auch nichts ändern, weil sie eben ins Land ja auch nicht können. Wenn man sich vorstellt, dass die Welthungerhilfe davor eben 400.000 Menschen versorgt hat in Lagern. Inzwischen können sie nur noch 70.000 Menschen versorgen, weil die anderen im Land umherirren. Man muss sich vorstellen: Sudan, das ist Wüste zum größten Teil. Im Kongo oder sonst wo können die Menschen im Busch irgendwie Buschfleisch oder Kakteen, oder irgendwas können die noch essen. Im Sudan gibt es nichts, außer die Dschandschawid, die viele neue Waffen haben. Man hat jetzt im Nachbarort Panzer entdeckt. Als ich da war ,habe ich neue Jeeps mit Maschinengewehren fotografiert und die SLA haben zum größten Teil alte Jeeps und Kalaschnikows.

    Durak: SLA sind Regierungstruppen.

    Meissner: Ja. Nein, das sind sie, die die schützen …

    Durak: … die Flüchtlinge schützen, soweit sie können.

    Meissner: Genau, genau.

    Durak: Wie verhalten sich die Flüchtlinge untereinander in dem Lager unter solchen Umständen?

    Meissner: Es gibt ja immer Gemeinden, die zusammen geflüchtet sind, und die versuchen natürlich, sich so gut es geht eben zu unterstützen. Aber sie müssen sich das vorstellen, sie haben ja keine Chance, sich irgendwie zu bewegen. Sie sind einfach jetzt da gefangen in der Abhängigkeit, und müssen diese Überfälle ertragen.

    Durak: Frau Meissner, die Aufnahmen, die sie dort im Lager gemacht haben, sollen ja dazu dienen, Menschen in aller Welt aufzurütteln, aufzurufen, zu spenden. Hat man das in dem Lager begriffen oder wurden Sie als Eindringling, als bunter Vogel angesehen?

    Meissner: Also zunächst einmal war es sehr schwierig, die Genehmigung zu bekommen. Ich habe ein Jahr daran gearbeitet, um da überhaupt hinzukommen. Das ist immer so, dass wenn es Kriege gibt, oder eben dass Dinge nicht gezeigt werden sollen, da kommt man erstmal nicht hin. Und dann hat ein Rat sich zusammengesetzt, und die haben dann bestimmt, dass ich in dem Flüchtlingslager fotografieren darf, weil sie dachten, es ist gut, wenn die Öffentlichkeit sieht, wie wir hier leben und wie wir in der Abhängigkeit sind und was für ein Völkermord das ist.

    Durak: Frau Meissner, sie sind ja nicht nur im Sudan unterwegs gewesen, sondern auch in Afghanistan. Ein kurzes Wort noch dazu, sind gerade zurück aus Afghanistan. In der Provinz Herat waren Sie. Was haben Sie dort erlebt?

    Meissner: Ja, das sieht auch im Moment nicht so positiv aus. Es gibt keine Sicherheit. Also man fährt wie verrückt durch die Berge - ich denke immer, ich komme eher mit dem Auto um als durch eine Kugel - aus Angst, dass man überfallen wird. Die Leute sind einfach sehr, sehr unzufrieden. Es war 2001 so, dass eben eine große Euphorie da war und man dachte, jetzt wird alles anders. Die ganze Welt will uns helfen. Und die große Erwartungshaltung wurde eben enttäuscht. Und nun ist es ja nicht so, dass die alle die Taliban zurück haben wollen. Alle Leute sagen immer, die wollen die Taliban. Nein, es ist nur so, die haben keine andere Wahl. Wenn eine Familie, ein Vater, seine Kinder nicht mehr ernähren kann, dann wird er ganz schnell wieder zum Taliban.

    Durak: Ursula Meissner, Fotografin ist sie, und sie arbeitet unter anderem für die Deutsche Welthungerhilfe. Herzlichen Dank, Frau Meissner, für Ihre Eindrücke, die Sie uns geschildert haben.

    Meissner: Ich danke Ihnen.