Flüchtlinge aus der Ukraine
Integration mit Hindernissen

Über eine Million ukrainischer Kriegsflüchtlinge lebt in Deutschland. Viele können sich vorstellen, länger hierzubleiben, doch die Integration in den Arbeitsmarkt hapert noch: Nur etwa ein Viertel hat einen Job gefunden.

    Berlin, eine Filiale des beliebten ukrainischen Postunternehmens Nova Post (Nova Poshta) in der Charlottenstraße 79-80. Es ist eine von derzeit zwei Filialen in der Hauptstadt. In beiden Nova Poshta-Filialen können Pakete und Waren bis zu 100 kg aus der Ukraine empfangen werden. Der Versand von Paketen in die Ukraine ist ebenfalls möglich.
    Nova Post ist erste Dependance des größten privaten ukrainischen Versanddienstleisters in Deutschland. Der Postdienst liefert von Deutschland bis an die ukrainische Front. (picture alliance / SULUPRESS.DE / Marc Vorwerk)
    Vor zwei Jahren ist die russische Armee von Norden, Osten und Süden in die Ukraine einmarschiert - und ukrainische Geflüchtete wurden in Deutschland mit offenen Armen empfangen. Viele Deutsche sorgten für einen Unterschlupf bei sich zu Hause oder stellten Wohnungen zur Verfügung. Auch wenn die Hilfsbereitschaft inzwischen nachgelassen hat, konnten die Kriegsflüchtlinge so schneller Fuß fassen als Geflüchtete aus anderen Ländern.
    Zudem ist die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten aus der Ukraine seit ihrer Ankunft deutlich gestiegen. Doch das Bild ist getrübt: Die Integration in den Arbeitsmarkt stagniert – die ersten Rufe nach Kürzungen von Sozialleistungen werden laut.

    Wie viele ukrainische Geflüchtete leben in Deutschland?

    Derzeit leben rund 1,14 Millionen registrierte Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland – und damit mehr als in den anderen Ländern der Europäischen Union. Wie der Mediendienst Integration weiter ausführt, sind 65 Prozent der im Ausländerzentralregister registrierten Geflüchteten weiblich und der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren beträgt mit rund 350.600 ein Drittel. Etwas weniger als die Hälfte von ihnen sind im Grundschulalter (sechs bis 11 Jahre), etwas mehr als die Hälfte von ihnen sind Jugendliche im Alter von 12-17 Jahren.
    Gemäß einer Auswertung des Bundesinnenministeriums wurden bis Ende Januar 2024 rund 1,14 Millionen Flüchtlinge in Deutschland erfasst, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Die Angaben beruhen auf den Registrierungen im Ausländerzentralregister.
    Bis Ende Januar 2024 wurden rund 1,14 Millionen Flüchtlinge in Deutschland erfasst, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Die Angaben beruhen auf den Registrierungen im Ausländerzentralregister. (Mediendienst Integration)
    Das Durchschnittsalter der Kriegsflüchtlinge liegt bei 40 Jahren – im Schnitt sind sie damit jünger als die Bevölkerung in der Ukraine. Zu Kriegsbeginn sind aber auch Rentnerinnen und Rentner sowie Kranke und Versehrte nach Deutschland gekommen.

    Wie viele Geflüchtete bekommen Bürgergeld?

    23 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland haben einen Arbeitsplatz, deutlich weniger als in Polen und Tschechien – Ländern, die nach Deutschland die meisten ukrainischen Geflüchteten aufgenommen haben. Von den berufstätigen ukrainischen Geflüchteten arbeiten 41 Prozent in Vollzeit und ein Fünftel in Teilzeit. Männer sind etwas häufiger berufstätig als Frauen.
    Frauen mit Kindern unter drei Jahren sind am wenigsten erwerbstätig, im Frühjahr 2023 lag ihr Anteil bei drei Prozent. Die Gründe liegen auf der Hand: Häufig sind es Alleinerziehende ohne Kinderbetreuung.

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Nach Berechnungen der Arbeitsagentur haben im Oktober 2023 etwa 703.000 Ukrainer in Deutschland Bürgergeld empfangen. Das entspricht etwas mehr als 60 Prozent. Die meisten davon möchten arbeiten: 93 Prozent der nichterwerbstätigen ukrainischen Geflüchteten waren im Frühjahr 2023 bereit, einen Job anzunehmen, das geht aus dem IAB-Forschungsbericht der Bundesagentur für Arbeit hervor. Rund ein Drittel der arbeitslosen Ukrainer in Deutschland war nach einer Umfrage des Ifo-Institus im Jahr 2022 auch bereit, einen Job unter ihrer Qualifikation anzunehmen.

    Woran hakt die Integration in den Arbeitsmarkt?

    Das Bildungsniveau der ukrainischen Geflüchteten ist im Vergleich mit anderen Geflüchteten ebenso wie mit der ukrainischen und deutschen Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich hoch: Fast drei Viertel von ihnen besitzen einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Vergleichsweise viele Frauen haben in der Ukraine zudem in akademischen, technischen oder medizinischen Berufen gearbeitet – trotzdem hapert es beim Übergang in den Beruf.
    Dabei ist die Arbeitsaufnahme für ukrainische Geflüchtete mit Schutzstatus prinzipiell sofort möglich. Vor einer Arbeitsaufnahme seien aber einige bürokratische Hürden zu nehmen, schreibt der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhard in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Daraus folgten "Verzögerungen und Orientierungsschwierigkeiten".
    In Polen und weiteren Ländern gebe es dagegen digitale Verfahren, um den Prozess vom Rechtsstatus bis zur Arbeitserlaubnis in einem Schritt ermöglichen. Auch bei Unternehmungsgründungen sind die Abläufe hierzulande kompliziert, während in Polen 40 Prozent der Unternehmensgründungen von ukranischen Geflüchteten ausgehen.

    Geflüchtete sind vor allem im Niedriglohnsektor beschäftigt

    Ein weiteres Problem: Anerkennung von Berufsabschlüssen. Wartezeiten bis zu anderthalb Jahren sind in Deutschland nicht ungewöhnlich. Beschäftigt sind Ukrainer daher insbesondere im Niedriglohnsektor. Berufskompetenzen im medizinischen oder pädagogischen Bereich blieben so weitgehend ungenutzt, zieht FES-Studienautor Dietrich Thränhardt Bilanz. Das sei aber nicht nur in Deutschland ein Problem, Arbeit in qualifizierten Berufen ist in allen Ländern bislang noch nicht verbreitet.

    Zwei Drittel der Ukrainer in Polen und Tschechien berufstätig

    Während in Polen und Tschechien bereits zwei Drittel der Kriegsflüchtlinge erwerbstätig sind, in den Niederlanden mehr als die Hälfte und in Dänemark sogar knapp drei Viertel, stagniert die Arbeitsbeteiligung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland bei einem Viertel.

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Manche sehen die Gründe dafür auch in hohen Sozialleistungen. CDU-Chef Friedrich Merz oder der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordern bereits die Kürzungen der Sozialleistungen, um Druck auf die Geflüchteten auszuüben. Und in der Tat fällt die finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge in Polen und Tschechien deutlich geringer aus. Doch in den Niederlanden ist sie ähnlich hoch wie in Deutschland, trotzdem sind dort die Hälfte oder mehr in Arbeit.
    Allerdings arbeiten Ukrainer auch in den Niederlanden unterhalb ihrer Qualifizierung. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration warnt davor, Menschen gehäuft unterqualifiziert zu beschäftigen. Dadurch drohe eine "Dequalifizierungsspirale", die das Risiko erhöhe, dass sich prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen verfestigten.
    Auch um das zu verhindern, bemüht man sich in Deutschland, den Ukrainern die deutsche Sprache beizubringen: Etwa 60 Prozent der nicht beschäftigten Ukrainerinnen und Ukrainer nehmen derzeit an Sprachkursen teil. Fehlende Sprachkenntnisse sind eine der Barrieren zu qualifizierter Beschäftigung.
    Nicht zuletzt ist eine Suche auf dem Arbeitsmarkt aktuell auch alles andere als ein Selbstläufer. Einerseits fehlen zwar Fachkräfte, andererseits ist die wirtschaftliche Lage in Deutschland auch stark eingetrübt, was auch Ukrainer auf Jobsuche spüren.

    Wie werden Ukrainer im Vergleich zu anderen Geflüchteten behandelt?

    Ukrainische Kriegsflüchtlinge genießen in der Europäischen Union „vorübergehendem Schutz“ gemäß der EU-Massenzustrom-Richtlinie. Dadurch erhalten sie einen Aufenthaltstitel wie anerkannte Asylbewerber aus anderen Staaten, ohne langwierige Asylverfahren durchlaufen zu müssen – und haben Anspruch auf Bürgergeld. Von den deutschen Plänen zu einer Bezahlkarte für Flüchtlinge sind ukrainische Kriegsflüchtlinge ebenfalls ausgenommen. Der Schutzstatus gilt nach dem Willen der Europäischen Union noch bis 4. März 2025.
    Knapp 40.000 ukrainische Geflüchtete in Deutschland stammen aus Drittstaaten, etwa ausländische Studierende aus afrikanischen Ländern, die sich zum Zeitpunkt der russischen Invasion in der Ukraine aufgehalten haben. Für sie gelten andere Regeln.

    Wie viele ukrainische Geflüchtete wollen in Deutschland bleiben?

    Viele ukrainische Flüchtlinge fühlen sich mittlerweile in Deutschland deutlich wohler als noch bei ihrer Ankunft. Das zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB).
    44 Prozent der Geflüchteten konnte sich Anfang 2023 vorstellen, längerfristig in Deutschland zu bleiben. Im Sommer 2022 waren es noch 39 Prozent. Ein gutes Drittel der Geflüchteten will zumindest bis Kriegsende in Deutschland bleiben, die Hälfte von ihnen möchte am jetzigen Wohnort bleiben
    In einer im Dezember 2022 veröffentlichten Umfrage zu den Geflüchteten aus der Ukraine aufgrund des Krieges in der Ukraine gaben 34 Prozent der befragten ukrainischen Geflüchteten in Deutschland an, dass sie bis Kriegsende in Deutschland bleiben wollen.
    34 Prozent der befragten ukrainischen Geflüchteten in Deutschland gaben Ende 2022 an, dass sie bis Kriegsende in Deutschland bleiben wollen. (BAMF; BiB; SOEP; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)
    Die Zufriedenheit steigt mit besseren Sprachkenntnissen, einer verbesserten Wohnsituation und einer Erwerbsperspektive. Auch das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen hat sich weiter verbessert, weil sie in Schule und Kita gehen und an Freizeitangeboten teilnehmen können. Viele von ihnen sprechen mittlerweile fließend Deutsch.
    Umgekehrt zeigt sich, dass Geflüchtete in Massenunterkünften wie in der Zeltstadt auf dem früheren Berliner Flughafen Tegel langsamer Deutsch lernen, seltener berufstätig sind, seltener an Sprach- und Integrationskursen teilnehmen und generell eine schlechtere Integrationsperspektive haben.
    tha