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Gefühlte Bedrohung und reale Gefahren

Körperscanner an Flughäfen, videoüberwachte öffentliche Plätze, komplexe Satellitensysteme. Die Sicherheit wird in der Wirklichkeit wie auch in den Wissenschaften immer mehr zum Thema. Die Technische Universität Berlin kündigte jüngst eine Ausweitung ihrer Sicherheitsforschungen an.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 25.03.2010
    "Zum einen ist natürlich unsere Gesellschaft prekär geworden in dem Sinne: Sie ist in globale Zusammenhänge eingebettet, die Störungen sind nicht mehr so leicht unter Kontrolle zu halten wie im Nationalstaat des 18. oder 19. Jahrhunderts. Das heißt, die Gesamtlebensbedingungen sind störbarer und zerbrechlicher geworden, und deswegen ist Sicherheit ein neues Thema."

    Wolfgang Dombrowsky, Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der Kieler Universität.

    "Und einen anderen Aspekt will ich nicht verhehlen: Nach dem Ende des Kalten Krieges waren sehr viele Leute auf der Suche nach sozusagen einem verlorenen Feinbild und jetzt ist natürlich sozusagen das Positivum Sicherheit im Sinne von anderer Form von Bedrohung das funktionale Äquivalent."
    Wissenschaftler wie der Soziologe Dombrowsky untersuchen seit Jahrzehnten sicherheitsrelevante Entwicklungen – zum Beispiel wie die Bevölkerung auf Katastrophen und Unfälle reagiert.

    In der Sicherheitsforschung setzen sich die inter- und transdisziplinären Projekte immer mehr durch. Sie vernetzen Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen – zum Teil sogar mit Akteuren aus der Praxis. Bestes Beispiel ist das neue "Forschungsforum Öffentliche Sicherheit". Hier tauscht sich Dombrowsky mit Ingenieuren und Umweltexperten, mit Kriminologen, Ethikern und Kommunikationsprofis im Wissenschaftlichen Beirat aus.

    Das Forschungsforum soll nun das bereits vorhandene Wissen bündeln. Außerdem wollen die Wissenschaftler definieren, welche Sicherheitsfragen in Zukunft eine Rolle spielen und Expertisen dazu in Auftrag geben. Weil das Geld dafür vom Forschungsministerium kommt und dem Steuerungskreis des Forums auch Politiker angehören, sind die Ergebnisse nicht nur für die Schreibtischschublade bestimmt. Sondern sie sollen das Handeln von Politik und Wirtschaft beeinflussen. Lars Gerhold ist der wissenschaftliche Koordinator des Forums:

    "Unser ambitioniertes Ziel – so möchte ich sagen – ist halt irgendwo eine Vernetzung dieser sehr, sehr heterogenen Akteure zu erreichen, eine Gesprächskultur zu entwickeln und sich darüber auszutauschen, wie man dem Ziel, eine komplex aufgestellte Sicherheitsforschung zu arrangieren und zu installieren, auch näher kommen kann."

    Mit Sicherheit bedeutet dies ein Gerangel um Definitionen, Inhalte und Begriffe. Hat doch jeder Beteiligte seinen speziellen Forschungsschwerpunkt. Aktuell bestimmen zwei Denkrichtungen den Diskurs:

    "Das eine ist ein Sicherheitsverständnis, welches irgendwo die Abwesenheit von Gefahren und Risiken bedeutet, also ein Schutzverständnis, ein Schutz, der hier hergestellt werden soll. Und das andere ist ein sozialwissenschaftliches Verständnis, das auf den Umgang mit Unsicherheiten fokussiert, also zu sagen: Wir müssen irgendwo auch lernen, mit gewissen Risiken, Gefahren und Sicherheitsfragen zu leben."
    Diesem Aspekt wollen insbesondere die Sozialwissenschaftler innerhalb des Forums mehr Gehör verschaffen. Sie korrigieren eine Weltsicht, in der mit Technik vieles oder sogar alles machbar scheint. Gerhold:

    "Denn die Frage wie etwas in der Bevölkerung aufgenommen wird, wie Bevölkerung auf Thematisierung in der Presse oder auch in der Politik reagiert, wie Hysterien enstehen, wie Panik entsteht, wie Sorge entsteht, ist ein immens wichtiger Faktor, der glaube ich bislang auch in der Sicherheitsforschung zu wenig berücksichtigt wurde."

    Doch was sind die realen Risiken, Bedrohungen, Gefahren? Seit einigen Jahren spielen in der öffentlichen Wahrnehmung die Umweltentwicklung und Pandemien eine große Rolle.

    Der Terrorismus erscheint seit dem "11. September" 2001 als die große Bedrohung. Das liegt nach Ansicht von Wolf Dombrowsky daran, dass der moderne Staat durch Anschläge tatsächlich leicht störbar ist. Der Crash des World Trade Centers in New York habe die Verkehrsabläufe auf der ganzen Welt verändert. Seitdem boomt das Geschäft mit der Sicherheit.

    "Da ist schon eine ganze Menge von Bedrohungspotenzial. Aber es wird auch dankbar aufgegriffen, weil man sich hier gut technisch abarbeiten kann im Sinne von Sicherheitstechnik, Überwachungstechnik, Video auf öffentlichen Plätzen und so weiter."
    Andererseits driften die gefühlte und die reale Bedrohung weit auseinander:

    "Wenn Sie es in statistische Verteilungen einbetten und sagen: Was bedroht uns in welcher Häufigkeit und mit welchem Schadensausmaß? Dann rangiert Terrorismus ganz weit hinten. Im Sinne einer gefühlten Gefährdung rangiert Terrorismus sehr oben, weil die meisten Leute diese diffusen Gefühle haben, hier sind Schweinigel am wirken, die uns jederzeit an jedem Ort und alle gemein treffen können, und das ist ein ganz großes Gefühl der Unbehaglichkeit."
    Bei ihrem ersten Treffen haben die Wissenschaftler eine Studie vorgelegt, in der sie die sicherheitsrelevanten Entwicklungen der nächsten 20 Jahre skizzieren. Das Ergebnis lautet: Es gibt weder das eine große Thema noch die Sicherheitsforschung. Stattdessen nennen die Experten eine große Bandbreite an Inhalten – von Detektionsverfahren für Gefahrenstoffe bis hin zu der Frage, wie Menschen Risiken wahrnehmen. Sicherheit wird dadurch zum Querschnittsthema.

    "Und Aufgabe dieses Forums wird es eben auch sein, hier sozusagen die Beziehung zwischen den einzelnen Gefährdungen einmal herzustellen, deutlich zu machen: Was ist denn wie real? Und was ist nur gefühlt? Und was kommt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten realistischerweise auf uns zu?"
    Die Medien berichten über Terrorakte. Die Politiker warnen vor Pandemien. Neben den Modethemen gibt es Sicherheitsaspekte, die es kaum an die Öffentlichkeit schaffen. Obwohl Wissenschaftler wie Lars Gerhold und Wolf Dombrowsky sie für wichtig – oder sogar folgenreicher - halten:

    "Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren viel stärker damit zu tun bekommen werden, dass Arbeit knapp wird, dass es Formen des sozialen Abstiegs gibt, dass es soziale Spannungen gibt. Und wir werden viel mehr Probleme mit realen Ressourcenbeeinträchtigungen haben. Also Wasserprobleme, Nahrungsverunreinigungen. Ein ganz großes Problem, was eine Rolle spielt, sind zunehmend weltweit gefälschte Medikamente. Also es wird immer mehr Leute geben, die an gefälschte und damit wirklungslose Medikamente kommen. Also es gibt ein ganz anderes Spektrum von Gefahr, dass unter Umständen viel größer ist."
    Das Forschungsforum hat drei Jahre lang Zeit, eine offene Gesprächskultur zwischen Wissenschaft und Politik, Anwendern und Bevölkerung zu etablieren. Gehör sollen auch jene Stimmen finden, sagt Gerhold, die Unsicherheit als Bestandteil des modernen Lebens definieren. Andernfalls könnte die Sicherheitsforschung zum Wegbereiter des modernen Überwachungsstaates werden. Wolf Dombrowsky:

    "Es gibt eigentlich nur eine wirkliche Sicherheit und das ist: Man ist tot. Wenn sich nichts mehr bewegt, ist alles ganz sicher. Solange man noch lebt, hat man mit Unsicherheit zu tun."