Remme: Herr van Buitenen, Sie haben immerhin doch die Kommission zum Sturz gebracht seinerzeit, sind Sie stolz darauf?
Van Buitenen: Ich bin nicht stolz auf das Stürzen der Europäischen Kommission, das war auch nicht meine Absicht und ich habe das auch nicht allein gemacht: Ich war ein Rädchen in einem Mechanismus. Es hat - und das ist sehr schade -, es hat nicht gebracht, was es hätte bringen können. Die Gelegenheit war da für eine große Säuberung, es hat auch einen sehr guten Bericht vom Rat der Weisen gegeben, der im September 99 einen Bericht gemacht hat, wo alle wichtigen Erkenntnisse aufgelistet werden. Die europäische Kommission, Prodi und Kinnock und auch Frau Schreyer hätten nur diese 200 Seiten oder 300 Seiten durcharbeiten müssen und dann hätte das geklappt. Das haben die aber nicht gemacht, die Gelegenheit ist vorbei und da sind fünf Jahre verloren.
Remme: Aber es hieß doch seinerzeit von Herrn Prodi: Null Toleranz im Kampf gegen Betrug.
Van Buitenen: Ja, aber das sind schöne Worte, die Praxis ist anders.
Remme: Wie ist sie, die Praxis?
Van Buitenen: Die Praxis ist, dass alles weiterläuft, und wenn ich vielleicht eine kleine Korrektur anbringen darf. Ich habe nicht die Unregelmäßigkeiten aufgedeckt, ich habe aufgedeckt, wie man mit diesen Unregelmäßigkeiten umgeht. Denn Unregelmäßigkeiten gibt es immer. Es gibt keine Organisation und sicher keine große internationale Organisation, wo es keine Unregelmäßigkeiten gibt. Aber man soll die Unregelmäßigkeiten, die Berichte, die soll man ernst nehmen, und das macht man nicht.
Remme: Herr van Buitenen, hat man seinerzeit Ihre Leistung anerkannt, wie ist man mit Ihnen umgegangen?
Van Buitenen: Man hat das nicht anerkannt, ich habe eine Bestrafung bekommen. Und ich darf auch nicht mehr prüfen und darf jetzt auch nicht mehr im Finanzbereich arbeiten. Ich bin Assistent in der Personalverwaltung. Und ja, jetzt habe ich meine Schlüsse gezogen. Ich kann nur weitermachen als Europaabgeordneter, weil ich da der Europäischen Kommission keinen Gehorsam mehr schuldig bin, sondern dem Wähler und Gott.
Remme: Jetzt nehmen wir mal an, das klappt, Sie werden Abgeordneter. Werden Sie ein ganz normaler Abgeordneter sein?
Van Buitenen: Sie wissen das andere wahrscheinlich schon: Ich werde kein normaler Abgeordneter sein. Ich werde nicht an allen Abstimmungen oder Reisen oder Berichterstattungen teilnehmen. Ich werde mich sehr gezielt für Transparenz und Betrugsbekämpfung einsetzen, und nur wenn die Arbeiten dazu beitragen, werde ich da meine Leistungen machen.
Remme: Sie haben eine eigene Partei gegründet: "Europa Transparent". War das notwendig, musste eine eigene Organisation her?
Van Buitenen: Ich hätte das gerne ohne Partei gemacht, aber wenn man zur Wahl geht und wenn man gewählt werden soll, dann braucht man eine Partei. Also haben wir diese Partei gegründet. Es gibt 20 Kandidaten, glaubwürdige Kandidaten, die teilweise ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht haben. Wir werden jetzt sehen, wie das klappt, und ich hoffe, dass nicht nur ich, sondern auch ein paar andere Kandidaten mit ins Parlament einsteigen können.
Remme: Ich meinte auch eher, warum haben Sie nicht versucht, innerhalb von bestehenden Parteien zu kandidieren?
Van Buitenen: Da habe ich meine Hände nicht frei. Es gibt in jeder Partei Dogmas und Parteibelange, die wichtiger sind als individuelle Betrugsfälle. Und ich möchte gerne vorgehen gegen diese Unregelmäßigkeiten. Ich werde nicht gebremst, ich möchte nicht gebremst werden, wenn Parteimitglieder in einer Sache einbezogen sind. Und dass man dann sagt: "Okay, Herr van Buitenen, vielleicht ist es besser das liegen zu lassen, denn sonst schädigen Sie auch unser Parteimitglied." Wenn ich vielleicht ein Beispiel geben darf, die Grünen, die sehr kritisch gewesen sind bis 99, haben ihren Mund gehalten, als Frau Schreyer in der Europäischen Kommission mitgemacht hat. Denn sie haben Angst gehabt, dass sie ihren Kommissar schädigen würden. Also das ist ein schönes Beispiel dafür.
Remme: Sie sind nun nicht der einzige, der mit Anklagen gegen das System Brüssel Schlagzeilen macht. Der Österreicher Hans-Peter Martin hat jüngst mit seinen Vorwürfen gegen Abgeordnete für Aufruhr gesorgt. Sind solche Proteste dieser Art in Zukunft von Ihnen zu erwarten?
Van Buitenen: Ich weiß nicht, ob die Berichterstattung über Hans-Peter Martin stimmt. Ich glaube, wenn ich da nachgefragt habe, dass das, was er da gefunden hat, dass das stimmt. Es gibt Fragen über seine Methoden, darüber kann ich nicht reden. Ich möchte mich gerne selbst konzentrieren auf größere Beträge. Da gehen 100 Milliarden um in Europa und meine Einschätzung ist, dass fast ein Drittel davon nicht an den richtigen Ort kommt. Ich glaube, dass das wichtiger ist, als ob der Abgeordnete Eins oder Zwei da ein paar Hundert oder ein paar Tausend Euro einsteckt.
Remme: Ein Drittel des Etats sagen Sie, das klingt gewaltig. Was meinen Sie mit nicht an den richtigen Ort kommt?
Van Buitenen: Wenn man die Berichterstattung des Rechnungshofes sieht, dann redet man nur über fünf Prozent. Es gibt andere Experten, die über zehn Prozent reden. Aber ich habe Informationen, dass viele Sachen, wenn man denen als Wirtschaftsprüfer nachgeht, in Wirklichkeit nicht an den richtigen Ort gekommen sind. Also das sind Geldströme, die buchhaltungstechnisch in Ordnung sind, aber in der Praxis umgelenkt worden sind. Und das möchte ich gerne deutlich machen.
Remme: Können Sie uns das mal an einem Beispiel erklären, dass wir uns ein Bild davon machen können?
Van Buitenen: Es gibt mehrere Beispiele. Aber wenn man zum Beispiel nach Eurostat, der Generaldirektion für Statistik, guckt, hat die Finanzkontrolle der Kommission selbst herausgefunden, dass 30 Prozent der finanziellen Handlungen nicht in Ordnung waren. Ein anderes Beispiel ist, dass im Fall Leonardo da Vinci, was ein Berufsausbildungsprogramm ist, da hat die Kommission immer behauptet, dass es nur administrative Unregelmäßigkeiten gab für 10.000 oder 100.000 Euro mit einem externen Vertragspartner. Nur: wenn ich das vier Mal erneut eingereicht habe, die Andeutungen auf Unregelmäßigkeiten, hat man anerkannt viele Jahre später, dass das Geld, was aus Subventionen an den Vertragspartner gegangen ist, dass da auch Kriterien gefälscht wurden und dass da die Hauptströme des Geldes nicht in Ordnung waren. Aber dieser Bericht befindet sich immer noch in der Schublade und nur als Europaabgeordneter werde ich ihn herausholen können.
Remme: Herr van Buitenen, wenn all das stimmt und soviel Geld versickert, was sagt das über die EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF?
Van Buitenen: Die EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF ist nicht unabhängig. Auf dem Papier sind die unabhängig, aber wenn man realisiert, dass die Anti-Betrugsbehörde keine Staatsanwaltschaft hat, also keine demokratische Kontrolle und keine Unabhängigkeit, dass die Leute in einem Kommissionsgebäude arbeiten müssen, dass sie Computernetzwerke der Kommission nutzen und dass die Karriereplanung der Leute, die für OLAF arbeiten, abhängig ist von der Personalverwaltung der Kommission, dann kann man sich vorstellen, dass es mit der Unabhängigkeit nicht weit her ist.
Remme: Für wie groß halten Sie denn Ihre Chancen auf ein Mandat?
Van Buitenen: 100 Prozent.
Remme: Herr van Buitenen, das klingt überzeugt. Wir haben viel über Geld gesprochen, woher haben Sie das Geld für Ihre Kampagne genommen?
Van Buitenen: Ich habe nur einen kleinen Betrag, 16.000 Euro, den ich noch übrig hatte von der Publikation meines ersten Buches. Das habe ich da rein gesteckt. Wir können also fast nichts machen, weil es fast kein Geld gibt.
Remme: Was machen Sie, wenn es nicht klappt?
Van Buitenen: Darüber denke ich noch nicht nach, aber ich werde natürlich zurück als Beamter in die Kommission kommen, da wird dann ein Disziplinarverfahren gegen mich starten, und man wird versuchen mich loszuwerden und ich muss mich dagegen wehren und das wird wahrscheinlich nicht gelingen. Ich weiß nicht, wie das laufen wird.