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Gegen Steuerbetrug im EU-Binnenmarkt
Mit der Mehrwertsteuer-Befreiung soll bald Schluss sein

Beim Handel im EU-Binnenmarkt soll es nach dem Willen der EU-Kommission keine Befreiung von der Mehrwertsteuer mehr geben. Denn diese hat sich als Steuerschlupfloch für Unternehmen und als Einfallstor für Betrüger entpuppt. Ab 2022 sollen die Steuerbehörden des Ursprungslandes der Waren die Steuer einziehen.

Von Thomas Otto | 04.10.2017
    Der EU-Kommissar für Währung und Haushalt, Pierre Moscovici, am 30. November 2016 in Brüssel.
    Der EU-Kommissar für Währung und Haushalt, Pierre Moscovici (dpa / picture-alliance / Belga Photo / Benoit Doppagne)
    Noch hört die Zuständigkeit für die Mehrwertsteuer an den Grenzen der EU-Mitgliedsstaaten auf. Handeln Firmen zwischen verschiedenen Staaten, wird keine Mehrwertsteuer fällig. Die fällt dann erst in dem Land an, wo Produkte an den Endkunden verkauft werden.
    Das haben in der Vergangenheit Geschäftemacher genutzt, - Produkte in der EU mehrwertsteuerfrei gekauft und dann in einem anderen EU-Land mit Mehrwertsteuer verkauft. Bevor sie diese dann an den Staat abführen konnten, waren die Firmen entweder insolvent oder verschwunden und mit ihnen die Steuereinnahmen.
    Wenn die Güter mithilfe von Mittelsmännern mehrfach hin und her verkauft werden, kann sogar noch mehr Geld aus dem Steuersystem abgezweigt werden – so genannte Karussellgeschäfte. Damit soll nun Schluss sein, kündigt Finanzkommissar Pierre Moscovici an:
    "Das ist bei weitem der größte Betrug in der EU. Es geht hier um 50 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Übergangsregeln gelten seit 25 Jahren. Dieses Problem ist wohl das am leichtesten zu lösende, wenn die Staaten die Steuergrenzen im Binnenmarkt abschaffen. Das ist das Ziel unseres Vorschlages."
    "Im Europa das 21. Jahrhunderts müssen die Staaten einander vertrauen"
    Insgesamt gingen den Staaten durch Steuertricks, Betrug und Insolvenzen 150 Milliarden Euro pro Jahr verloren, so die Kommission. Mit der Reform soll die Mehrwertsteuerbefreiung beim Handel im Binnenmarkt abgeschafft werden, so dass die Steuer wie beim inländischen Handel weitergereicht wird. Die Staaten sollen dafür ihren Unternehmen eine zentrale Anlaufstelle bieten. Somit erhebt dann der Herkunftsstaat die Steuer zum Tarif des Ziellandes und reicht sie dort hin weiter.
    "Natürlich werden einige Staaten den Reflex haben zu sagen: Wir wollen nicht, dass andere unsere Mehrwertsteuer einsammeln. Es wird die Frage der Souveränität gestellt werden. Aber im Europa das 21. Jahrhunderts müssen die Staaten einander vertrauen, will man verhindern, dass Mafia und Terroristen der öffentlichen Hand jedes Jahr 50 Milliarden Euro entziehen."
    Nun werden das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten über Mosovicis Vorschlag beraten. Ziel ist, dass die neuen Regeln ab 2022 gelten werden.
    Luxemburg hatte Praktiken von Amazon abgesegnet
    Im Rahmen der heute beschlossenen Vertragsverletzungverfahren hat die Kommission außerdem Deutschland aufgefordert, sein Mehrwertsteuer-Erstattungssystem endlich an das EU-Recht anzupassen.
    Daneben wurden zwei Verfahren gegen Amazon und Irland eröffnet. Luxemburg soll 250 Millionen Euro nicht gezahlter Steuern von Amazon einziehen. Das Geld hatte Amazon durch sein komplexes Firmengeflecht gespart, bei dem sich das Unternehmen selbst Lizenzgebühren zahlt und seinen Gewinn kleinrechnet. Luxemburg hatte das abgesegnet, kritisiert Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager:
    "Ein Mitgliedsstaat kann einem multinationalen Konzern keine Vorteile gewähren, die lokalen Firmen nicht gewährt werden. Das verzerrt den Wettbewerb und ist nach unseren EU-Regeln illegal."
    Außerdem bringt die Kommission ein Verfahren gegen Irland vor den Europäischen Gerichtshof: Das Land soll vom IT-Riesen Apple 13 Milliarden Euro einziehen, nachdem die Kommission das Steuersparmodell von Apple zur illegalen staatlichen Beihilfe erklärt hatte. Bisher ist Irland dieser Aufforderung noch nicht nachgekommen. Bei einer Verurteilung durch den EuGH droht den Iren eine Geldbuße in Millionenhöhe.