Freitag, 19. April 2024

Archiv


Gegen Vorverurteilung von Athleten

Nachdem die A-Probe eines Dopingtests gegen US-Sprinterin Marion Jones positiv ausgefallen war, konnte die B-Probe dieses Ergebnis nicht bestätigen. Der Kölner Dopinganalytiker Wilhelm Schänzer fordert deshalb, das Ergebnis der A-Probe nicht vor erfolgter B-Probe bekannt zu geben. Sonst könne man Vorwürfe gegenüber einem Athleten auch danach nur sehr schwer entkräften.

Moderation: Klaus Remme | 07.09.2006
    Klaus Remme: Dopingvorwürfe gegen die amerikanische Sprinterin Marion Jones gibt es seit vielen Jahren. Beweise gegen sie hatte man bisher keine, bis vor knapp drei Wochen, als die A-Probe eines Tests positiv ausfiel. Alles schien eigentlich zu passen. Jones hatte bei den amerikanischen Meisterschaften in Indianapolis überraschend gute Zeiten gelaufen, hatte unmittelbar vor Bekanntwerden der A-Probe auf einen Start in Zürich verzichtet und reiste plötzlich ab. Sie bestritt alle Vorwürfe und verwies auf die B-Probe. Und in der Tat: Diese ist jetzt negativ ausgefallen. Das kommt vor, ist aber doch wohl ungewöhnlich, oder? Am Telefon ist der Kölner Dopinganalytiker Wilhelm Schänzer. Guten Tag!

    Wilhelm Schänzer: Schönen guten Tag!

    Remme: Herr Schänzer, wie selten ist so etwas?

    Schänzer: Es ist sicherlich so, dass wir bei den gängigen Dopingsubstanzen eine sehr hohe Wiederholbarkeit der Analysen, auch der B-Analysen haben. Aus meiner Erfahrung liegen die Fälle, wo die B-Analyse das A-Analysen-Ergebnis nicht bestätigt hat, deutlich unter 1 Prozent aller Fälle. Bei EPO-Analysen haben wir allerdings in den letzten Jahren einige Problemfälle gehabt, wo die B-Analyse die A-Analyse nicht bestätigen konnte. Das hängt zum Teil eben auch mit der Struktur von EPO zusammen. Das ist ein Eiweißmolekül, sehr komplex, sehr heterogen und sehr anfällig gegen alle Einflussnahmen.

    Remme: Ist dies ein Freispruch oder bleiben für Sie Zweifel?

    Schänzer: Ja gut, es ist natürlich immer ein Zweifel, der sicherlich bleibt. Das Problem ist natürlich, wenn das B-Analysen-Ergebnis negativ ist, dann muss das ganze Verfahren als negativ bewertet werden, denn man ist nicht in der Lage, der Athletin diesen Dopingvorwurf eindeutig nachzuweisen. Dass der Verband dann natürlich überprüft, die Athletin besonders in Augenschein nimmt, das ist sicherlich dann die Folge auch davon. Ich kenne natürlich im Augenblick nicht die Umstände, worauf diese abweichenden Ergebnisse zurückzuführen sind. Da gibt es immer mehrere Möglichkeiten. Das muss geklärt werden. Ich denke, dass der Verband das intern auch klären muss.

    Generell ist es natürlich ärgerlich, und ich sage das auch seit einigen Jahren. Man sollte grundsätzlich A-Analysen-Ergebnisse nicht bekannt geben, bevor die B-Analyse gelaufen ist oder durchgeführt worden ist. In der Regel ist die Wahrscheinlichkeit zwar gering, dass das abweicht, aber es ist vorgekommen in der Vergangenheit, und dann sind natürlich Vorwürfe einem Athleten gegenüber nach der Analyse im Raum und die kann man selbst mit einer negativen Analyse sehr schlecht entkräften.

    Remme: Aber Sie sagen es bleiben Zweifel. Das heißt also, das Ergebnis der A-Probe, das ist jetzt nicht einfach gestrichen? Das ist eine Aussage für sich?

    Schänzer: In der Regel ist es so: Das Ergebnis kann intern verwendet werden, um gezielt einen Athleten zu kontrollieren oder nicht, wenn das geklärt ist. Es ist natürlich ganz schlecht, wenn Zweifel in der Öffentlichkeit bleiben, weil es ist von der analytischen Seite her nicht nachgewiesen worden. Deshalb ist es aus meiner Sicht immer unbefriedigend, auch von der analytischen Seite her, wenn Ergebnisse schon bekannt werden, bevor das gesamte Verfahren mit der B-Probe erst abgeschlossen ist und bekannt gegeben wird.

    Remme: Herr Schänzer, können diese Tests verbessert werden, dass so etwas nicht vorkommt?

    Schänzer: Wir verbessern diese Tests seit einiger Zeit sicherlich. Wir versuchen so etwas zu verbessern. Aber wir versuchen natürlich auch, Dopingverstöße effektiv nachzuweisen. Da kommt man gerade mit den Techniken in den letzten Jahren, die uns bekannt sind, dass man auch versucht, mit niedrigeren Dosen an EPO zu arbeiten, natürlich in Grenzbereiche der Analytik und dann geht man sicherlich, wenn die Kriterien eindeutig erfüllt sind, aber die Konzentrationen in den Proben sind dann sehr gering, ein gewisses Risiko ein, dass die B-Analyse zur Abweichung kommen kann, gerade bei solchen komplexen Strukturen wie EPO.

    Das ist sicherlich ein Problem und deshalb plädiere ich gerade bei der EPO-Analyse dafür, dass man grundsätzlich zwar hier das ganze Analyseverfahren verbessert - das machen wir auch -, aber wir müssen auch eine hohe Abschreckung erreichen. Wenn im Augenblick eben die Problematik besteht, dass es zu Abweichungen kommt, dann muss man einfach den Athleten gegenüber gerecht sein und sagen, wir geben das Ergebnis wirklich erst an die Öffentlichkeit, wenn die B-Probe abgeschlossen ist.

    Remme: Sie haben diese Gefahr der Vorverurteilung benannt. Ein gewaltiger Nachteil ist natürlich der Zeitraum, der zwischen A- und B-Probe verstreicht. In diesem Falle waren es fast drei Wochen. Ist dieser Zeitraum zwingend, oder warum macht man diese Proben nicht schneller hintereinander?

    Schänzer: Bei Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen versucht man, so etwas natürlich sehr zeitnah zu determinieren. Da kann das innerhalb einiger Tage danach gemacht werden. Es muss alles organisiert werden, abgeschlossen werden. Ich denke auch hier kann man sicherlich noch Verbesserungen treffen, dass das schneller durchgeführt wird, aber letzten Endes muss man natürlich auch sehen: Ein Labor, das eine B-Analyse durchführt - und die EPO-Analyse dauert in der Regel drei Tage -, hat für diesen Zeitraum eine gewisse Arbeitsgruppe dann auch blockiert.

    Das muss natürlich organisiert werden und in der Hinsicht sind hier natürlich schon hohe logistische Forderungen an das Labor. Die müssen abgestimmt werden und da ist es im Augenblick eben so, wenn solche Analysen außerhalb dieser Großveranstaltungen fallen, dass dann eben eine Zeitvorgabe von zwei bis drei Wochen schon in der Regel der Fall ist. Sicherlich versuchen wir, diese Zeit natürlich auch zu verkürzen.

    Remme: Wilhelm Schänzer war das, Dopinganalytiker an der Sporthochschule in Köln.