Freitag, 19. April 2024

Archiv

Gegenwind: Was die Energiewende bremst (3/6)
Emissionshandel, ein zahnloser Tiger

Während die Energieeffizienz in den 1990er Jahren in Deutschland noch stark zunahm, ist der Trend mittlerweile eingeschlafen. Fortschritt sollte eigentlich der Emissionshandel bringen. Doch die Preise für Zertifikate sind so niedrig, dass die Industrie ihre Nutzung nicht weiter einschränkt.

Von Volker Mrasek | 06.11.2017
    Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes in Jänschwalde. (Aufnahme von 2015)
    Kohle - wie hier aus dem Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde - wird in Form von Koks bei der Stahlproduktion benötigt. Können wir den Stahl mit anderen Prozessen herstellen? (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Wir haben jetzt aus der Sichtluke gerade ein wenig Klinkerstaub weggeschürt, um einen Blick in den Ofen zu haben."
    Ein Zementwerk mit seinen typischen "Drehrohröfen". Sie sind so lang wie eine Boeing 747.
    "Wir feuern hier mit Kohle überwiegend. Hier haben wir es zum ersten Mal mit echten CO2-Emissionen aus dem Zementwerk zu tun."

    Zement, Stahl, Chemie - das sind die großen energiehungrigen Industriezweige in Deutschland. Weitere wie der Automobil- und Häuserbau kommen hinzu. Zusammen sind sie für rund ein Fünftel der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland verantwortlich.
    Trend der Energieeffizienz-Steigerung hielt nicht an
    "Das einzige explizite Ziel für die Industrie ist tatsächlich erst im Klimaschutzplan 2050 festgelegt worden, der im Herbst 2016 beschlossen wurde." - "Als Ziel für das Jahr 2030: eine Halbierung der Kohlendioxid-Emissionen gegenüber dem Jahr 1990."
    Barbara Schlomann und Clemens Rohde vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und der Bauingenieur forschen schon lange über Energienutzung und Energieeffizienz in der Industrie. In den 90er Jahren schienen Deutschlands Unternehmen auf einem guten Weg. Die Energieeffizienz nahm stark zu, weil die Industrie in der früheren DDR von Grund auf modernisiert wurde. Doch dieser Trend hielt nicht an.
    "Seit 2000 war die Entwicklung deutlich schwächer. Und seit 2008 war nur noch ein sehr geringer Fortschritt der Energieeffizienz-Entwicklung in der Industrie."
    Zu viele Emissions-Zertifikate auf dem Markt
    Diesen Fortschritt hätte eigentlich der europäische Emissionshandel bringen sollen. Die wichtigsten Industriezweige brauchen seit dem Jahr 2005 Zertifikate für jede ausgestoßene Tonne CO2. Doch es sind viel zu viele dieser Zertifikate auf dem Markt, und der CO2-Preis dümpelt bei ein paar Euro pro Tonne. Das ist zu wenig, um fossile Energieträger so teuer zu machen, dass die Industrie ihre Nutzung weiter einschränkt.
    Der Physiker Wolfgang Eichhammer, auch er Energieexperte am Fraunhofer-ISI: "Das ist im Grunde genommen eine versäumte Dekade, die letzten zehn Jahre, die darauf zurückzuführen ist, dass es die Politik auf europäischer Ebene, aber natürlich auch die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht geschafft haben, die Preise nach oben zu heben. Man hat 10, 15 Jahre verloren. Die fehlen einem dann, wenn man das 2050-Ziel anschaut."
    "Es bedarf schon immenser Anstrengungen"
    2050 - bis dahin sollen alle Sektoren in Deutschland möglichst 95 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1990, wie Clemens Rohde erläutert - also auch die Industrie.
    "Wir haben das in verschiedenen Szenarienrechnungen gezeigt, dass das möglich ist. Aber es bedarf schon immenser Anstrengungen. Das heißt: In den großen energieintensiven Industrien - Eisen-, Stahlherstellung, chemische Industrie, Zementherstellung -, da wird man an den Prozessen grundsätzlich etwas ändern müssen."
    Können wir Stahl mit anderen Prozessen herstellen?
    Auf erneuerbare Energieträger umzustellen - das allein wird nicht genügen. Wolfgang Eichhammer verweist auf die Stahlerzeugung im Hochofen.
    "Der Hochofen verwendet leider ziemlich viel Kohle in Form von Koks. Der verwendet ja Koks direkt. Da können Sie so viele Erneuerbare machen wie Sie wollen. Und die Frage ist jetzt: Können wir den Stahl mit anderen Prozessen herstellen, zum Beispiel mit Prozessen, die auf Wasserstoff beruhen? Und der Wasserstoff wird zum Beispiel über Erneuerbare CO2-frei erzeugt. Da gibt es im Prinzip Wege. Nur: In die großtechnische Anwendung dauert es natürlich ein bisschen. Und deswegen hätten die Unternehmen eigentlich schon früher starten können."

    Ungenutzte Einsparpotenziale gibt es auch noch bei sogenannten Querschnittstechnologien, wie Rohde und Eichhammer sie nennen.
    "Motoren, Pumpen, Druckluftsysteme, Ventilatoren, Heizungssysteme. Diese ganzen Querschnittstechnologien decken auch einen sehr wesentlichen Teil des Energieverbrauchs in der Industrie ab. Nur als Beispiel: Ein Maschinenbau-Unternehmen hat 90 Prozent der Energie eingespart, indem es die Abwärme genutzt hat, die von den Maschinen kam. Es zeigt, was da im Prinzip möglich ist."
    Am Anfang stehen Investitionen
    So etwas rechne sich auch betriebswirtschaftlich. Doch am Anfang müsse erst einmal investiert werden. Deswegen winkten viele Unternehmen ab.
    Das Problem: "Dass die Amortisation von solchen Technologien unter ein oder zwei Jahren sein muss. Und das heißt: Viele wirtschaftliche Investitionen fallen einfach durch das unternehmensinterne Entscheidungsraster."
    Um das zu ändern, hat das Karlsruher Fraunhofer-Insitut Effizienz-Netzwerke aufgebaut, mit rund 300 Betrieben aus den verschiedensten Branchen. Einer lernt dabei vom anderen. Alle sparen Energie.
    "Durch diesen gegenseitigen Austausch schaffen es die Unternehmen, ihren Effizienz-Fortschritt deutlich zu steigern."
    Solche Initiativen müssen sich auf breiter Front durchsetzen und die Politik den Emissionshandel so umgestalten, dass der Ausstoß von CO2 endlich richtig teuer wird. Dann würden Großindustrie und Kleinbetriebe viel stärker in Energieeffizienz investieren und versuchen, ihre Emissionen zu senken. Passiert das nicht, werden sie ihre Klimaschutzziele auf jeden Fall verfehlen.