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"Geheime Dienste"
Die dunklen Seiten des Bundesnachrichtendienstes

Der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, die sogenannte Organisation Gehlen, betrieb in den Anfangsjahren der Bundesrepublik systematisch gesetzwidrig politische Inlandsspionage. Das hat eine Historikerkommission nun eindeutig belegt. Ihre Erkenntnis legt sie in dem Buch "Geheime Dienste" dar.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 11.10.2018
    Geheimdienstgeneral a. D. Reinhard Gehlen 1976
    Ließ die politischen Gegner von Bundeskanzler Konrad Adenauer ausspionieren: Geheimdienstgeneral Reinhard Gehlen (imago / Sven Simon)
    Bislang gab es überwiegend Gerüchte und Spekulationen. Dass die Organisation Gehlen, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst hervorging, gesetzwidrig politische Inlandsspionage betrieb, kann die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte von 1945 bis '68 jetzt erstmals belegen.:
    "Die Organisation Gehlen hat in allen relevanten Milieus, in den wichtigsten Parteien Spitzel implantiert, so genannte V-Leute. Sie hatte Sonderverbindungen. Sie hat Informationen eingezogen, für die sie gar keine Legitimation hatte, nämlich Informationen aus den Gewerkschaften, aus der FDP, aus der SPD, aus der CDU, und natürlich aus den linksliberalen Milieus, aus den kritischen Milieus. Im Grunde hat sie alles beobachtet was nicht in ihr autoritär-antiliberales Weltbild passte und alle Persönlichkeiten und Milieus, die mit der adenauerschen Politik nicht einverstanden waren."
    Inlandsspionage für die Bundesregierung
    Der Historiker Klaus-Dietmar Henke hat unzählige Dokumente gesichtet. Diese zeigen, dass Gehlen und seine Leute unter Bundeskanzler Konrad Adenauer alles andere taten, als im Ausland Nachrichten zu beschaffen. Henke spricht von einem System der politischen Inlandsspionage, haben Gehlen und sein Dienst doch "Leute wie den Intendanten des Nordwestdeutschen Rundfunks, den früheren preußischen Kultusminister Grimme verfolgt mit übler Nachrede über Jahre hinweg und diese Informationen alle nach Bonn geliefert. Wir finden hier aberwitzige Beschuldigungen, Verleumdungen, die mehr als einmal in reinem Rufmord münden."
    Der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, in Offiziersuniform auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1944.
    Der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, in Offiziersuniform auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1944 (picture alliance / Ullstein)
    Reinhard Gehlen verfolgte damit von Anfang an das Ziel, sich unentbehrlich zu machen. Die nach kurzer Zeit entstandene Symbiose zwischen dem Geheimdienst-Chef in Pullach und dem Chef im Bundeskanzleramt, Hans Globke, beruhte auf einem Geben und Nehmen, erzählt der emeritierte Professor für Zeitgeschichte Henke.
    Nicht unbemerkt, aber von den Amerikanern geduldet, flossen relevante innenpolitische Informationen nach Bonn. Globke und Adenauer entschieden schon 1950, dass sie die Organisation Gehlen, die erst der amerikanischen Armee, dann der CIA unterstand, zum bundesdeutschen Nachrichtendienst machen wollten - mit dem früheren General Gehlen an der Spitze.
    Gehlen überwacht auch den Verfassungsschutz
    Dass dieser außerdem Chef der Inlandsaufklärung, also des Verfassungsschutzes werden wollte, fand in Bonn ebenfalls Unterstützung, sagt Klaus-Dietmar Henke. Seine Rivalen räumte der "Doktor", wie er genannt wurde, damals aus dem Weg: Etwa Otto John, erster Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das 1950 auf Betreiben der Briten ohne Gehlen gegründet wurde.
    "Das war ja ein beidseitiges Konkurrenzverhältnis. Ein Problem war zum Beispiel, in wessen Arbeitsgebiet die DDR fallen würde. War die DDR jetzt also Inland, oder war die DDR Ausland? Und beide haben das je nach ihren Interessen definiert und sich damit in ihrer Arbeit auch stark überschnitten oder sind sich dabei auch in die Quere gekommen", sagt Constantin Goschler. Er hat 2015 die NS-Belastung im damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz untersucht. Gehlen sei es gelungen, einen leitenden Mitarbeiter an der Spitze des Amtes zu platzieren, erzählt der Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum: Albert Radke war von 1951 bis '64 dort Vizepräsident und berichtete Gehlen regelmäßig über interne Vorgänge.
    Ungeachtet dieser Grenzüberschreitungen, gegen die der Verfassungsschutz vergeblich protestiert habe, einte eine ähnliche Haltung die beiden Konkurrenten, meint Constantin Goschler: "Wer waren denn eigentlich die Gegner in den Augen dieser beiden Organisationen? Und da findet man natürlich ein hohes Maß an Übereinstimmung. Denn vor allem in den 50er und 60er Jahren war der Hauptgegner die Sowjetunion und der von ihr gelenkte Weltkommunismus. Das war sozusagen das zentrale Schreckensbild, auf das beide Organisationen hin orientiert waren."
    Gehlens Antikommunismus: ein Antiliberalismus
    Nach Ansicht von Klaus-Dietmar Henke hatte Gehlen zwar keine konkreten politischen Ziele, stützte aber Adenauers Politik der Wiederbewaffnung und West-Integration. Reinhard Gehlen sagte dem Kommunismus bis zum Ende seiner Amtszeit den Kampf an und verfiel immer stärker in einen realitätsblinden Alarmismus, so der Historiker. Letzten Endes habe der Antikommunismus ihm aber als Feigenblatt gedient: "Dieser Antikommunismus Gehlens war im Kern – und das ist ein Ergebnis der Studie – ein Antiliberalismus. Also eine Bekämpfung moderner Lebensweise, eine Bekämpfung einer liberalen Politik, eine Bekämpfung von Trends, die gegen das national-autoritäre Selbstverständnis in Pullach stand."
    Reinhard Gehlen (GER/Geheimdienst-General a.D.) zu Hause in seinem Arbeitszimmer in Berg Reinhard Gehlen ger Secret Service General a D to Home in his Work rooms in mountain
    Geheimdienst-General a.D. Reinhard Gehlen zu Hause in seinem Arbeitszimmer (imago/Sven Simon)
    Anders als der Verfassungsschutz entbehrte die Organisation Gehlen vor 1956 jeder gesetzlichen Grundlage. Ihr Personal kam aus den Terrorapparaten und dem alten Generalstab des Nationalsozialismus. Für Klaus-Dietmar Henke ein autoritärer, nationalkonservativer Männerbund, der über einige Tausend hauptamtliche Mitarbeiter und Informanten verfügte.
    Constantin Goschler stellt bei BND und Verfassungsschutz eine ähnliche Entwicklung fest: "Wer sollte denn da eigentlich vor diesen Feinden geschützt werden? Am Anfang stand ein Selbstverständnis als Regierungsschutz. Das hat sich dann allmählich ausgeweitet zu einem Selbstverständnis als Staatsschutz. Und es hat noch länger gedauert, bis dann ein allgemeineres Verständnis entstanden ist, dass das schützenswerte Gut eigentlich die Verfassung und die individuellen Rechte ihrer Bürger und Bürgerinnen sein sollten."
    Weiteres Buch zu Gehlen geplant
    Henkes Untersuchung bestätigt die bisherigen Ergebnisse der Historikerkommission: Reinhard Gehlen war alles andere als ein Jahrhundertspion. Der 'Vernunft-Amerikaner', wie der Historiker ihn nennt, ließ seinen Laden verlottern. Als außenpolitischer Analytiker war er wegen seiner ideologischen Voreingenommenheit ohnehin ungeeignet: "Ich glaube, dass Gehlen wesentlich beigetragen hat, diese Liberalisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik zu verlangsamen, aber aufhalten konnte er sie natürlich nicht, obwohl ihm das sicherlich gefallen hätte."
    Dass der BND die Inlandsspionage in der zweiten Amtszeit Adenauers ab 1953 noch intensivierte, darüber will Henke noch ein zweites Buch vorlegen. Gehlen persönlich organisierte nun die Ausforschung des SPD-Parteivorstands. Informationen über den stärksten politischen Gegner landeten von nun an täglich auf dem Tisch des Bundeskanzlers.