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Geheul über Kriegstote

Aischylos schreibt "Die Perser" als einer, der historisch zum angegriffenen und siegreichen Volk der Griechen gehörte, über das Leid und die Klage, die im Heimatland des Aggressors ausbricht. Es ist diese Empathie, die die Bedeutung der "Perser" ausmacht.

Von Sven Ricklefs |
    Schwierig, dieses Stück, "Die Perser" von Aischylos. Sprachlich hohe Kost, kommt es eigentlich vollkommen handlungsfrei daher, ist eher eine - manchmal durchaus auch enervierende - Aneinanderreihung von Botenberichten, Schlachtenpanoramen, wehmütigen Erinnerungen an Blütezeiten und: Klagegesang.

    Verzwickt auch die Autorenposition von Aischylos. Da schreibt einer, der historisch zum angegriffenen und siegreichen Volk der Griechen gehörte, über das Leid und die Klage, die im Heimatland des Aggressors, im Heimatland der Barbaren, der Perser ausbricht, nach ihrer vernichtenden Niederlage. Zugleich ist es wohl diese Empathie, die die Bedeutung der "Perser" ausmacht, und die auch den Regisseur und Intendanten der Münchner Kammerspiele, Johan Simons, interessiert hat. Und tatsächlich stellt sich die Frage, ob jene, von denen ein Krieg ausging, die also in Hybris sich das Recht auf Gewalt anmaßten, trotzdem das Recht haben auf Trauer über ihre Toten, auf Klage über die Verluste von Männer oder Söhnen oder Heimat.

    "Schrecklich ist es als Erster den Schrecken zu melden.
    Ihr Perser, wer nimmt mir das ab.
    Hier ist es, das ganze Unglück.
    Vernichtend geschlagen liegt das Heer der Barbaren."

    Es ist der totale Untergang für die persische Flotte, die Seeschlacht von Salamis, kaum einer kehrt in die Heimat zurück, bei Aischylos findet nur der Unglücksbote seinen Weg zurück und Xerxes, der König. In München werden nun diese beiden von Hildegart Schmahl erwartet, die als Führerin ihre Stimme dem Chor verleiht. Und Schmahl zieht großartig alle Register ihrer Kunst, schwankt zwischen Zorn und Trauer, zwischen Klagegestus und fast soldatisch aufrechterhaltener Contenance und nuanciert zugleich den geschmeidig von Durs Grünbein ins Deutsche übertragenen Text, mal auffahrend mal verhalten ohne je in die bei antiken Stoffen so nahe Gefahr des falschen Pathos zu geraten.

    "Wehe oh König,
    unser stattliches Heer,
    weh der Verlust der persischen Macht,
    der Verlust so vieler Männer und Waffen,
    ein Dämon hat unsere Reihen gelichtet."

    Überhaupt hat Johan Simons diese Perser ganz im Vertrauen auf die Sprache und auf seine Schauspieler inszeniert, und das zu Recht. Er gibt ihnen jeweils Raum, lässt die Szenen musikalisch untermalt an und abschwellen. Seine Inszenierung zeugt von viel Respekt vor dem Text und von Mut diesen in all seiner melodischen Sperrigkeit für sich stehen zu lassen.

    Und doch verlässt man dieses Theater merkwürdig unzufrieden. Das liegt an den beiden bisher unerwähnten Zutaten, die diese Produktion wohl eigentlich auszeichnen und herausheben sollten. Zum einen spielen diese Perser eben nicht in den jugendstilumkränzten Münchner Kammerspielen, sondern in der Bayernkaserne an Münchens Peripherie. Zum anderen gesellt sich zu der Chorführerin Hildegard Schmahl ein fast durchweg stummer Chor. Das sind sowohl Münchner Bürger, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, als auch Kriegsflüchtlinge, aus Somalia etwa oder dem Irak, die zur Zeit in der ehemals von den Nazis erbauten Bayernkaserne untergebracht sind.

    Ein wahrhaftiger Bürgerchor also, dessen Mitglieder das Grauen des Krieges am eigenen Leibe erfahren haben und ein geschichtsträchtiger Spielort, noch dazu einmal nicht im Zentrum der Stadt, sondern an der Peripherie. So war es wohl gedacht von Johan Simons, der schon in den 80er-Jahren in seiner Heimat mit seiner Gruppe Hollandia gern in Lagerhallen oder Kuhställen gastierte.

    Doch zeigt sich die ehemalige Reparaturhalle für Lastkraftwagen merkwürdig neutral, vermittelt nichts vom Soldatentum oder Kriegshandwerk, und auch der Chor, der bis auf einen etwas schütteren Klagegesang stumm bleibt, gruppiert sich eher dekorativ im Raum. Und seine Beteiligung muss man sich gleichsam anlesen.

    Auf Stadtraumerkundung setzt Johan Simons, der seine Kammerspiele als Künstlerdorf bezeichnet, aus dem es auszuschwärmen gilt, um gleichzeitig neue Menschen hereinzuholen. Dass die Perser dazu ein Versuch sind, ist offensichtlich. Doch hat dieser Versuch eben noch nicht so ganz funktioniert. Im Gegenteil. Vielleicht verstellt er den Blick auf ein Theater, das sich eigentlich lohnen würde anzuschauen.