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Gehirnforschung
Wie das Altern die grauen Zellen verändert

Die Aktivitäten des menschlichen Gehirns sind faszinierend: Milliarden von Nervenzellen tauschen ständig Informationen aus. Allerdings mutieren sie im Laufe des Lebens. Altersbedingt, haben US-Forscher nun herausgefunden. Doch die Untersuchungen brachten noch weitere erstaunliche Ergebnisse.

Von Michael Lange | 08.12.2017
    Nerve cell, artwork Nerve cell, computer artwork.
    Die Zahl der Mutationen von Zellen im Gehirn steigt mit dem Alter deutlich an, was auch mit vermehrten Gedächtnisstörungen einhergeht (imago / Pixologicstudio)
    Was eine Zelle leisten kann, das bestimmt die Sequenz ihrer DNA. Die exakte Reihenfolge der genetischen Buchstaben. Doch im Laufe des Lebens kommt es zu kleinen Änderungen im Erbgut, genannt Mutationen, auch bei den Nervenzellen im Gehirn. Mit neuester Technik haben Mediziner um Michael Lodato von der Harvard Medical School und vom Boston Children's Hospital die Mutationen im Gehirn Verstorbener aufgespürt:
    "Wir haben das Erbgut einzelner Zellen im Gehirn vollständig sequenziert und analysiert - insgesamt 161 einzelne Zellen von gesunden Personen im Alter bis zu 83 Jahren. Wir haben so festgestellt, dass die Zahl der Mutationen mit dem Alter ansteigt. Wir wollten dann wissen, ob das direkt mit dem Altern zusammenhängt. Und die Antwort lautet: Ja, genau das haben wir beobachtet."
    Nervenzellen verlieren im Alter ihre Funktion
    Gedächtnisstörungen, wie sie im Alter vermehrt auftreten, gehen mit einer erhöhten Zahl von Mutationen in den Nervenzellen einher. Das wurde deutlich, als die Forscher die Zellen einzelner Personen mit seltenen Nervenkrankheiten untersuchten, erklärt Michael Coulter, ein Mitautor der Studie:
    "Wir entdeckten bei Patienten mit Nervenkrankheiten doppelt so viele Mutationen wie üblich. Unsere Ergebnisse stützen die These, dass Nervenzellen im Alter oder bei Krankheiten ihre Funktion verlieren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zellen absterben."
    Bleibt die Frage nach der Ursache. Strahlung könnte die Mutationsrate steigern, aber auch Gifte wie Luftschadstoffe oder Pflanzenschutzmittel. Studienmitautorin Rachel Rodin findet: Das passt zu bereits gängigen Erklärungen.
    "Viele unserer Ergebnisse deuten darauf hin, dass schädliche Oxidationsprozesse eine mögliche Ursache sind für die Mutationen. Begünstigt werden sie durch Oxidantien, die im Körper entstehen. Aber auch künstliche Chemikalien können die DNA in unseren Zellen schädigen."
    Ergebnisse unterstützen die Vitamin-C-These
    Das stützt eine alte Theorie, wonach Antioxidantien wie Vitamin C vor Mutationen schützen und so Alterungsprozesse verlangsamen. Aber die schädlichen Mutationen sind nur eine Seite der genetischen Vielfalt im Gehirn. Es könnte sein, dass es auch nützliche Veränderungen im Erbgut der Nervenzellen gibt. Zum Beispiel, wenn im embryonalen Gehirn die ersten Nervenzellen heranreifen. Das Team um Alexej Abyzov an der Mayo-Klinik in Rochester hat deshalb die Erbinformation von Nervenzellen im Fötus untersucht.
    "Wir entdeckten deutliche Unterschiede. Im frühen Gehirn eines Fötus finden viel mehr Mutationen statt als später nach der Geburt."
    Was passiert im ganz jungen Gehirn?
    Auch diese Mutationen können im Gehirn Schaden anrichten, und die Entwicklung des Fötus beeinträchtigen. Aber es gibt auch die Theorie, dass genetische Veränderungen im frühen Gehirn die Fähigkeiten eines Menschen positiv beeinflussen. Alexej Abyzov:
    "Manchmal sind Unterschiede nützlich. Vielleicht ist es noch zu spekulativ, davon zu sprechen, dass Genetik Vielfalt im Gehirn schafft. Aber in Einzelfällen könnte es dem Gehirn besondere Fähigkeiten verleihen, vielleicht ein Talent für Wissenschaft oder Musik."
    Die Zusammenhänge wollen die Forscher jetzt genauer erkunden. Zum Beispiel, indem sie kleine Mini-Gehirne, so genannte Organoide, im Labor wachsen lassen.