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Geißler: Vorgehen Angela Merkels im Falle Hohmann richtig

Friedbert Meurer: Morgen früh will die gemeinsame Fraktion von CDU und CSU entscheiden, ob sie den hessischen Abgeordneten Hohmann aus ihren Reihen ausschließt. Hohmann hatte am 03. Oktober ja eine Rede gehalten, die als antisemitisch interpretiert wird. Er hat sich am Dienstag zwar in der Fraktionssitzung entschuldigt, aber gleichzeitig auch geweigert, seine Kernaussagen zurückzunehmen. Noch hofft die Union, dass Hohmann von sich aus verzichtet. Wohl allerdings vergeblich. Die Unionsführung hofft immer noch auf einen freiwilligen Verzicht Martin Hohmanns, damit es nicht zu einer Abstimmung morgen kommt, denn es könnte Gegenstimmen zu Gunsten Hohmanns geben. An der Unionsbasis soll es brodeln. Gegen Frau Merkel erheben sich vieler Orts Stimmen für Hohmann. Die Union und der Fall Hohmann. Am Telefon begrüße ich nun den CDU-Politiker Heiner Geißler. Zunächst: Finden Sie, Herr Geißler, es richtig, dass Hohmann gehen muss?

    Heiner Geißler: Ja, es ist richtig. Auch der Zeitpunkt ist richtig. Es war richtig, dass Angela Merkel ihm in den ersten Tagen die Möglichkeit eröffnet hat, inhaltlich von seinen Äußerungen abzurücken. Diese Chance hat er vertan. Deswegen ist die Entscheidung jetzt richtig.

    Meurer: Hat Angela Merkel am Anfang den Fall nicht vielleicht doch falsch eingeschätzt und deswegen zu spät gehandelt?

    Geißler: Das glaube ich nicht. Das ist keine einfache Sache. Ein Mitglied einer Fraktion einfach innerhalb von zwei Tagen hinauszuwerfen mit den sich daran anknüpfenden Konsequenzen, das kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Deswegen glaube ich, dass das so richtig abgelaufen ist. Man hat ganz sicher von Anfang an – das muss man ja sagen – diese Äußerungen als nicht akzeptabel bezeichnet. Es gab keine inhaltliche Identifizierung mit Hohmann.

    Meurer: Geht man menschlich korrekt mit Martin Hohmann um? Der CSU- Abgeordnete Norbert Geist, den Sie ja aus alten Tagen noch kennen, bestreitet gerade das.

    Geißler: Es wird immer Leute geben, die wegen einer inhaltlichen Übereinstimmung das Formale in den Vordergrund stellen. Das wird bei Norbert Geist so der Fall sein. Er wird den Auffassungen von Hohmann inhaltlich näher stehen. Wir haben ja aber gerade darüber geredet: Man hat Hohmann ja wirklich aus menschlichen Gründen die Chance gegeben, die Sache inhaltlich wieder zu revidieren. Das hat er ja ausdrücklich abgelehnt.

    Meurer: Würden Sie dann sagen, Norbert Geist muss auch gehen?

    Geißler: Das würde ich nicht sagen, weil er es nicht wiederholt.

    Meurer: Sie sagen, es gebe inhaltliche Übereinstimmungen mit Hohmann.

    Geißler: Ich weiß es nicht. Das ist eine reine Vermutung von mir, die allerdings auch begründet ist. Norbert Geist wird es aber nicht so wiederholen. Er steht ihm eben vielleicht auch freundschaftlich nahe. Lassen Sie uns jetzt nicht den Norbert Geist da in die ganze Geschichte hineinbringen.

    Meurer: Nach Ihren Erfahrungen, Herr Geißler: Wie viele sympathisieren mit Martin Hohmann?

    Geißler: Ich glaube nicht, dass es so ist, wie es gerade im Bericht hieß, dass es "an der Basis brodelt". Es gibt immer einen Bodensatz von Leuten auch in der Union, die man vielleicht eher als rechtsradikal in der einen oder anderen Form benennen könnte. Das sind nicht sehr viele, es sind allerdings sehr aktive Leute. Ich habe sie auch schon erfahren. Sie schreiben mir auch, wenn ich dafür eintrete, dass man eine etwas menschenfreundlichere Ausländerpolitik betreibt. Die Emails kommen dann immer von denselben Leuten. Das können Sie gar nicht verhindern, dass auch solches Gedankengut bei einer Reihe von CDU-Leuten vorhanden ist. Das ist aber kein "Brodeln", wie immer vermutet wird. Allerdings ist richtig, dass der Rechtsradikalismus insgesamt, die rechtsradikale Gesinnung natürlich viele Seiten hat. Es ist nicht nur Antisemitismus. Diese Leute wollen auch die Frauen in die alte Rolle zurückbringen. Sie sind gegen Europa. Das sind Nationalisten, sie sind für die Prügelstrafe, gegen antiautoritäre Erziehung, und es sind auch religiöse Fundamentalisten. Sie sind nicht alles auf einmal. Nicht jeder Antisemit ist gleichzeitig auch ein Macho gegen Frauen. Nicht jeder, der gegen Europa ist, ist gleichzeitig ein Antisemit. Das Konglomerat dieser Gedankengänge ist immer sehr nahe beieinander. Ich habe oft in der politischen Diskussion festgestellt, dass zum Beispiel diejenigen, die am schärfsten gegen Asylbewerber argumentiert haben, auch am schärfsten gegen Frauen geredet haben und die radikalsten Vorschläge gemacht haben, zum Beispiel, was die Schwangerschaftsunterbrechung anbelangt.

    Meurer: Es hat ja zu Alfred Dreggers Zeiten die sogenannte "Stahlhelm-Fraktion" gegeben. Ist die völlig verschwunden? Doch nicht.

    Geißler: Das war aber keine antisemitische Gruppe bei uns in der Fraktion. Sie waren eher national, deutsch-national, aber natürlich nicht antisemitisch. Manches bricht da eben hervor, was mit unserer 2000-jährigen Geschichte zu tun hat. Man darf ja nicht vergessen, dass oft auch sehr fundamentalistisch religiöse Leute so denken. Das hängt eben damit zusammen, dass man 2.000 Jahre hindurch den Juden insgesamt die Schuld am Tod von Jesus in die Schuhe geschoben hat, was ja geschichtlich absolut falsch ist. Diese Kampagne war es, die vor 2.000 Jahren begangen worden ist, wegen des angeblichen Gottesmordes. Sie hat zur Drangsalierung und Kriminalisierung, zu dieser Hetzjagd geführt.

    Meurer: In puncto christlicher Fundamentalismus: Drohen uns da Verhältnisse wie in den USA?

    Geißler: Wir haben auch einen christlichen Fundamentalismus, das ist gar keine Frage, wie er in den Vereinigten Staaten sogar noch stärker hervortritt, ein sehr unbarmherziger Fundamentalismus gegen alle, die anders denken. Das ist ganz sicher auch der Hintergrund dessen, was wir in diesem Bereich an Antisemitismus erfahren.

    Meurer: Stehen die christlichen Fundamentalisten, zu denen ja auch Martin Hohmann gerechnet werden muss, voll und ganz auf dem Boden der geistigen Grundlagen der CDU?

    Geißler: Nein, das ist eben der Punkt. Das christliche Menschenbild ist die Grundlage unserer Politik. Das christliche Menschenbild kennt keine Ausgrenzungen und hat vor allem zum Inhalt, dass wir die Menschenwürde eines jeden Menschen achten müssen, unabhängig davon, ob er nun Deutscher oder Ausländer, ob er alt oder jung, ob er Schwarzer oder Weißer ist. Diese Leute, die Nationalismus und einen gewissen Fundamentalismus miteinander verbinden, lehnen im Grunde genommen dieses Menschenbild ab.

    Meurer: Was raten Sie Angela Merkel, wie sie sich diesem Flügel gegenüber verhalten soll? Integrieren oder ausgrenzen?

    Geißler: Nein, Leute, die so denken, kann man nicht integrieren. Wir sind ein freies Land, und jeder kann denken, was er mag, aber nicht jeder hat Platz in der CDU.

    Meurer: Wird Martin Hohmann also kein Einzelfall bleiben? Im Prinzip ist er es ja schon nicht. Es gibt ja noch den ein oder anderen Fall.

    Geißler: Ich glaube nicht, dass sich das noch einmal wiederholt, weil die CDU-Führung – glücklicherweise muss man sagen – sehr klar und eindeutig reagiert hat. Es wäre ein großer Fehler, wenn durch diese Bemühungen von Hohmann, jetzt im Nachhinein sich noch einmal zu entschuldigen, aber in der Sache nicht abzurücken, wenn die Geschichte noch einmal neu aufgerollt werden würde. Das wäre ein Fehler.

    Meurer: Der Fall Martin Hohmann und die Union. Das war der CDU-Politiker Heiner Geißler, vielen Dank für das Gespräch.