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"Geist und Glaube"

Andrew Newberg ist ein Neuroradiologe, der Gott im Gehirn gemessen haben will. Bei meditierenden Franziskanerinnen und Zen-Mönchen habe er ein Zentrum für Meditation ausgemacht, schreibt Newberg in seinem Buch "Why God won't go away". Der Neurophysiologie Detlef Linke von der Uni Bonn, Autor vieler Bücher über Hinforschung, Kunst und Philosophie, bezeichnet den Versuch, Gott im Gehirn zu lokalisieren, hingegen als "hanebüchen", schon weil es dem klassischen Gottesbegriff völlig widerspreche, dass er von einem Gehirn abhängig sei.

Ein Interview mit dem Neurophysiologen Detlef Linke |
    Michael Köhler: Erst da machte uns die Religionskritik im 19. Jahrhundert glauben, Gott, das sei doch nur eine Illusion, eine menschliche Projektion von der Erde in den Himmel. Im 21. Jahrhundert gibt es amerikanische Nervenärzte, die sagen, man muss sich gar nicht so anstrengen, wir haben ja Gott sowieso immer dabei, er wohnt nämlich im Gehirn, und da kriegen wir ihn gar nicht raus. Andrew Newberg, das ist so ein Neuroradiologe, der Gott gemessen hat. Bei meditierenden Franziskanerinnen und Zen-Mönchen will er ein Zentrum für Meditation ausgemacht haben. Wenn wir also ein Zentrum für Gottes Erfahrung im Gehirn haben, dann kann er uns gar nicht verlassen, so seine These. Das Buch dazu heißt "Why God won't go away". Es ist in den Vereinigten Staaten natürlich erfolgreich. Warum wir Gott vielleicht nicht abschaffen können, gar nicht aus dem Kopf rauskriegen, darüber habe ich mit Detlef Linke gesprochen. Er ist Professor für Neurophysiologie und neurochirurgische Rehabilitation an der Universität Bonn, Autor vieler Bücher über Hinforschung, Kunst und Philosophie, und in seiner Branche geradezu ein Paradiesvogel. Was meint er dazu?

    Detlef Linke: Ich halte auch diesen Untertitel "Wir können Gott nicht abschaffen" schon für problematisch. Natürlich können wir ihn nicht abschaffen, aber die Begründung dafür, dass es dafür Hirnzentren gäbe, ist natürlich hanebüchen, einerseits weil es dem klassischen Gottesbegriff völlig widerspricht, dass er von einem Gehirn abhängig ist, zweitens weil wir wissen, dass jemand eine schwere Hirnschädigung haben kann, weil er alle Zukunftsorientierung und auch allen Glauben leider verlieren kann. Das heißt nicht, dass er dann unfähig wäre, noch eine Glaubensdimension zu entwickeln, aber es gibt doch solche, die nach einer Frontalhirnschädigung, einer Schädigung im Stirnlappen, in tiefste Depressionen verfallen, sodass man nicht einfach sagen kann, wir haben das im sicheren Gepäck, dass wir hier gläubig sind.

    Köhler: Das war der Versuch, das Grenzenlose zu umgrenzen und, wie Sie gerade sagten, im Stirnlappen zu verorten. Das war die These von Andrew Newberg.

    Linke: Wenn wir Religion in Beziehung zum Gehirn bringen wollen und nicht einen Götzendienst da lokalisieren wollen - das ist ja auch sozusagen ein neuer Götzendienst zu sagen, dort ist das Zentrum für dies und das -, dann haben wir auch immer nur Götzen in den Blick bekommen. Die Unendlichkeit, die Allmacht und die Kraft des Herren, das sind ja ganz andere Dimensionen, die kann man nicht mit einem bestimmten Hirnzentrum in Beziehung setzen. Das sind Dinge, die wir vom Gehirn her vielleicht in einer Art von Intuition erahnen können. Wenn wir sehen, mit wie vielen Zellen und deren Verbindungen es wir zu tun haben, dann kann man das nicht sagen, das ist ja geradezu eine Aufforderung zu einer Endlichkeit. Insofern ist das vielleicht ein Sinnbild, was uns dann doch in eine Beziehung bringt, wo dann jede Sichtbarkeit aufhört. Das heißt, das wäre ein absolut neuer Götzendienst, wenn wir jetzt das Gehirn, auch wie ein Autor das macht, zu Gott selber erklären.

    Köhler: Zumal ja auch recht fraglich ist, was man unter Religion versteht. Es kann, wenn wir von westlichen Begriffen von Religiosität ausgehen, mystische Erweckungserlebnisse sein. Es können individualisierte Gnadengefühle sein. Es kann das sein, was Sigmund Freud mal das berühmte ozeanische Gefühl genannt hat. Man kann es, salopp gesagt, ja nicht über einen Kamm scheren.

    Linke: Nein. Ich meine, das haben auch die modernen Logiker herausgearbeitet, dass eine bestimmte Wahrheit mit ganz unterschiedlichen psychischen Zuständen in Verbindung stehen kann. Das wäre ein absoluter Rückfall hinter solche Ansichten, wenn man jetzt sagen würde, nur ein ganz bestimmter psychologischer Zustand ist die religiöse Wahrheit.

    Köhler: Also man kann nicht sagen, das Erregungspotential A plus B ergibt gleich die Verortung von Religion im Gehirn?

    Linke: Auf keinen Fall. Bei Newberg findet sich ja eine ganz schreckliche Passage, wo er dann noch eine evolutionäre Pointe hinzunimmt und sagt, das kommt vom Beutefangen. Wenn also früher die Jäger da sieben Tage hintereinander hinter einem Renntier oder was auch immer hinterher jagten und dann die Beute erlegt hatten, dann gab es ein großartiges Gefühl, und darauf baut dann die Religion auf. Ich meine, ist das Beuteerlegen eine Beziehung zum Herrn zu haben? Das ist schon sehr fragwürdig.

    Köhler: Zumal Sie auch noch scherzhaft einwenden, wenn man so anfängt, dann müsste es ja auch eine Neuroschamanologie geben oder eine Neurorabinologie usw. Das heißt, Sie mahnen eigentlich die Ausdifferenzierung an, denn unser Gehirn ist ja in der verrückten Lage, sich sozusagen auch selber manchmal ersetzen zu können. Also Felder oder Funktionen, die ein bestimmter Hirnbereich ausübt, können verloren gehen - Sie nannten das Beispiel der Depressionen, der Epilepsie oder andere Krankheiten -, und andere können es teilweise übernehmen.

    Linke: Ja, das Entscheidende ist auch, dass wir uns immer in ein Selbstverhältnis setzen können. Da haben manche dann gemeint, na ja, das ist ein Prozess außerhalb des Gehirns, wenn ich über das Gehirn nachdenke, das wäre so eine Art Seelenbeweis oder so was. Der Hirnforscher sagt natürlich auch, wenn ich mich in ein Selbstverhältnis setze, dann ist dieser Prozess ein Prozess, der mit dem Gehirn zusammenhängt. Ohne das Gehirn könnte ich dieses Selbstverhältnis nicht aufbauen. Aber dieses Selbstverhältnis entwickeln zu können, ist natürlich eine entscheidende Dimension, ohne die also auch eine freiheitliche Hingabe an Religion, an den Herrn und ähnliches gar nicht denkbar wäre. Das heißt, das ist ein extrem komplexer Prozess, den die Hirnforschung noch nicht verstanden hat, wie wir ein Selbstverhältnis aufbauen. Die macht es sich etwas leichter und sagt, ja, da gibt es so ein Ich, und das Gehirn ist eigentlich schon so eine Art Ich, und da gibt es viele Ichs, also ein großes Selbst, und da sind die vielen Ichs drin. Es ist ja schön, wenn wir noch viele haben. Das ist so ein Polytheismus des Ichs. Das ist aber noch keine Erklärung, wie wirklich das Selbstverhältnis abläuft. Deswegen, glaube ich, ist es sehr wichtig, dass wir diese Dimension der Freiheit, des sich zu sich selber Verhaltens besser verstehen. Die sind dadurch nicht gemindert, wenn wir nachweisen können, dass das auch mit dem Gehirn zu tun hat, denn das Gehirn ist ein so komplettes System, dass es gar nichts ausmacht, wenn wir darin etwas finden. Das heißt ja nicht automatisch Materie, das Gehirn ist Form.

    Köhler: Es gibt einen Autor, Biologen und Evolutionstheoretiker, der hat etwas ganz Schönes gesagt. Ich bringe es in ganz einfachen Worten, der hat gesagt: Wir in der Spätmoderne leben in der so genannten Informationsgesellschaft, und das, was uns ausmacht, ist eigentlich Erreichbarkeit und Kommunikation. Kommunikation ist aber nichts anderes als der Ersatz für eine sehr frühe Form von sozialer Fellpflege, von "grooming", und das finde ich eigentlich einen ganz schönen Gedanken zu sagen, Kommunikation ist nichts anderes als ein Ersatz für Fellpflege. Statt zu lausen, sprechen wir miteinander. Und Religionen sind über weite Strecken offenbarte, also Wortreligionen.

    Linke: Ja. Also wenn man diese evolutionäre Kette nehmen will, dann kann man sagen, bis 50 Mitgliedern einer Primatengesellschaft klappt es mit dem Kraulen, bis 250 mit der Sprache, danach braucht man einen Schriftverkehr. Wenn es dann eine größere Gemeinschaft wird, wird es besser, wenn man dann noch eine gemeinsame Orientierung hat. Wenn es eine ganz große, globale Gemeinschaft ist, halte ich eben die Menschenrechte für das optimale Orientierungsfeld. Es gibt aber noch interessante neue Dimensionen. Ich möchte das Stichwort Neuroökonomie da mal kurz erwähnen, wo noch eine andere Art von Sprache herausgearbeitet wird, nämlich die Fähigkeit, im Nervensystem jedenfalls mit den Informationen so umzugehen, als ob es ein Wirtschaftssystem wäre, mit Angebot und Nachfrage usw. Das wird immer mehr herausgearbeitet, dass wir so operieren. Dann zeigt sich, dass wir in mancher Hinsicht ja mit der Sprache hinter den Realanalysen, also Wirtschaftsmathematik oder so was, hinterher hinken. Also auf den Punkt gebracht: Wir können einen Wetterbericht genauer vorhersagen als das Wetter, weil der Wetterbericht versprachlicht und vereinfacht ist. Aber wenn wir solche Dinge genauer herausbekommen wollen, dann sollte man Wettbörsen einrichten derart, dass man sagt, die Firmenmitarbeiter erwerben ein paar Papiere für ein paar Mark und wetten darüber, wie die Firmen-, Sparten- oder Wirtschaftsentwicklung sein wird. Da kommt mehr Wissen heraus, als wenn man das verbal in Gremien nur debattiert. Das heißt, das nicht sprachliche, in diesem Fall sogar sehr expertenorientierte Wissen der einzelnen Firmenmitglieder, kann an dieser Wettbörse, bei der es auch eine Gewinnausschüttung geben sollte, eingesetzt werden. Das hat man schon bei Wahlprognosen versucht, das heißt, Wettbörsen über Wahlergebnisse sind oft genauer als Meinungsumfragen. Das ist das Ergebnis auch der Hirnforschung, in uns mehr implizites Wissen haben als explizit herauskommt. Das ist eine ganz grundlegende Kategorie, die auch bei der ganzen Kommunikation der Menschen eine Riesenrolle spielt, weil jede Kultur etwas anderes expliziert und impliziert noch andere Sachen vorhanden sind.

    Köhler: Ich würde zum Abschluss gerne noch mal zu unserem Anfang kommen. Wir haben über die Neurotheologie gesprochen. In so einem ganz alltagssprachlichen Straßengespräch spricht man ja gelegentlich auch schon mal von religiöser Erfahrung, ohne sich dabei jetzt blamieren oder outen zu wollen, und stellt in Rechnung, dass es eine Erfahrung ist, die sich zwar nicht weiter benennen lässt, geschweige denn lokalisieren, naturwissenschaftlich begründen oder sonst wie, aber es ist eine Erfahrung und als solche doch durch ihre Existenz ernst zu nehmen. Also ich bin versucht zu sagen, so eine Art alltagsweltlicher augustinischer Gottesbeweis.

    Linke: So weit würde ich nicht gehen, aber man könnte ja nach der ethischen Dimension fragen, sonst hat man vielleicht einen Dämon bewiesen. Das ist eben das Kriterium. Auch bei Descartes ist es vergessen worden, dass es nicht darum geht, etwas kohärent zu machen, sondern dass es darum geht, sich auch ethisch zu verhalten. Nur so kann man den bösen Dämon irgendwie beeindrucken. Das ist das Entscheidende. Wir versuchen heute mit Gewalt kohärent zu sein und meinen damit, die bösen Dämonen bezwungen zu haben. Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, ethisch zu sein. Bei solchen Erfahrungen muss man natürlich sagen, wir werden sicherlich zu einem anderen Realitätsbild und erkenntnistheoretischen Konzept kommen im weiteren Verlauf der Hirnforschung in dem Sinne, dass Illusion nicht etwas Beliebiges ist, denn wenn auf dieser Welt sechs Milliarden Gehirne sind, dann ist das ein großer Teil der Welt, also auch der äußeren Wirklichkeit, und wenn in sechs Milliarden Gehirnen diese oder jene Illusion vorhanden ist, dann ist das einfach so, dass diese Illusionen ein Teil der Wirklichkeit sind, mit der wir umgehen müssen. Wir können einen Kandinsky nicht dazu zwingen, jetzt eine Blumenvase exakt abzumalen, nur weil wir meinen, da würden illusionäre Prozesse in seinem Geist stattfinden. Die großen Chancen eines Gehirns liegen eben darin, dass es multiple, vielfache Abbildungsprozesse seiner eigenen Tätigkeit machen kann, und die Nachricht, das ist eine Illusion, ist für unsere Haushaltsnotwendigkeiten ja ganz gut, damit wir uns nicht in beliebige Bilder verlieren, um unseren Alltag zu bewältigen, aber für die Komplexität einer innovativen technologischen Gesellschaft sollte man mit Illusion anders umgehen, nämlich als etwas, was ein kreatives Potential ist und vielleicht aber auch ethische Ressourcen liefern kann.

    Köhler: Es gab intensive Bemühungen im 19. Jahrhundert, die Kraft und Existenz der Religion als ein Produkt der Phantasie, der Projektion hinzustellen. Da sind die Religionskritiker Feuerbach oder auch Materialisten wie Marx zu nennen. Wir erleben im Moment eigentlich das Gegenteil, dass man die Kraft ihrer Existenz gar nicht begründen muss. Sie ist einfach da, es ist ablesbar. Ist es ein umgekehrter Prozess?

    Linke: Ja, in den kommunistischen Ländern gab es einen Versuch, ein historisches Museum der Religionen einzurichten, das rückblickend zeigen sollte, was früher für dumme Sachen gemacht wurden. Mit dem Spruch "Religion ist Opium für das Volk" hat sich ja dann ergeben, dass mehr Opium dann verbraucht wurde, was vielleicht doch noch ein bisschen problematischer ist. Ich denke, dass gerade die Überlegungen von Feuerbach, dass der Mensch seine Seele an den Himmel geworfen hat und deswegen wieder zu sich selber zurückkehren sollte aus der Sicht der Hirnforschung nicht ganz korrekt ist, denn dieser ganze Projektionsprozess, dieser Fixsternhimmel, der als Projektionsfläche vorhanden ist, ist ja natürlich vom Gehirn getragen in irgendeiner zu bestimmenden Form, und dann ist die Frage, ist das nicht unser Selbst, wie wir es am besten haben, wenn wir es projizieren. Das heißt, die große Frage ist, bin ich bei mir selber nicht am meisten zu Hause, wenn ich woanders bin.

    Köhler: Vielen Dank für das Gespräch.