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Geisteswissenschaften in Stanford
Im Schatten der Ingenieure

Die Universität Stanford gilt als amerikanische Kaderschmiede für Ingenieure und Informatiker. In den Geisteswissenschaften sieht es dagegen mau aus. Nur wenige Studienanfänger entscheiden sich für Fächer wie Philologie oder Philosophie. Mit einer neuen geisteswissenschaftlichen Grundausbildung will die Uni jetzt auch Ingenieursstudenten für geisteswissenschaftliche Themen begeistern.

Von Wolfgang Stuflesser | 14.10.2016
    Die Stanford Universität in Kalifornien.
    Die Stanford Universität in Kalifornien. (picture alliance / dpa / Udo Bernhart)
    Sie seien in einer privilegierten Lage, sagt Debrah Satz, Philosophie-Professorin an der Uni Stanford, über sich und ihre geisteswissenschaftlichen Kollegen: In der Tat - mit überschaubaren 16.000 Studierenden, davon etwa die Hälfte Doktoranden, und einem Eigenkapital von 22 Milliarden Dollar geht es der Elite-Universität nicht schlecht. Die Hochschule ist auch so etwas wie die geistige Mutter des Silicon Valley, in dem sie liegt: Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte der Stanford-Professor Frederick Terman die Idee, seine Kollegen zum Gründen von Technik-Firmen zu ermutigen, die sich dann um die Uni herum ansiedelten - so entstand zum Beispiel Hewlett Packard - und später werkelten in Stanford die ersten Google-Server - die Suchmaschine entstand hier als Forschungsprojekt, und noch heute profitiert die Uni von den Google-Patenten. Doch wie sieht es mit den Geisteswissenschaften hier aus? Nur 13 bis 16 Prozent der Studierenden sind dafür eingeschrieben.
    "Wie wichtig die Geisteswissenschaften für Stanford sind und wie viele Studierende wir haben, das sind zwei verschiedene Fragen: Wir sind eine Hochschule der Freien Künste, und diese Idee halten wir hoch. Sie lernen hier in erster Linie nicht einen bestimmten Beruf, sondern Sie lernen fürs Leben. Aber gerade wegen unserer Lage im Silicon Valley denken wir viel natürlich darüber nach, wie wir mehr Studierende für die Geisteswissenschaften anziehen und so am Image der Uni arbeiten können.”
    Denn natürlich sind die Personalressourcen auch in Stanford endlich.
    "Wenn sich 60 Prozent der Studienanfänger für Informatik einschreiben, dann ist es schwer, für einen neue Professur in klassischer Philologie zu argumentieren, während die Informatik-Kollegen gleichzeitig von Erstsemestern überrannt werden.”#
    Hoher Druck für Studierende
    Für die Studierenden ist Stanford als private Universität nicht billig - fast 45.000 Dollar im Jahr. Mit Unterkunft und Lernmitteln kommen sogar mehr als 60.000 Dollar zusammen. Wobei die Uni sich zu Gute hält, dass niemand abgewiesen wird, nur weil die Eltern es sich nicht leisten können. Trotzdem, sagt Debra Satz, sei es nicht einfach für die Studierenden, ihren Eltern zu erklären, so viel Geld für ein geisteswissenschaftliches Studium auszugeben, während der Informatik-Kommilitone nebenan sich schon auf den hervorragend bezahlten Job bei Google freut.
    "Wir haben so viele Studierende wie nie zuvor in der ersten Generation - das also junge Leute, die die ersten in ihrer Familie sind, die an eine Uni gehen. Sie stehen unter einem extrem Druck ihrer Familien, nach dem Studium hier schnell ein gutes und sicheres Gehalt zu verdienen.”
    Doch wer sich wirklich für Facebook, Google und Co. als künftigen Arbeitgeber interessiert, der sollte vielleicht gerade die Geisteswissenschaften ins Auge fassen. Christopher Kark wurde in Stanford promoviert - in spanischer und portugiesischer Literaturwissenschaft. Danach fand er recht schnell einen Job.
    "Ich habe eine Weile bei Twitter gearbeitet - sie haben mich als Texter eingestellt, weil ich gut formulieren konnte. Ich war aber natürlich auch an Diskussion über Themen wie Datenschutz beteiligt - und da habe ich zum Beispiel gefragt: Was sagt diese oder jene Einstellung über unsere Firmenkultur aus? Die Kollegen betrachten die Dinge im neuen Licht, wenn Du Ihnen solche Fragen mit einem geisteswissenschaftlichen Hintergrund stellst.”
    Mehr Geisteswissenschaften für Ingenieure
    Inzwischen arbeitet Kark wieder an der Uni. Die Geisteswissenschaften in Stanford haben einige Silicon-Valley-Größen hervorgebracht - so hat Yahoo-Chefin Marissa Mayer Symbolsysteme studiert, und Paypal-Gründer Peter Thiel hat einen B.A. in Philosophie. Außerdem wird den Ingenieursstudenten sehr ans Herz gelegt, auch über den Tellerrand zu schauen. Es sei sehr selten, dass ein Ingenieur seinen Abschluss macht, ohne jemals ein geisteswissenschaftliches Seminar besucht zu haben, sagt Dan Edelstein, Professor für französische Literatur.
    Mayer trägt eine weiß-blau-karierte Jacke. Sie setzt sich gerade Kopfhörer auf. 
    Die Chefin des US-Internetkonzerns Yahoo, Marissa Mayer, hat in Stanford unter anderem Symbolsysteme studiert. (ERIC PIERMONT / AFP)
    In diesem Jahr startet die Uni Stanford etwas, das es hier jahrzehntelang nicht gab: den sogenannten "Humanities Core”, eine Art geisteswissenschaftliche Grundausbildung, in Ansätzen vielleicht vergleichbar mit dem Studium generale früher in Deutschland. Das Programm startet in diesem Herbst, ist freiwillig und soll auch Ingenieursstudenten mit geisteswissenschaftlichen Themen in Berührung bringen.
    "Die Idee dahinter ist, dass wir den Studierenden aus dem Ingenieursbereich einen Weg in die Geisteswissenschaften öffnen. Viele von ihnen fühlen sich in der Fülle der geisteswissenschaftlichen Disziplinen sonst schnell verloren. Wir bieten einen großen Eingang mit blinkenden Neonlichtern, über dem nicht steht: 'Lasst alle Hoffnung fahren.' - Sondern 'Erkennt den Sinn und Zweck der Geisteswissenschaften.'”
    Doch natürlich wollen die Geisteswissenschaften auch in Stanford nicht nur Appetithäppchen für die Googler von Morgen sein - dafür ist ihre Tradition und ihr Ansehen zu groß - die Altphilologie hier ist zum Beispiel eine der größten und besten der USA, wenn nicht weltweit. Trotzdem bleibt Philosophie-Professorin Debra Satz bei ihren Zielen realistisch: Es gehe nicht so sehr darum, wie viele Studierende eine Geisteswissenschaft als Hauptfach wählen, sagt sie. Sondern eher, wie viele sich tief gehend mit geisteswissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen.