Donnerstag, 25. April 2024

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Geistliche aus anderen Ländern
"Auch ausländische Priester müssen verstehen, wie die deutsche Seele tickt"

Der Missionswissenschaftler Klaus Vellguth bezweifelt, dass es sinnvoll ist, von Priestern schon vor der Einreise Deutschkenntnisse zu verlangen. Mehr Probleme als die Sprache bereiteten im Alltag kulturelle Unterschiede zum Heimatland, etwa im gesellschaftlichen Ansehen von Klerikern.

Christiane Florin im Gespräch mit Klaus Vellguth | 12.03.2019
Professor Dr. mult. Klaus Vellguth ist katholischer Theologe und Religionspädagoge
Klaus Vellguth ist katholischer Theologe und Missionsexperte (Privat)
Christiane Florin: Laut Angaben der Deutschen Bischofskonferenz arbeiten rund 2400 katholische Priester aus dem Ausland in Deutschland, die größte Gruppe sind indische und polnische Geistliche. Bisher wird ihre Einreise geregelt durch Paragraf 18 Aufenthaltsgesetz in Verbindung mit Paragraf 14 Absatz 1 Nr. 1 Beschäftigungsverordnung. Schon das auszusprechen erfordert eine gewisse Beherrschung der deutschen Sprache. Ich habe vor der Sendung mit Klaus Vellguth gesprochen, er ist Professor für Missionswissenschaft an der Philosoph-theologischen Hochschule Vallendar und Abteilungsleiter beim Hilfswerk Missio. Herr Vellguth, die Bundesregierung plant einen Sprachnachweis vor der Einreise. Halten Sie das für sinnvoll?
Klaus Vellguth: Ob ein Nachweis solcher Kenntnisse wirklich sinnvoll ist, da bin ich mir nicht sicher. Was ausländische Geistliche auf jeden Fall können müssen, ist Deutsch, wenn sie in der Seelsorge tätig sein wollen. Aber häufig lernen sie diese Deutschkenntnisse erst, wenn sie bei uns in Deutschland sind. Wie Studien in der Vergangenheit gezeigt haben, lernen sie das auch sehr gut.
"Priester aus dem Ausland können eine Bereicherung sein"
Christiane Florin: Wie werden bisher ausländische Geistliche rekrutiert? Nach welchen Kriterien wird in der katholischen Kirche ausgesucht?
Vellguth: Es gibt normalerweise drei Wege, wie ausländische Geistliche zu uns nach Deutschland kommen: Das eine ist, dass sie sich auf Stellenangebote der Bistümer bewerben. Eine zweite Möglichkeit ist, dass sie persönliche Kontakte zu irgendjemandem in Deutschland haben und dadurch auf ganz individuellen Wegen zu uns nach Deutschland kommen. Und der dritte Weg – und das ist ein Weg, der immer mehr an Bedeutung gewonnen hat in der Vergangenheit – ist, dass bestimmte Bistümer strategisch mit Diözesen in Indien, in anderen Ländern des Südens, Allianzen eingegangen sind und versuchen, Priester von dort für eine Zeit zu uns nach Deutschland zu holen.
Florin: Die meisten Priester lernen die deutsche Sprache schnell, das steht auch in einer Studie, die vor einigen Jahren zu dem Thema erschienen ist. Dafür wurden die Priester selber befragt, und sie sagen dann: "Als ich hierhin kam, da konnte ich so gut wie kein Wort Deutsch, und dann hab ich das aber schnell gelernt." Trotzdem hört man ja aus Gemeinden – ich will nicht sagen immer häufiger, aber man hört aus Gemeinden – Beschwerden, der Priester sei nicht zu verstehen oder könne sich nicht verständlich machen. Sind das Einzelfälle Ihrer Ansicht nach?
Vellguth: Es ist sicherlich so, dass Priester, die zu uns nach Deutschland kommen, nicht von Anfang an Deutsch perfekt beherrschen. Und auch, wenn sie eine Zeitlang in Deutschland sind, werden sie natürlich Deutsch nicht so sprechen können wie jemand, der das mit der Muttermilch eingesogen hat. Aber ich glaube, zum einen können trotzdem Priester aus dem Ausland für die Kirche in Deutschland eine Bereicherung sein, und zum anderen ist es aber auch eine Tatsache, dass man mit ausländischen Priestern nicht das Problem des fehlenden Priesternachwuchses in Deutschland beheben kann.
Wir können nicht in unseren Diözesen für zu 30, 40, 50 Prozent ausländische Priester einsetzen, weil dadurch die Seelsorge sich immer mehr von den Menschen und ihrer Beheimatung in Deutschland entfernen wird.
"Der Umgang mit Kritik wird anders erlebt"
Florin: Inwieweit entfernt sich die Seelsorge von der Beheimatung, wenn der Priester aus Indien kommt?
Vellguth: Priester, die aus anderen Ländern, vor allem aus anderen Kulturkreisen wie dem indischen Kulturkreis, dem nigerianischen, afrikanischen Kulturkreis kommen, die bringen natürlich eine eigene Geschichte mit, die bringen ihre eigene Kultur mit. Und diese Kultur ist uns manchmal fremd.
Florin: Was heißt das konkret? Ist das Priesterbild ein anderes? Ist der Priester anderswo noch erhabener als hier? Darf man ihn in Indien zum Beispiel weniger kritisieren als hier?
Vellguth: Priester, die aus anderen Kulturkreisen wie zum Beispiel aus Indien kommen, die haben häufig noch ein ganz anderes Priesterbild. Häufig sind diese Priesterbilder deutlich klerikaler strukturiert, und ein Priester, der aus einem solchen Kulturkreis kommt, für den ist es natürlich schwierig, hier in Deutschland zu erfahren, dass hier andere Priesterbilder sind und dass er vielleicht auch als Priester nicht die Achtung erfährt, die er aus seiner Heimat gewohnt ist.
"Kultur ist wie eine zweite Haut des Menschen"
Florin: Also Kritik wird als mangelnder Respekt ausgelegt?
Vellguth: Zum einen wird der Umgang mit Kritik ganz anders erlebt von ausländischen Priestern, zum anderen ist es aber auch so, dass er einen anderen kulturellen Hintergrund hat und dass er, wenn er mit Menschen in Deutschland spricht, erstmal sich darauf einlassen muss, was unsere Vorstellungen von Kirche sind, was unsere Vorstellungen von Theologie sind, was unsere Vorstellungen auch von Dialog, von Dialog auf Augenhöhe sind. Das sind schwierige Lernprozesse, da darf man die Priester auch nicht alleine lassen.
Florin: Wenn sich Sie richtig verstanden habe, dann ist die Sprache nicht das größte Problem. Wenn es Probleme gibt, dann haben sie diesen kulturellen Hintergrund. Welchen Sinn hat dann diese staatliche Initiative zu sagen, "die sollen mal besser Deutsch können"? Richtet sich das vielleicht gar nicht an katholische Priester?
Vellguth: Ich glaube, dass Sprache gerade in der Seelsorge eine Kernkompetenz ist. Die Frage ist ja nicht, ob sie es lernen sollen oder nicht, sondern wann sie es lernen sollen. Und hier zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, dass es oftmals sinnvoll ist, dass die Priester, wenn sie nach Deutschland kommen, in ganz strukturierten Prozessen an die deutsche Sprache herangeführt werden, die deutsche Sprache erlernen.
Darüber hinaus ist es aber auch wichtig, dass die Priester die Kultur kennenlernen, denn die Kultur ist ja wie eine zweite Haut des Menschen, und wenn sie diese zweite Haut des Menschen nicht verstehen, werden sie den Menschen darunter nicht verstehen.
"Priester sollen auf jeden Fall Vorbilder sein"
Florin: Wenn sich nun der Staat, die Bundesregierung, damit befasst, heißt das, dass die katholische Kirche nicht genug getan hat?
Vellguth: Ich glaube, bei der Frage kann man nie genug tun. Tatsächlich hat die katholische Kirche in der Vergangenheit immer darauf geachtet, dass Priester die deutsche Sprache erlernen, aber ich glaube schon, dass der Hinweis der Bundesregierung hilfreich ist und dass die katholische Kirche ein wichtiger Gesprächspartner für die Regierung ist, damit nochmal überlegt wird, wie diese Ausbildungsprogramme noch strukturierter, noch zielorientierter sein können.
Florin: Die Priester – oder die Geistlichen, so heißt es in der Erklärung eines Sprechers des Innenministeriums –, seien Vorbilder, sie hätten "Vorbild- und Beraterfunktion". Ist das so?
Vellguth: Ja, ich glaube schon, dass Priester auf jeden Fall Vorbilder sein sollen und dass die sich dieser Verantwortung, die mit dieser Vorbildfunktion verbunden ist, auch bewusst sein müssen. Damit Priester tatsächlich Vorbilder sein können, müssen sie natürlich zum einen in ihrer Lebensführung vorbildlich sein, zum anderen müssen sie aber auch die Sprache der Menschen beherrschen, damit sie mit den Menschen überhaupt kommunizieren können.
"Geistliche haben eine wesentliche Brückenfunktion"
Florin: Auch auf die Gefahr hin, dass wir jetzt das ganze Interview relativieren: Auf wen ist diese Ankündigung des Bundesinnenministeriums gemünzt? Eher auf die Imame, die zum Beispiel von der Türkei entsandt werden, oder tatsächlich auf alle Geistlichen? Gibt es da Äquidistanz (zu den Religionen)?
Vellguth: Ich kann nicht sagen, auf wen die Erklärung des Bundesinnenministeriums jetzt gemünzt ist. Ich glaube aber, dass tatsächlich ausländische Geistliche auch eine wesentliche Brückenfunktion für die Integration von Ausländern in unserer Gesellschaft haben. Dabei ist es ganz egal, ob die Geistlichen nun katholischen, christlichen Glaubens oder muslimischen Glaubens sind. Und in jedem Fall – und da geben ich dem Innenministerium recht –, ist es sinnvoll, dass Geistliche dann auch die deutsche Sprache beherrschen, damit sie diese Brückenfunktion überhaupt ausüben können.
Deutschland als Missionsland
Florin: Aus der schon erwähnten Befragung der ausländischen Priester geht auch hervor, dass eine Mehrzahl Deutschland als säkulares Land sieht – also auch als Missionsland, als Land, in dem noch was zu tun ist. Sie arbeiten für Missio. Sehen Sie das auch so?
Vellguth: Ich kann gut verstehen, dass ausländische Priester Deutschland als ein Missionsland erleben. In ihrer Heimat, wo sie herkommen, ist die Kirche in der Regel am Sonntag gut gefüllt, der überwiegende Anteil der Christen geht noch in den Gottesdienst. Nun kommen diese Priester nach Deutschland und erleben, dass bei uns die Kirchen leer sind. Aus ihrer Sicht ist demnach Deutschland ein Missionsland, und ihr Ziel ist es deswegen, möglichst viele Menschen wieder zum Katholizismus zu bekehren.
Auch ich glaube, dass Deutschland ein Missionsland ist. Auch in Deutschland muss die Kirche wieder ihr missionarisches Profil gewinnen, aber es geht dabei nicht in erster Linie aus meiner Sicht darum, Menschen in die Kirche zu rekrutieren, sondern Menschen von einem befreienden Glauben zu erzählen.
Rezepte aus der Heimat?
Florin: Aber lässt man sich als Priester von jemandem Vorschriften machen, dessen Kirchen leer sind? Also erleben Sie nicht, dass Priester aus Ländern, in denen die Kirchen eher noch blühend dastehen und voll sind, dass die sagen: "Was wollt ihr uns eigentlich erzählen, was wollt ihr uns eigentlich vorschreiben, wie es gehen soll, wir wissen es doch viel besser?"
Vellguth: Ich kann gut verstehen, dass ein Priester, der aus einem völlig anderen Kulturkreis kommt, wo die Kirchen noch voll sind, dass er, wenn er nach Deutschland kommt, meint, dass er mit den Rezepten aus seiner Heimat in Deutschland in der Pastoral Früchte tragen kann. Das wäre aber zu kurz gesprungen. Ich glaube, um tatsächlich in Deutschland erfolgreich Seelsorge betreiben zu können, muss man sich auf die deutsche Kultur und ihre Eigenarten einlassen, auch auf unsere Geschichte und auf das Verhältnis der Menschen zu ihrer Religion und zur Freiheit. Auch ausländische Priester müssen, wenn sie bei uns in der Pastoral arbeiten, verstehen, wie die deutsche Seele tickt, damit sie dann nicht mit den Rezepten aus ihrer Heimat, sondern mit Rezepten, die für die Kirche in Deutschland angemessen sind, bei uns Seelsorge betreiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.