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"Geiziger und gieriger Kapitalismus darf nicht allein herrschen"

Die Kritik von SPD-Chef Müntefering an Fehlentwicklungen in der Wirtschaft hat nach Ansicht des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz, Edzard Reuter, keine negativen Auswirkungen auf den Standort Deutschland. Zur Tradition der SPD gehöre es, über das Wirtschaftssystem zu diskutieren. Er hoffe, dass die Partei weiterhin dafür Sorge trage, dass kein "geiziger und gieriger Kapitalismus" sondern ein "sozialgezähmter" das Feld beherrsche.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: In gut einem Monat wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Genau so viel Zeit bleibt der SPD, einen Vorsprung der politischen Gegner wettzumachen. Über die Bedeutung der Wahl muss nicht lange geredet werden. Eine Niederlage für die SPD in Nordrhein-Westfalen wäre der landespolitische Gau mit garantierter Nebenwirkung auf die Regierungskoalition in Berlin. SPD-Chef Franz Müntefering weiß das. Er kennt die Wähler dort gut und weiß, was diese hören wollen. Aber dass Müntefering jetzt Profitmaximierung als Gefährdung der Demokratie bezeichnet, Finanzinvestoren mit Heuschrecken vergleicht und ethische Defizite bei Deutsche-Bank-Chef Ackermann ausmacht, das sorgt bei Unternehmern für Protest. Ich habe Edzard Reuter, den ehemaligen Chef der Daimler-Benz AG gefragt, ob er Verständnis hat für die Empörung der Arbeitgeber.

    Edzard Reuter: Ich denke, das kann man gut verstehen, wenn man sich auf die Form bezieht, in der es Herr Müntefering offensichtlich geäußert hat, wobei der Hintergrund natürlich der ist, dass ein Wahlkampf stattfindet, und im Wahlkampf wird nun mal erfahrungsgemäß ein bisschen geholzt und mit grobem Keil gearbeitet. Aber auf der anderen Seite, fürchte ich, sollte man nicht so einfach diese Dinge vom Tisch wischen und ungefähr als Rückfall in den Marxismus oder gar in den Kommunismus bezeichnen, wie es manche aus dem Arbeitgeberlager getan haben, denn es ist natürlich irgendwo ein Kern in diesen Äußerungen drin, über den man ernsthaft reden muss.

    Remme: Ich will ja gar nicht auf diesem Wort herumreiten, aber die internationalen Investoren, die da deutsche Unternehmen gesichtslos abgrasen, was soll das sein? Geben Sie uns ein Beispiel.

    Reuter: Na gut, es gibt natürlich genügend Investoren, Fondsinvestoren, die viel Geld angesammelt haben, die ihr Geld in deutschen oder anderen internationalen Unternehmen anlegen, um nach kurzer Zeit diesen Anteil wieder zu verkaufen und damit eine Menge Geld zu verdienen, wobei man in der Zwischenzeit dazu beigetragen hat, dass das Unternehmen, an dem man sich beteiligt hat, in seine Teile zerlegt wird und in alle Herrgottsländer verkauft wird. Es ist ja allgemein bekannt, dass das so geschieht, das verheimlicht ja auch niemand. Das ist ja der Geschäftszweck der Investmentbanker und der Investoren, die das tun. Die wollen ja auf diese Weise Geld verdienen, und zwar möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen.

    Remme: Was kann getan werden gegen internationale Spekulanten?

    Reuter: Ich weiß gar nicht, ob das Spekulanten sind. Es sind Menschen, die mit dem Instrument der internationalen Finanzmärkte, die ja sehr schnell reagieren und Geld sammeln und auch Geld wieder abstoßen, dass sie davon Gebrauch machen. Das ist ein offiziell anerkannter Geschäftszweck und hat sozusagen mit Zinsen und Spekulieren nicht direkt vordergründig etwas zu tun. Was man dagegen tun kann, meine ich, da gibt es keine Patentrezepte, denn wir können uns ja nicht abkoppeln aus den internationalen Märkten. Globalisierung ist ein Vorgang, den man nicht einfach rückgängig machen kann.

    Remme: Wir Journalisten haben es ja immer gerne, wenn Ross und Reiter genannt wird. Ist der namentliche Angriff auf Ackermann in Ordnung?

    Reuter: Nein. Der Angriff auf Herrn Ackermann ist bestimmt in diesem Zusammenhang überhaupt nicht in Ordnung. Herr Ackermann, das ist ein ganz anderes Thema. Die Diskussion ist ja aufgekommen, weil in gleichem Atemzug am gleichen Tage durch eine durchaus publizitätsmäßige Ungeschicklichkeit bekannt geworden ist, wie die persönlichen Bezüge von Herrn Ackermann sich entwickelt haben, und auf der anderen Seite gleichzeitig bekannt gegeben worden ist, dass 6400 Menschen weltweit in der Deutschen Bank abgebaut werden sollen. Das ist aber nicht unbedingt ein Zusammenhang mit dem, was Sie vorher als Spekulation von Investmentfonds oder sonstigen Investoren angesprochen haben.

    Remme: Nein, es ist hier eine Gemengelage entstanden und Franz Müntefering hat sicherlich ein breites Spektrum erwähnt. Natürlich erzürnen ihn Dinge wie die Tatsache, dass die Deutsche Bank glänzende Gewinne macht und trotzdem Tausende von Menschen entlässt.

    Reuter: Natürlich, das ist auch klar, das ist auch richtig. Deswegen sage ich ja, man sollte vielleicht, wenn dieser Qualm des Wahlkampfes vorbei ist, doch versuchen, ein bisschen ernsthaft darüber zu reden, was hinter diesen Sorgen und Vorwürfen wirklich steckt.

    Remme: Aber was ist jetzt richtig, die Kritik an der Deutschen Bank oder die Tatsache, dass sie Leute entlässt und trotzdem Gewinne macht?

    Reuter: Sie beziehen sich jetzt konkret auf die Deutsche Bank, die nur ein Teilaspekt ist. Ich sage noch mal, daran kann man es nicht festmachen. Aber es gibt genügend andere Vorgänge, an denen es man wirklich festmachen kann, dass der Kapitalismus, der unverzichtbar ist, weil es erwiesenermaßen immer noch das menschengerechteste Wirtschaftssystem ist, ausgeartet ist in vielerlei Hinsicht in ein Haifisch-, in ein Raubtierkapitalismus. Darüber muss man insbesondere in Europa reden dürfen. Wir in Deutschland alleine können uns dem nicht entziehen, aber vielleicht können wir Europäer doch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese Negativfolgen dieser Dinge ein wenig stärker einengen und auch den sozialen Gedanken ein bisschen weiter im Vordergrund lassen.

    Remme: Die Worte von Franz Müntefering sind eben nicht im Bierzelt gefallen. Die Rede von ihm war ausdrücklich ein Beitrag zur Programmdebatte, zur programmatischen Erneuerung. Ist das Bild von der Rolle rückwärts der SPD berechtigt?

    Reuter: Die SPD hat nicht zuletzt mit dem Godesberger Programm - und das ist nun schon lange her - einen Weg eingeschlagen, den sie ganz bestimmt nicht grundsätzlich wieder verlassen sollte. Aber die SPD ist auf der anderen Seite eine Partei, zu deren Tradition es gehört und hoffentlich auch in Zukunft weiter gehört, sich darum zu kümmern, dass nicht ein schierer, geiziger, gieriger Kapitalismus der Geldbereicherung allein das Feld beherrscht, sondern dass dieser Kapitalismus ein eingeengter Kapitalismus, ein gezähmter Kapitalismus ist, nämlich sozialgezähmt.

    Remme: Wie aufmerksam betrachten Unternehmer, ausländische Investoren solche Diskussionen?

    Reuter: Das kann man in zwei Abteilungen beantworten. Natürlich wird aktuell, wenn solche Äußerungen fallen, überall in der internationalen Unternehmerlandschaft natürlich darüber geredet, jetzt fangen die Deutschen und die SPD wieder an, in ihre kommunistische Vergangenheit zurückzufallen. Wenn aber ein bisschen Zeit vergangen ist und sorgfältig und ernsthaft darüber geredet wird, wird das alles nicht so heiß gegessen wie es von den Unternehmerverbänden im Augenblick dargestellt wird.

    Remme: Ist also Schaden für den Standort Deutschland entstanden oder nicht?

    Reuter: Ich glaube überhaupt nicht, dass ein wirklicher Schaden für den Standort Deutschland entsteht. Unternehmer entscheiden sich, in Deutschland zu investieren oder tätig zu werden, wenn der Markt für sie interessant ist, und wenn sie wissen, dass wir in Deutschland durchaus eine Herrschaft des Rechts haben, dass die Gerichte, das Gesetz entscheidet, und nicht irgendwelche Sonntagsreden von irgendwelchen Politikern, so berechtigt sie sein mögen.