Freitag, 19. April 2024

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"Geld fehlt für die notwendigen Zukunftsinvestitionen"

Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger hat sich für weitere Steuererhöhungen ausgesprochen. Kein anderer der alten EU-Staaten nehme so wenig Steuergelder ein wie die Bundesrepublik, sagte Bofinger. Deshalb fehle es an Geld für Zukunfts-Investitionen. Die öffentliche Hand lebe derzeit von der Substanz, Infrastruktur werde abgebaut. Bofinger, der Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung ist, unterstützte damit Forderungen des designierten SPD-Vorsitzenden Beck, die bei Wirtschaftsverbänden und der FDP auf Kritik gestoßen waren.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 19.04.2006
    Dirk-Oliver Heckmann: Auch wenn die Opposition derzeit laut aufschreit und der großen Koalition vorwirft, ihr falle nichts ein, außer die Steuern zu erhöhen; die Wahrscheinlichkeit, dass es neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer im kommenden Jahr zu weiteren Steuererhöhungen kommen wird, scheint weiter zu steigen. Erst hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder vorgeschlagen, das Gesundheitssystem auf eine so genannte Fondslösung umzustellen und die Versicherung von Kindern über höhere Steuern zu finanzieren. Ende der Woche zog dann Kurt Beck, der kommissarische SPD-Vorsitzende, nach mit dem Hinweis, mit der aktuellen Steuerquote von 20 Prozent sei das Land nicht zukunftsfähig zu gestalten. Am Telefon begrüße ich Peter Bofinger. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Guten Tag!

    Peter Bofinger: Guten Morgen Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Bofinger müssen sich die Bürger auf weitere Steuererhöhungen einstellen, jetzt nachdem die jüngsten Landtagswahlen hinter uns liegen?

    Bofinger: Ich denke man kann es nicht ausschließen, dass bei uns in Deutschland die Steuern noch steigen. Man muss ja sehen – und das hat Kurt Beck klar zum Ausdruck gebracht -, kein Land in Europa, wenn man mal die alten Europa-Länder nimmt, nimmt so wenig Geld an Steuern ein wie der deutsche Staat. Wir sind also unterfinanziert an Steuern und dass man sich Gedanken machen kann, wie man das verbessert, ist richtig. Und man muss sehen: Gleichzeitig ist Deutschland das Land, das sich am meisten über Sozialabgaben finanziert. Deswegen ist es sicher auch vernünftig, dass man bei der Gesundheitsreform sich Gedanken macht, wie man die Abgabenbelastung dort reduzieren kann und gleichzeitig das finanziert über höhere Steuern.

    Heckmann: Aber ist es nicht ein bisschen zu schlicht, nach mehr Geld zu schreien, wie auch die Opposition formuliert, statt wirklich Strukturreformen anzugehen?

    Bofinger: Na ja, man muss einmal sehen, wenn wir uns unseren Staat insgesamt vor Augen halten, dass es derzeit wirklich an Geld fehlt für die notwendigen Zukunftsinvestitionen. In kaum einem Land in Europa wird so wenig Geld in Infrastruktur gesteckt wie bei uns. Wenn man die Abschreibungen mal berücksichtigt, dann ist es bei der öffentlichen Hand so, dass sie von der Substanz lebt. Die Infrastruktur wird sogar abgebaut. Das ist bedenklich, wenn man in einer globalen Welt lebt. Man sieht, dass andere Länder sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen. Das gefährdet wirklich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

    Heckmann: Ist es nicht so, dass das Geld eigentlich vorhanden ist, nur falsch verteilt ist und falsch eingesetzt wird?

    Bofinger: Das würde ich nicht so sehen, denn insgesamt liegt in Deutschland die Abgabenbelastung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unter dem Durchschnitt. Wenn wir Deutschland mal mit den skandinavischen Ländern vergleichen, dann liegt unsere Abgabenbelastung weit unter der Abgabenbelastung in den skandinavischen Ländern. Das heißt der deutsche Staat nimmt im Vergleich zu diesen Ländern relativ wenig Geld ein und faktisch schlägt sich das darin nieder, dass wir eben sehr viel weniger für Bildung und für Infrastruktur ausgeben können, als das in Skandinavien der Fall ist.

    Heckmann: Besteht nicht die Gefahr, wenn ein solches Konzept umgesetzt wird, wie es Volker Kauder vorgeschlagen hat, dass auf der einen Seite die Beiträge reduziert werden, aber die Steuern erhöht werden, dass dies volkswirtschaftlich gesehen und auch für die einzelnen Bürger im Prinzip ein Nullsummenspiel ist?

    Bofinger: Auf den ersten Blick kann man das so sehen, aber man muss sich ja der Tatsache bewusst sein, dass gerade in der Krankenversicherung über die Beiträge zur Krankenversicherung die Menschen indirekt und verdeckt belastet werden. Das ist also auch so eine Art Steuersystem, aber es ist ein sehr unsystematisches Steuersystem. Deswegen ist die Idee richtig, dass man Prämienlösungen macht, dass man versucht, die Besteuerung, die derzeit in verdeckter Form in der Krankenversicherung steckt, heraus nimmt, dass man Prämien macht und dass man das, was an Umverteilung nötig ist, ins Steuersystem setzt und dort eben in transparenter und auch in zielgerechter Weise die Besteuerung vornimmt.

    Heckmann: Das heißt Sie würden sagen unterm Strich eigentlich ein positiver Vorschlag von Volker Kauder?

    Bofinger: Ganz eindeutig, weil man eben eine verdeckte und unsystematische Besteuerung durch eine offene und systematische Besteuerung ersetzt, wobei man natürlich im Einzelnen sich Gedanken darüber machen muss, ob man das so machen soll, wie Herr Kauder das vorschlägt. Der Sachverständigenrat hat ja ein Modell einer Prämienlösung vorgeschlagen, das eine konstante Prämie von 198 Euro vorsieht und dann eben entsprechende Finanzierungen über Steuern. Das Modell, das aus meiner Sicht noch konsequenter ist als das, was Herr Kauder vorschlägt.

    Heckmann: Sie haben aber trotzdem dem Fraktionsvorsitzenden der Union Lob gezollt wie auch Kurt Beck, dem kommissarischen Vorsitzenden der SPD. Steuern erhöhen ist für Sie also der richtige Weg. Aber besteht nicht die Gefahr, wenn die Steuersätze erhöht werden, dass insgesamt der Staat weniger Geld einnimmt, weil einfach die Konjunktur lahmt?

    Bofinger: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie da ansprechen. Wenn man unserem Staat wieder mehr Geld zuführt über höhere Steuern, dann muss man das behutsam machen. Man muss das nicht übers Knie brechen. Man muss versuchen, das über einen längeren Zeitraum zu korrigieren, denn das ist ja eine Fehlentwicklung, die sich über viele Jahre hin entwickelt hat. Es ist ganz klar: Man muss das im Einklang mit der konjunkturellen Entwicklung machen. Die große Koalition hat ja noch ein bisschen Zeit und deswegen würde ich es auch für sinnvoll halten, dass man nun keinen Aktionismus an den Tag legt. Ich würde auch zum Beispiel bei der Gesundheitsreform nun nicht versuchen, möglichst schnell die Pflöcke einzurammen, sondern ich würde warten, bis man auch Lösungen für den Niedriglohnbereich findet, denn das ist ja die zweite große Reformbaustelle. Die Dinge hängen zusammen und auch der Niedriglohnbereich erfordert öffentliches Geld. Deswegen würde ich versuchen, hier ein Paket zu machen, das den Niedriglohnbereich zusammen mit der Gesundheitsreform neu gestaltet. Ich glaube man könnte dort bessere Lösungen erzielen, als man jetzt unbedingt und ganz schnell vor der Sommerpause noch eine Gesundheitsreform auf den Tisch bringt.

    Heckmann: Und in dieses Paket gehört dann möglicherweise auch eine Neuauflage der Vermögenssteuer, wie es aus Teilen der SPD immer wieder gefordert wird?

    Bofinger: Wenn man andere Länder betrachtet, dann gibt es dort Vermögenssteuern und dann wird auch dort über die Vermögenssteuer ordentlich öffentliches Geld reingebracht. Deswegen denke ich ist das schon eine richtige Diskussion.