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Geld macht keine Kinder

200 Milliarden Euro zahlt der Staat jährlich an sogenannten familienpolitischen Leistungen. Das ist einsame Spitze in ganz Europa. Trotzdem ist die Geburtenrate in Deutschland auf einem neuen Tiefstand. Wo muss familienpolitisch die Reise hingehen?

Von Anita Fünffinger | 17.08.2013
    Ein anstrengender Familientag geht zu Ende. Anna und Marie sitzen in der Badewanne, aber die eineinhalbjährige Marie hat keine Lust mehr auf Baden. Sie ist müde. Anna dagegen wird bald sechs, im Herbst kommt sie zur Schule - sie dreht jetzt erst so richtig auf:

    Eine Stunde später haben es die Eltern Katja und Heiko dann doch geschafft. Die beiden schlafen. Endlich. Jetzt sitzt das Ehepaar auf der Dachterrasse des neuen Hauses, die 38-Jährige und der 39-Jährige trinken noch ein Glas Wein, schauen sich an und freuen sich. Irgendwie passt alles. Noch vor wenigen Jahren sah die Sache anders aus. 2008 war Diplomdesignerin Katja Angestellte in einer Werbeagentur, Anna gerade vier Monate alt, da steckte Katja die Kleine in die Krippe:

    "Ja, ich hab vom Arbeitgeber auch so einen gewissen Druck bekommen, dass es schon besser wäre, wenn ich zeitig wieder zurückkommen würde."

    Noch in der Schwangerschaft hatte sich Katja um einen städtischen Kita-Platz beworben, nichts zu machen. Am Ende wurde es eine private Kita - alles andere als um die Ecke:

    "Durch die halbe Stadt, über `ne halbe Stunde. Der Krippenplatz hat über 700 Euro gekostet, der private!"

    Um Anna hat sich Katja damals tagsüber alleine gekümmert, obwohl es vom Staat eine völlig neue Leistung gab. Das Elterngeld war wie für die beiden Akademiker gemacht. Aber Heiko nahm es nicht in Anspruch.

    "Ich habe mich dagegen entschieden, weil das in dem Bereich, in dem ich arbeite, zu dem Zeitpunkt, glaub ich, noch nicht wirklich en Vogue war, also es war noch sehr neu ... Und ich hab' die Bedeutung der Elternzeit noch gar nicht so richtig erkannt."

    Heiko ist Ingenieur. Er arbeitet in einer Branche, in der echte Männer echte Autos bauen. 2007, als Anna geboren wurde, verspotteten Politiker wie Peter Ramsauer die Elternzeit für Väter noch als Wickelvolontariat. Und Heiko wollte schlicht nicht der Erste sein in der Firma.

    "In der Branche, in der ich tätig bin, hat man gerne mal Besprechungen morgens um sieben. Da geht's halt los. Oder um halb acht. Aber dann auch gerne abends ab acht Open End. Das ist natürlich schwierig mit Kindern unter einen Hut zu kriegen. Das ist halt dieser Zeitdruck, den ich nicht immer nachvollziehen kann. Wenn man auf Termine hin arbeitet, die extrem wichtig sind und man viele, viele Stunden investiert, und der Entscheidungsgewinn, den man dann hat, der ist nicht wirklich nachhaltig. Also ich glaube, wenn man alles ein bisschen entschleunigen würde, hätten viele Leute was davon. Das ist dann wieder der Punkt: das ist nicht die Politik, die das machen kann, das ist die Gesellschaft. Das sind wir."

    Wenn er heute darauf zurück blickt, findet er es fast lächerlich, damals so ängstlich gewesen zu sein. Die Elternzeit bei der kleinen Marie genoss er einfach. Allerdings nahm er auch beim zweiten Kind nur zwei Monate Auszeit vom Job.

    Dominanz der alten Rollenbilder in der Gesellschaft
    Ein solches Lebensmodell würde für Christine nicht in Frage kommen. Sie sitzt auf einer Bank im Berliner Volkspark Friedrichshain, viele Menschen gehen hier spazieren, Kinder radeln vorbei. Christine hat Kaffee und Zigarette in der Hand, sie ist zierlich mit großen grünen Augen, Ende 20, verdient in der IT-Branche gut, mehr als 40-tausend Euro im Jahr, hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Theoretisch könnte es jetzt losgehen mit der Familienplanung. Sie will aber keine Kinder.

    "Mir sind Kinder irgendwie fremd. Seit ich jetzt auch in Berlin wohne, seit ich studiert habe, seit ich erwachsen bin, habe ich zu Kindern quasi keinen Kontakt mehr. Man sieht sie nicht überall. Und wenn, dann sind sie meistens einfach nur laut. Und wenn man irgendwie sich beschwert, dann ist man der böse Kinderhasser, total."

    Und weil man so was eigentlich auch nicht öffentlich sagen darf, will Christine ihren echten Namen im Radio nicht hören. Dabei möchte sie der Gesellschaft, und vor allem den Herren der Schöpfung gerne so viel sagen. Schön, dass Frauen jetzt auch Karriere machen, aber spätestens bei einem Kind schnappt die Falle wieder zu.

    "Also, wenn ich so mit vielen Männern gesprochen habe, die sagen natürlich, dass sie sich um ihre Familie kümmern wollen, aber das klingt für mich ein bisschen inkonsequent. Immer nur so weit, wie sie sich das vorstellen. Also nicht wirklich mit dem Gedanken, dass man dann eine Pflicht hat, also eine Verantwortung. Also eher so `ja, ich kümmer' mich um mein Kind, so viel wie sein muss."

    Das ist nämlich ihr eigentliches Problem. Sie trifft zwar immer wieder auf Männer, mit denen sie sich eine Zukunft vorstellen kann. Aber denjenigen, mit dem sie echte Gleichberechtigung leben könnte, den hat sie noch nicht getroffen. Dazu dominierten immer noch viel zu sehr alte Rollenbilder in der Gesellschaft - und in der Politik.
    "Ich glaube, ein großes Problem ist halt auch noch die ältere Generation, die damit aufgewachsen ist, dass es so leicht war mit der Familie, dass man mit einem Gehalt `ne Familie versorgen konnte, was heute schlichtweg nicht mehr stimmt. Da kann man fordern, dass einer zuhause bleibt und für die Kinder sorgt, in der Realität ist es aber nicht möglich. Und die haben im Moment halt auch noch viel zu sagen in der Politik und können diese Politik wählen und drücken damit auch der jüngeren Generation eine Ideologie auf, die sie gar nicht erfüllen können."

    War also früher alles besser? Als die Rollen noch klar verteilt waren: Der Vati zur Arbeit ging und die Mutti sich um den Haushalt und die Kinder kümmerte?

    Ach, natürlich nicht, seufzen Monika Bittl und Silke Neumayer übereinstimmend. Es ist 12 Uhr mittags, die beiden Frauen sitzen am Freundorfer Platz im Münchner Stadtteil Westend. Der Spielplatz hier hat Hängebrücken und eine Balancierstrecke, alles ist aus Holz; er gehört zu den schönsten Deutschlands. Die beiden Buchautorinnen machen gerade mit ihrem zweiten Werk Furore. Das erste Buch hieß "Alleinerziehend mit Mann" – das jetzige "Mutti-tasking" und handelt vom irrwitzigen Alltag zwischen Kind, Job und Haushalt. Hier am Spielplatz könne man das ganz wunderbar ablesen, was sich verändert hat zu früher: Fast kein Kind spielt alleine, die Mutter steht daneben, gern schick gekleidet, die Kita-Kindergruppe muss orangefarbene Westen tragen. Die Erinnerung an Monika Bittls Kindheit hört sich anders an.

    "Wie ich noch klein war, sind wir, eine ganze Blase an Kindern, einfach von einem Haus zum anderen gezogen, haben irgendwo mal ein Butterbrot gekriegt und abends beim Gebetläuten in Bayern musste ich daheim sein. Und jetzt? Die Kinder dürfen auch viel weniger alleine und eigenständig machen. Mir tun sie manchmal leid, weil sie wahnsinnig kontrolliert sind."

    Und nicht nur die Kinder sind kontrolliert. Sondern die ganze Familie, vor allem die Frauen. Früher habe den jungen Müttern höchstens die Schwiegermutter drein geredet, sagen die beiden. Heute macht das die ganze Welt: Die Ratgeber, die Frauenzeitschriften, die Politik. Bleibt die Frau zu Hause, ist sie eine Glucke, geht sie nach einem halben Jahr wieder arbeiten, ist sie eine Rabenmutter. Kauft sie nur Ökomöhrchen gehört sie zur Biobohème, aber wenn es doch mal Fertigpizza gibt, zieht sie den nächsten Fettleibigen heran.

    "Das ist ein ungeheurer gesellschaftlicher Druck. Von wegen, wir hätten ja alle Freiheiten. Also gerade zum Beispiel das Thema Stillen. Wenn eine Mutter sich hinstellt und sagt, ich will nicht stillen, das ist ein absolutes gesellschaftliches No-Go. Sie gilt als Rabenmutter. Und beim Stillen zeigt sich das extrem, aber es gibt auch ganz viele andere Punkte. Es sind Erwartungshaltungen da, ganz anders als früher. Die Kinder müssen bioernährt werden. Die Kinder müssen Frühförderung kriegen ... Es ist ein gesellschaftlicher Druck da, fast schon 'ne Art neue Spießigkeit, wie man intolerant gegenüber den anderen ist, die das anders machen wollen."

    Monika Bittl schüttelt ihre roten Locken, sie sieht sehr jugendlich aus in Jeans und Turnschuhen. Silke Neumayer hat die Schuhe ausgezogen, zu heiß heute, ihr Outfit passt perfekt zusammen, ist aber dennoch weit entfernt von der typischen Münchner Schicki-Mutter mit der Perlenkette. Rollenbilder mögen die beiden nicht. Sie schreiben lieber darüber. - Die Rolle der Frau, der Mutter, der Arbeitnehmerin, der Männer, der Familie an sich - alles hat sich verschoben, aber noch keiner scheint auf seinem neuen Platz angekommen zu sein. Und parallel nehmen die Herausforderungen zu. Die Vorschriften. Das Perfekt-Sein-Müssen. Jedem gerecht werden zu müssen. Dieses Syndrom haben Frauen noch mehr als Männer, findet Silke Neumayer.

    "Wenn man sich die Frauenzeitschriften anschaut, und sich die Bilder, die in der Gesellschaft da sind, anschaut, sieht man immer: die Frauen müssen alle erfolgreich im Beruf sein, ausgebildet, schlank, attraktiv. Und wenn dann noch ein Kind kommt, das gehört ja mittlerweile zu einem perfektionierten Leben dazu, und dann wird dieser Perfektionsanspruch noch höher geschraubt."

    Die Autorinnen haben sich frei geschüttelt von den ganzen Klischees. Sie raten den Frauen dringend zu mehr Gelassenheit und zum Mut, eben nicht perfekt zu sein. Aber immer mit der Mahnung, sich bloß nicht finanziell auf den Mann zu verlassen. Wenn der weg ist, sind die Frauen die Verliererinnen. Nach dem neuen Unterhaltsrecht noch viel mehr als früher. Sie bekommen keinen Job mehr, wenig Rente, viele Alleinerziehende rutschen deswegen in Hartz IV.

    Eine Mutter stillt ihr drei Monate altes Baby
    Eine Mutter stillt ihr drei Monate altes Baby (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Die SPD fordert ein Recht auf Teilzeit und Vollzeit
    Christel Humme geht sogar noch einen Schritt weiter. Die SPD-Bundestagsabgeordnete kommt abgehetzt ins Restaurant des Bundestags - dicke Aktenmappen unter dem Arm - es ist die letzte Sitzungswoche der Legislaturperiode. Jederzeit kann sie zu einer namentlichen Abstimmung gerufen werden, das Handy liegt parat. Humme ist 63 Jahre alt und hat zwei erwachsene Töchter:

    "Meine Töchter sind 28 und 31, von daher erlebe ich das also hautnah. Sie stehen vor der Entscheidung, eine Familie zu gründen und haben große Schwierigkeiten. Erstens wegen der fehlenden Betreuung. Zweitens aber auch, weil zum Beispiel eine meiner Töchter nach dem Studium nur einen befristeten Job bekommen hat. Das heißt, auch die ökonomische Grundlage hat sich manchmal verändert für junge Leute. Sie bekommen nicht sofort eine Lebensperspektive angeboten mit einer Arbeitsstelle, sondern müssen sich mit Fragen auseinandersetzen, hab ich noch in einem Jahr einen Job? Oder in zwei Jahren? Kann ich mir das leisten?"

    Humme hat die Töchter zur Selbstständigkeit erzogen und trotzdem sagt sie, das sei eine verlorene Generation. Ihren Töchtern stünden ebenso wenig wie ihr alle Türen offen:

    "Das ist bitter. Das ist sehr bitter. Da haben wir sehr viel, auch jetzt noch mal, Zeit verloren. Wir waren auf einem guten Weg. Wir hatten den richtigen Drive in der neuen Familienpolitik und wollen das eigentlich auch wieder haben. Ich hätte mir das anders gewünscht."

    Die SPD hat sich in den vergangenen vier Jahren einen erbitterten Kampf mit der Union geliefert. Waren sich die Parteien in der großen Koalition noch relativ einig, wohin die Reise in der Familienpolitik gehen soll, verhärteten sich nach dem Ende der schwarz-roten Vernunftehe die Fronten. Spätestens bei den Diskussionen über das Betreuungsgeld – Stichwort Herdprämie – wurde es persönlich, verletzend, aufgeheizt und ideologisch:

    "Ich glaube, Frau Schröder hat sicher einen Teil Schuld daran, die Frauenministerin. Und ich glaube, eine Regierung, die kein Geld hat und verkleistern will, dass sie nichts getan hat für die Familien vier Jahre lang – also vier verlorene Jahre – muss sich auf solche Scheindebatten einlassen. Sonst würde ja auffallen, dass für die Familien nichts gemacht wurde."

    Von echter Gleichberechtigung könne immer noch nicht die Rede sein, findet Christel Humme. Die SPD fordert ein Recht auf Teilzeit und Vollzeit, von Rentenpunkten für Mütter hält Christel Humme nichts, stattdessen muss der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagesschulen voran gehen. Die Unternehmen müssen umdenken, und die Männer ihre neue Rolle erst finden.

    "Auch die Männer leiden unter den Rahmenbedingungen. Die Männer haben genauso wenig die Chance, aus ihrer Rolle heraus zu kommen wie die Frauen. Diese Rahmenbedingungen sprechen dagegen. Ich denke nur an so banale Sachen, wie schwer es ist, dass ein Mann mal sagen kann, ich möchte gerne Elternzeit nehmen, um dann vielleicht als Memme oder was auch immer bezeichnet zu werden. Also damit fängt es an. Die Rollenbilder engen auch den Mann ein."

    Das ist wohl der einzige Punkt, den sie gemeinsam mit ihrer Kollegin von der CSU, Dorothee Bär, unterschreiben würde. Bär hat für ihre Partei das Betreuungsgeld durchgesetzt, verkauft mit dem Slogan "Wir schaffen echte Wahlfreiheit". Bär hat in der Partei Karriere gemacht als stellvertretende Generalsekretärin, ihre drei Kinder sind daheim in Unterfranken, sie die ganze Woche über in Berlin.

    "Mir wurde ganz oft gesagt, wie kannst Du für's Betreuungsgeld sein, wenn Du selber nicht zu Hause bleibst! Und das fand ich so abstrus, weil, es muss auch überhaupt keiner, der Verteidigungspolitik macht, in einem Auslandseinsatz gewesen sein, beziehungsweise, wir hatten so viele Verteidigungsminister, die nicht gedient haben oder weißer Jahrgang waren."

    Könnte Bär wie sie wollte, würde sie das Betreuungsgeld erhöhen, die Mütterrente einführen, Erziehungsarbeit würdigen. - Auch Bär hat eigentlich keine Zeit - letzte Sitzungswoche - aber für das Interview spaziert sie nun eine halbe Stunde in ihren hohen Schuhen und im Sommerkleid die Spree entlang. Dass in Deutschland jeder meint, dem anderen vorschreiben zu müssen, wie er zu leben hat, das nervt sie. Ebenso wie die Scheinheiligkeit der Wirtschaft.

    "Also wenn ich sehe, dass ein Arbeitgeberpräsident wie Herr Hundt unbedingt so Aussagen getroffen hat wie, dass die Frauen zurück müssen in den Job, weil sie auch wichtig sind, so als arbeitsmarktpolitische Manövriermasse, dann merkt man ganz deutlich, dass es überhaupt nie darum ging, was will man eigentlich für die Kinder erreichen."

    Denen gehe es um die Fachkräfte, aber nicht um die Mütter und Väter, die dringend mehr Zeit bräuchten. Und das führe dann eben dazu, dass immer mehr potenzielle Eltern die Entscheidung für ein Kind nach hinten verschieben. Bis es möglicherweise zu spät ist.

    "Je jünger sie sind, desto besser und gesünder ist es halt, und zwar nicht nur für die Gesundheit des Kindes, sondern auch für die Gesundheit der Frau. - Wir lernen immer, wie man ein Kind verhindert. Man bekommt im Biologieunterricht beigebracht, wie man am besten ein Kind verhindert. Aber man kriegt nie gesagt, wann eigentlich der beste Zeitpunkt – rein biologisch – für ein Kind wäre. Wenn ich das in meinen Reden anspreche, und auch knallhart anspreche, dann ist immer betretenes Schweigen, weil so richtig bewusst man sich das noch nie vor Augen geführt."

    Der Politik gelingt es jedenfalls nicht, mehr Paare zu motivieren, mehr Kinder zu bekommen. Zumindest nicht mit Geld. 200 Milliarden Euro zahlt der Staat jährlich an sogenannten familienpolitischen Leistungen. Das ist einsame Spitze in ganz Europa. Dazu gehört die beitragsfreie Mitversicherung von Ehefrauen - macht 11 Milliarden Euro - genauso wie das Kindergeld - das sind allein 40 Milliarden - oder das Elterngeld, 4,6 Milliarden.

    Trotzdem ist die Geburtenrate in Deutschland auf einem neuen Tiefstand. Zum Vergleich: 1964 wurden 1,4 Millionen Kinder geboren. 2012 waren es 600.000. Macht 1,36 Kinder pro Frau. Viel Geld für nichts!, rufen die Kritiker. Mehr Geld bringt nicht mehr Kinder. Es muss andere Motive für Kinder geben.

    Eine kindgerechte Umgebung schaffen
    Auf der Baustelle des neuen Schulzentrums im oberpfälzischen Waldthurn wird gehämmert und geschraubt. Waldthurn braucht Platz für seine Kinder. 17 Geburten verzeichnete das Dorf im Jahr 2012, allein in diesem Jahr sind schon wieder sieben Babys zur Welt gekommen. Bürgermeister Josef Beimler von der CSU hat - nach anfänglichem Zögern seiner Mitbürger - durchgesetzt, dass hier alles an einen Ort kommt. Krippe, Kindergarten, Grundschule:

    "Kurze Beine, kurze Wege. Mittagsbetreuung, Hausaufgabenbetreuung. Vorschule, Turnhallenbenutzung. Das haben wir dann alles in einem Raum."

    Und schon muss er weiter. Der Mann mit dem Vollbart und dem stattlichen Bauch fährt gern mit dem alten Benz durch sein Dorf.

    Es geht durch die hügelige Gegend um Waldthurn herum. Der Ortsweiher, der Bauhof, die Kirche, der Bolzplatz. 40 Vereine gibt es hier. Und alle helfen mit. 57 Menschen sind im letzten halben Jahr zugezogen:

    "Und das wird unser neues Baugebiet, das wollte ich Ihnen noch zeigen. Da sind wir momentan darüber. Das haben wir jetzt gekauft, den Acker. Schauen Sie mal die Wohnqualität an!"

    "Frage: Wieviel kostet bei Ihnen der Quadratmeter?"

    "15 Euro und 15 Euro die Erschließung. Also für 30 Euro kriegen Sie einen wunderschönen Bauplatz mit einem Blick, den es nirgends gibt. Schauen sie mal her!"

    Josef Beimler sieht das ganz pragmatisch. Wenn sich hier Familien wohl fühlen sollen, muss er die Rahmenbedingungen schaffen. Für alle. Die Alten und die Jungen. Barrierefreiheit ist ihm genauso wichtig wie lange Kita-Öffnungszeiten.

    In der alten Kita spielt die Kleinkindergruppe drinnen, draußen toben die 4- und 5-Jährigen, auf einem riesigen Grundstück. Ein Platz kostet zwischen 63 und 73 Euro, die Krippe bis 83 Euro im Monat. Ab sieben Uhr in der Früh ist hier geöffnet. Wenn eine Kita erst um neun aufmacht, nützt das doch den Eltern nix, sagt Beimler lapidar. Und ob eine Mutter daheim bleibt oder nicht, sei doch ihre Entscheidung. Übrigens arbeiteten hier in Waldthurn die meisten Mütter... Und überhaupt, wenn er sich anschaut, wie abstrakt die Politiker ganz oben, egal welcher Partei, diskutieren, da schüttelt Josef Beimler nur den Kopf. Die sollen sich doch raushalten:

    "Ach bei uns im Kleinen wird da überhaupt nicht diskutiert. Für uns ist wichtig, dass der Bürger sich wohl fühlt in der Gemeinde, dass die Einrichtungen da sind, dass die Einrichtungen funktionieren. Ich denke, das Gequatsche und die ganze Diskussion um die 100 Euro hin, 150 Euro her, ich glaube, das spielt beim Bürger überhaupt keine Rolle."

    Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. So steht es im Grundgesetz. Die Familien zu fördern ist eine verfassungsrechtliche Aufgabe. Genügend Geld stellt der Staat dafür zur Verfügung. Aber das Ziel lässt sich nicht so recht erkennen. Einerseits sollen Frauen rasch in den Beruf zurück, andrerseits bekommen sie Betreuungsgeld. Das Ehegattensplitting ist geschaffen für die Alleinverdienerehe. Andrerseits sollen Frauen für ihre Rentenpunkte sorgen.

    Familienpolitik in Deutschland - das ist ein Stückwerk. - Katja und Heiko haben sich daraus ihr eigenes Modell gestrickt. Bedingungen wie in Waldthurn gab es damals, als Anna geboren wurde, im teuren München nicht. Nach langer Suche entschieden sie sich für eine Neubausiedlung auf einem ehemaligen Kasernengelände in Augsburg. 160 Quadratmeter Wohnfläche haben sie jetzt. Maries Kita ist im selben Gebäude wie Annas Grundschule. Wenn irgendwas ist, kann Katja innerhalb von fünf Minuten da sein. Sie hat sich als Designerin selbstständig gemacht:

    "Das war die beste Entscheidung bis jetzt, weil ich mir die Arbeit einteilen kann, weil ich während des Mittagsschlafs was machen kann und dann abends natürlich viel. Und das macht ganz viel aus, das nimmt einfach den Druck raus."

    Was die Politik in Berlin zur ihrer Entscheidung beigetragen hat, können sie in einem Wort beschreiben: nichts. Heiko schenkt noch Weißwein nach, Katja schaut zum Babyfon, nichts zu hören aus dem ersten Stock, Anna und Marie schlafen selig. Kinder zu bekommen, das haben die beiden alleine entschieden.

    Heiko: "Politik kann definitiv keine Kinder machen, aber Familien den Rahmen und das Feld bestellen. Dafür sorgen, dass man es gern macht, dass man sich wohl fühlt."

    Katja:"Das ist eine Bauchentscheidung, eine ganz persönliche. Also, wenn ich den richtigen Partner habe, dann ergibt sich das irgendwann von selbst."
    Ein Vater wickelt seinen zweijährigen Sohn Michel auf einer Wiese in Erfurt.
    Ein Vater wickelt seinen zweijährigen Sohn auf einer Wiese in Erfurt. (AP)