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Karriere und Kinder

Die ehemalige Stabschefin im US-Außenministerium löste in den USA eine neue Feminismusdebatte aus, als sie ihr Amt zuliebe ihrer Kinder nach 18 Monaten aufgab. In Berlin sprach sie über neue Perspektiven für den Feminismus.

Von Verena Herb | 21.03.2013
    So ein Publikum kann man sich nur wünschen: viele junge Leute von Anfang zwanzig bis Mitte dreißig, vor allem Frauen, und obendrein politisch interessiert. SPD-Fraktionschef Frank Walter Steinmeier kann seine Freude darüber kaum im Zaum halten, als er auf die Studiobühne des Berliner Admiralspalasts tritt.

    "Am liebsten wäre es mir natürlich, dass die Nachfrage deshalb so groß ist, weil die SPD-Fraktion diese Veranstaltung macht. Aber ich bin realistisch."

    Die Leute sind nicht seinetwegen gekommen, und wohl auch nicht wegen seiner Partei. Auch das Thema allein hätte wohl nicht dazu geführt, dass die Diskussion kurzfristig an einen größeren Veranstaltungsort verlegt werden musste: Die neue, andere Arbeitswelt. Doch eingeladen ist an diesem Abend die Frau, die von einigen Geschlechtsgenossinnen als "Verräterin des Feminismus" bezeichnet wird. Anne-Marie Slaughter. Sie war Stabschefin im US-Außenministerium unter Hillary Clinton. Ihre Geschichte sorgt bis heute für Aufsehen: Nach 18 Monaten in ihrem Traumjob bei Clinton hat sie den Job geschmissen. Der Kinder wegen.

    "Ich bereue meine Entscheidung nicht. Mein älterer Sohn war damals 14, heute ist er 16. Mein jüngster Sohn ist heute 14. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht froh über die Entscheidung bin."

    Das soll nicht heißen, dass die 54-Jährige nicht mehr arbeitet. Im Gegenteil. Sie ist jetzt wieder Professorin für Politikwissenschaft an der Elite-Uni Princeton. Auch ein bemerkenswerter, anspruchsvoller, gut bezahlter Job. Aber mit flexibleren Arbeitszeiten und nicht so weit weg von ihrer Familie.

    "Ich arbeite nach wie vor Vollzeit. Ich habe keine Entscheidung treffen müssen zwischen Beruf und Familie. Ich habe eine Entscheidung bezüglich eines bestimmten Jobs getroffen."

    Die Gründe für ihre Entscheidung beschrieb Slaughter im vergangenen Sommer in ihrem Essay für die US-Zeitschrift "The Atlantic". Titel: Warum Frauen immer noch nicht alles haben können. Es hagelte Kritik, vor allem von gleichaltrigen Frauen. Sie werfen ihr vor, Frauen aufzufordern, sich für die Familie und gegen den Job zu entscheiden. Sie suggeriere, dass Frauen keine Macht wollten, jedenfalls nicht so sehr wie Männer. Doch Anne-Marie Slaughter schüttelt den Kopf. Sie beugt sich auf ihrem Stuhl ein wenig vor und erklärt: Frauen sollen die gleichen Rechte haben wie Männer. Sie sollen in die gleichen Positionen kommen wie Männer. Aber das heiße eben nicht, dass sie auch dieselben Entscheidungen treffen müssen wie Männer. Genau das sei für sie moderner Feminismus.

    "Es gibt eine große Angst, dass durch meine Aussagen und meine Entscheidung die feministischen Bemühungen der Frauen zurückgeworfen werden. Meine Meinung: Wir müssen endlich drüber reden, was es bedeutet, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen – und welchen Preis wir dafür zahlen."

    Anne-Marie Slaughter hat eine Debatte in den USA ausgelöst, die mittlerweile auch nach Deutschland geschwappt ist. Hierzulande feuert sie in Wahlkampfzeiten ein Thema an, bei dem jede Partei punkten will. Ob schwarz oder rot, gelb, grün oder dunkelrot – die F-Frage beschäftigt alle: Wo steht die Frau in der Arbeitswelt. Beziehungsweise: Wo sollte sie stehen? Gegenüber von Anne-Marie Slaughter sitzt Ursula Schwarzenbart auf der Studiobühne: Die dunklen Haare im Bob geschnitten, schwarze Brille, dunkler Hosenanzug, High Heels. Ursula Schwarzenbart steht fest im Berufsleben, seit vielen Jahren schon ist sie beim Autobauer Daimler. Ihr Jobtitel: Diversity Managerin. Ihre Aufgabe: Für Vielfalt im Unternehmen sorgen. Was auch bedeutet: In einem männlichen Metier mehr Frauen zu positionieren.

    "Wir haben dann in einem Szenario hochgerechnet, wie lange würde es dauern, bis wir 20 Prozent Frauen in Führungspositionen hätten. Und in diesem Szenario stellte sich dann raus, wir würden im Jahr 2069 landen, wenn wir so weitermachen – vorausgesetzt, keine kündigt."

    An diesem Abend werden wieder mal die altbekannten Gründe ins Feld geführt: gläserne Decke, männliche Netzwerke, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Klarer Konsens: Es muss sich etwas ändern. Wir leben in einer Arbeitswelt mit vielen Zwängen, vor allem zeitlichen. Präsenzkultur ist üblich, Home Office dagegen längst nicht überall. Und wer sich für eine Auszeit vom Job entscheidet, muss mit einem Karriereknick rechnen. Deshalb glaubt die Diversity Managerin: Was alle Unternehmen in den nächsten Jahren lernen müssen,...

    "... ist das Thema, lebensphasenbezogen zu arbeiten. Dass wir wirklich nicht glauben, wir haben einen Aufsatzpunkt zu einem bestimmten Thema und dann muss die Karriere am liebsten nur noch steil nach oben gehen. Und es überhaupt keine Knicke, Plateaus und sonst irgendetwas gibt. Ich glaube, das wird die junge Generation nicht mehr tolerieren. Die werden andere Zyklen von Arbeit und Leistung brauchen."

    Anne-Marie Slaughter und Ursula Schwarzenbart: zwei Frauen Mitte 50. Sie sagen: Frauen können alles haben. Nur eben nicht alles zur selben Zeit. Und sie fordern einen Mentalitätswechsel – in der deutschen wie in der amerikanischen Gesellschaft. Wie der anfangen kann, sagt Anne Marie Slaughter:

    "Beim nächsten Mal, wenn ein Mann im Büro erzählt: Wir bekommen ein Baby. Dann soll auch er gefragt werden: Und wie willst Du Familie und Beruf unter einen Hut bringen?"