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Geldpolitik der EZB
"Die Investitionsquote ist zu gering"

Weil es der Wirtschaft im Euroraum schlecht gehe, sei es richtig, dass die Europäische Zentralbank entschlossen handele, sagte Gerhard Schick im DLF. Wichtig sei aber auch, die Investitionsnachfrage zu stärken. Das sei Aufgabe der Regierungen und dringend geboten, so der Grünen-Finanzpolitiker.

Gerhard Schick im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.06.2014
    Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 01.12.2012 in Böblingen (Baden-Württemberg) auf dem Parteitag der baden-württembergischen Grünen. Abgestimmt wurde über die ersten beiden Listenplätze der Landesliste zur Bundestagswahl 2013.
    Der Finanzpolitische Sprecher der Grünen, Gerhard Schick ( Franziska Kraufmann / dpa)
    Christoph Heinemann: Die Maßnahmen sind beispiellos: Die Europäische Zentralbank möchte das Wachstum in der Euro-Zone wieder ankurbeln und einen drohenden Preisverfall verhindern. Den Leitzins senkte die EZB gestern wie erwartet von 0,25 auf 0,15 Prozent, ein Rekordtief. Außerdem brummten die Herrschaften, die eigentlich die Währung hüten sollen, Geschäftsbanken Strafzinsen auf, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Aus Deutschland hagelt es Kritik. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Wirtschaftsinstituts, sagt, das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln. – Vor dieser Sendung haben wir mit Gerhard Schick gesprochen, Finanzpolitiker der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich habe ihn gefragt, ob Mario Draghi seit gestern endgültig der Feind der schwäbischen Hausfrau ist.
    Gerhard Schick: Nein! Man muss ja immer überlegen, bei aller Kritik, die jetzt von Sparkassen und Versicherungen geäußert wird, was denn die Alternative wäre. Und es ist ganz klar: Der Wirtschaft in Europa, im Euro-Raum geht es sehr schlecht, und deswegen ist es notwendig, dass etwas getan wird. Die Situation könnte sich deutlich verschlimmern, wenn die Europäische Zentralbank nicht handeln würde. Trotzdem muss man natürlich auch sehen, dass die Handlungsmöglichkeiten auch begrenzt sind.
    "Zentralbanken machen immer auch Wirtschaftspolitik"
    Heinemann: Ist das noch Geldpolitik oder längst Finanz- und Wirtschaftspolitik?
    Schick: Die Europäische Zentralbank ersetzt ein Stück das, was die europäischen Regierungen versäumen, was sie nicht tun, und von daher ja: Zentralbanken machen immer auch Wirtschaftspolitik. Und zum Glück muss man sagen, macht die Europäische Zentralbank diese Aktivitäten, denn sonst würde es wahrscheinlich deutlich schlimmer stehen um die europäische Wirtschaft. Trotzdem wird es immer fraglicher, ob sie eigentlich ersetzen kann, was in den Hauptstädten Europas falsch gemacht wird.
    Heinemann: Darf sie das denn überhaupt?
    Schick: Die rechtliche Einschätzung ist, dass die Europäische Zentralbank im Rahmen ihres Mandates handelt, wenn sie den Einlagenzins für die Banken verändert, wenn sie Liquidität für die Banken schafft. Das ist durchaus im Rahmen ihres Mandates.
    Heinemann: Verteilt sie im Moment auch Wohlstand um in Europa?
    Schick: Ja! Das hat auch eine Wirkung auf die Vermögensposition. Das ist klar, dass wenn der Sparzins so niedrig ist, geringer ist als die sehr geringe Inflationsrate, dass das zu einem Abbau von Vermögen führt. Allerdings muss man vorsichtig sein, das allein der Europäischen Zentralbank zuzuschieben, denn die Zinsen werden nicht nur von der Zentralbank bestimmt, sondern auch am Markt, und es ist einfach im Moment so, dass es viel Kapital gibt, aber relativ wenig Investitionsnachfrage und deswegen sind die langfristigen Zinsen sehr niedrig und das ist genau der Grund, warum die Zentralbank es jetzt auch nicht alleine wuppen kann. Sie kann zwar dafür sorgen, dass genug Geld da ist. Sie kann aber nicht die Investitionsnachfrage wirklich stärken. Das kann nur die Fiskalpolitik, das können also nur die Regierungen in Europa anstoßen, und die tun das nicht.
    Heinemann: Mit welchen Mitteln könnten sie das tun?
    Schick: Nun, wenn wir einfach mal nach Deutschland schauen: Die öffentlichen Investitionen sind gering im Verhältnis zu dem großen Investitionsstau, den wir haben. Das heißt, wir hätten auch die Notwendigkeit zu investieren. Aber sie werden auch in den nächsten Jahren sogar noch weiter abgesenkt. Der Internationale Währungsfonds empfiehlt, dass Deutschland stärker investiert, und das würde dann auch in ganz Europa einen Stimulus geben für zusätzliche wirtschaftliche Aktivität, für zusätzliche Investitionen und die Wirtschaft stabilisieren.
    Heinemann: Nun sagt die Bundesregierung, wir sind bis über die Halskrause verschuldet und bauen jetzt erst mal diese Schulden ab. Und Sie fordern jetzt noch mehr Schulden?
    Schick: Nein, nein! Es geht gar nicht um mehr Schulden - es ist durchaus sinnvoll, dass wir auch im Blick haben, dass die öffentliche Schuld zu hoch ist -, sondern es geht darum, dass man gezielt investiert. Wenn Sie sich den Bundeshaushalt anschauen, dann ist es ja nicht so, dass insgesamt massiv gespart werden würde, sondern dass durchaus bei den Konsumausgaben – denken Sie an das Rentenpaket und andere Sachen – großzügig agiert wird. Aber die Investitionsquote ist zu gering, und das ist entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung.
    Heinemann: Herr Schick, die Privatvermögen sind in den südeuropäischen Ländern zumeist höher als in Deutschland. Wieso müssen die Menschen hierzulande jetzt noch zusätzlich Geld in den Süden schieben?
    Schick: Die Politik der Europäischen Zentralbank wirkt auf ganz Europa und von daher ist es ja nicht so, dass da jetzt nur Entscheidungen für Deutschland getroffen würden, und wir sollten auch vorsichtig sein, dass wir hier nicht vergessen, wir haben einen europäischen Binnenmarkt, und die europäische Wirtschaft kann nur gemeinsam vorankommen.
    Heinemann: Aber getroffen sind vor allen Dingen Lebensversicherte, und davon gibt es in Deutschland besonders viele.
    Schick: Ja. Aber die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank trifft Sparer und Versicherte in ganz Europa. Das kann man nicht nur auf Deutschland konzentrieren.
    Rückläufige Investitionen in Europa
    Heinemann: Das Signal der Bank lautet, Sparen lohnt sich nicht. Nun ist Sparen ja auch der Ausdruck eines nachhaltigen Umgangs mit Geld. Sind die Grünen gegen Nachhaltigkeit?
    Schick: Überhaupt nicht! Aber zu der nachhaltigen Entwicklung gehört eben auch das Investieren. Wissen Sie, wenn Sie viel Geld zur Seite legen, dann kann damit ja nur Rendite entstehen, wenn investiert wird, wenn irgendwo realwirtschaftlich etwas passiert, wo diese Rendite erwirtschaftet wird, und deswegen ist der Fokus falsch, jetzt nur auf die Finanzierungsseite zu schauen. Das Entscheidende ist, auch für unsere Altersvorsorge in der Zukunft, dass es jetzt rentable Investitionen gibt, mit denen für die Zukunft unser Wohlstand gesichert wird. Und wenn Sie die Entwicklung der Investitionen in Europa sich anschauen, dann sind die in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, seit Krisenbeginn um 15 Prozent die Brutto-Anlageinvestitionen zurückgegangen, und das ist dieses entscheidende Problem, was jetzt endlich politisch angegangen werden muss.
    Heinemann: Stichwort rentable Investitionen. Die EZB ist ja auch Aufseherin der Banken. Sie bestraft das Sparen jetzt und drängt die Banken zur Kreditvergabe mit allen möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Darf, Herr Schick, die Tugendwächterin ihre Schützlinge zum Laster ermuntern?
    Schick: Interessant ist ja, dass bei diesen neuen langfristigen Finanzierungsoperationen, die jetzt angekündigt worden sind, die Europäische Zentralbank Neuland beschreitet insofern, als sie jetzt fragt, wohin geht das Geld. Und man lernt aus dem Beispiel in Großbritannien, wo die Zentralbank Ähnliches versucht hat, aber dann die Immobilienpreise sehr stark angestiegen sind und da keine nachhaltige Entwicklung entstanden ist, sondern eine Vermögenspreisblase ein Stück weit die Folge der Geldpolitik war, und deswegen soll es jetzt bei der Europäischen Zentralbank so sein, dass es nur dann diese sehr günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten für die Banken gibt, wenn sie unternehmerische Investitionen finanzieren, aber nicht im Immobilienbereich. Jetzt wird man sehen müssen, ob das so funktioniert, ob da die Regeln der Zentralbank hart genug sind. Aber ich finde das richtig, dass sie hier schaut, wohin das Geld geht, um die Nebenwirkungen dieser Krisenpolitik zu begrenzen.
    Heinemann: Aber die nächste Blasenbildung ist nicht ausgeschlossen?
    Schick: Die nächste Blasenbildung ist nicht ausgeschlossen, aber das ist genau der Punkt, weshalb die Europäische Zentralbank es auch nicht allein machen kann. Sie hat nur das geldpolitische Instrumentarium. Sie kann nicht entscheiden, was mit dem Geld gemacht wird. Sie versucht, das jetzt zu beeinflussen, was ich richtig finde. Aber der Ball liegt jetzt in den Hauptstädten Europas. Sie allein können dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Entwicklung positiver vorangeht, und sie können die Last von der Europäischen Zentralbank nehmen, dass sie allein die Wirtschaft in Europa stabilisieren muss.
    Heinemann: Gerhard Schick, Finanzpolitiker der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.