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Gellner: CSU fehlen charismatische Führungspersönlichkeiten

Nach Meinung des Politikwissenschaftlers Winand Gellner liegt das Umfragetief der CSU vor allem daran, dass sie leichthin Erfolge verspielt hat. Das Transrapid-Desaster oder übereilte Reformen wie das G8-Abitur hätten das Ansehen der Partei geschädigt. Zudem fehle es seit dem Sturz von Edmund Stoiber an Führungspersönlichkeiten, die Dynamik und Schwung ausstrahlen.

Winand Gellner im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Die Bayern wählen morgen ihren Landtag und die allein regierende CSU erwartet für sich ein Ergebnis von 50 Prozent plus X, wie immer eigentlich. Ganz so, wie es der bayerische Kabarettist Manfred Kempinger beschreibt:

    "Im Weltraum gibt es ein ähnliches Phänomen, da nennt man's schwarze Löcher. Das sind Gegenden, wo Raum, Zeit, und das, was passiert, einfach nicht zusammenpasst. Einen Landstrich, den du liebst, aber wo du jeden Abend vorm Zubettgehen zum Herrgott betest: Bitte, bitte, wenn einmal Außerirdische landen, dann nicht bei uns! Weil du einfach nicht weißt, wie du ihnen mit Vernunft und Physik so etwas wie die CSU erklären kannst. Die regiert glatt Landstriche mit bis zu 78 Prozent. Das müssen Sie sich mal vorstellen, 78 Prozent."

    Dobovisek: Doch das konservative Fundament in Bayern bröckelt. Umfragen sehen für die CSU längst keine absolute Mehrheit mehr. Vielleicht muss sie koalieren, zum ersten Mal seit 46 Jahren. Am Telefon begrüße ich Winand Gellner. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität in Passau. Guten Morgen, Herr Gellner!

    Prof. Dr. Winand Gellner: Guten Morgen!

    Dobovisek: Mit Vernunft und Politik, Herr Gellner, können vielleicht auch Sie nicht alles rund um die CSU erklären. Wir wagen es dennoch einmal gemeinsam. Wie steht es um die CSU in Bayern im Moment?

    Prof. Dr. Gellner: Ja, die CSU steht vor einer doch gewaltigen Herausforderung und Umbruchsituation, die im Wesentlichen natürlich zu tun hat mit den Vorgängen um die Absetzung des doch in der Perspektive der meisten Bayern erfolgreichen Ministerpräsidenten Stoiber und seines Nachfolgerduos, das nicht wirklich überzeugen kann.

    Dobovisek: Mit wem oder was sind die Bayern heute unzufrieden?

    Prof. Dr. Gellner: Die Bayern verstehen nicht, warum ihr Land, das ja doch im Bundesvergleich ein erfolgreiches Land ist, warum die Partei, die für diesen Erfolg über Jahrzehnte verantwortlich gemacht wurde, diesen Erfolg so leichthin verspielt hat mit überstürzten Reformen im Bildungswesen, das G8-Abitur, mit dem Desaster um den Transrapid, mit der bayerischen Landesbank. Das sind alles Faktoren, die doch letztlich diese Staatspartei CSU beschädigt haben.

    Dobovisek: Sie sagen auf der einen Seite, es sind inhaltliche Fragen, die nun im Prinzip den Verlust, den möglichen Verlust der CSU ausmachen. Spielt möglicherweise auch der Führungswechsel eine Rolle in dem Sinne, als dass die CSU verpasst hat sich zu modernisieren?

    Prof. Dr. Gellner: Ja, die CSU hat natürlich ein Führungsproblem gehabt, in dem es unterhalb der jetzigen Parteielite, Stoiber und Beckstein und Huber plus Seehofer, es keine wirklichen Nachwuchsleute gab bzw. die nicht richtig aufgebaut wurden. Und insofern hat sich die Partei durch den Sturz Stoibers enthauptet, ohne dass die beiden sogenannten Putschisten wirklich in der Partei den entsprechenden Rückhalt gehabt hätten.

    Dobovisek: Und wie steht es um die Bayern? Man hat ja immer gesagt, Lederhose und Laptop zusammen, Tradition und Moderne zusammengenommen. Ist das heute noch so wichtig für die Bayern?

    Prof. Dr. Gellner: Ich denke schon. Und das hat man auch im Besonderen natürlich einem Stoiber abgenommen, der Hunderte von Planungsentwürfen in der Staatskanzlei entwickelt hat und in das Land gewissermaßen gestreut hat. Seine beiden Nachfolger sind dem gegenüber doch weder besonders charismatisch, noch stehen sie für einen Schwung, für eine Dynamik. Das fängt bei der Rhetorik an und hört beim Aussehen auf.

    Dobovisek: Wie groß ist der Rückhalt innerhalb der Partei des Führungsduos?

    Prof. Dr. Gellner: Das scheint mir das wirkliche Problem zu sein. Es gibt in der Partei natürlich insofern viel Verdruss, als es aufgrund der enormen Zwei-Drittel-Mehrheit, die ja in jedem Fall dahin ist, es natürlich viele Abgeordnete gibt, die schlicht und ergreifend ihr Mandat verlieren, die ihren Job verlieren. Und daneben sind auf lokaler Ebene die Freien Wähler doch sehr stark geworden, die ja letztlich doch zur Kernklientel der CSU gehören, sodass hier die Partei in gewisser Weise implodiert ist.

    Dobovisek: Erwin Huber ist noch fest davon überzeugt von der absoluten Mehrheit seiner Partei. Hören wir einmal, was er vor wenigen Tagen gesagt hat.

    "Es gibt in den Gremien der CSU keine Schubladenentwürfe für einen Plan B, weil wir ihn nicht brauchen. Und wenn es Einzelne in der CSU gäbe, die dran arbeiten, werden sie auf die Nase fallen."

    Dobovisek: Vielleicht haben ja Huber und Beckstein keinen Plan B in der Schublade. Wie steht es da um die anderen Mitglieder? Herr Gellner, Sie haben schon angesprochen, es gibt Putschgerüchte.

    Prof. Dr. Gellner: Nun, ich bin mir nicht sicher, inwieweit das nicht medial etwas aufgebauscht wurde. Aber es ist völlig klar, dass im Besonderen die Achse Seehofer/Stoiber natürlich sich bereithält. Hier wurden doch Persönlichkeiten verletzt bei diesem Kreuther Spektakel. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das, falls die CSU tatsächlich eben die 50 reißen sollte, dass das nicht dann doch in einem innerparteilichen Gemetzel enden könnte.

    Dobovisek: Das klingt auch ein bisschen nach einer Stoiber-Renaissance?

    Prof. Dr. Gellner: Durchaus. Die CSU hat es auch verstanden, siehe das Ende des Ministerpräsidenten Streibl, dass sie im Zweifelsfalle auch sehr radikal vorgehen kann und durchaus zur Brutalität neigt.

    Dobovisek: Von dem Umfragetief der CSU profitieren die kleinen Parteien, darunter auch die Linken und die Freien Wähler. Steht Bayern mit der morgigen Wahl nicht nur vor einem Umbruch, sondern vor einer Zeitenwende?

    Prof. Dr. Gellner: Es ist durchaus möglich. Zum einen ist natürlich bemerkenswert, dass die SPD so überhaupt nicht als Opposition wahrgenommen wird. Das heißt, sie bleibt im Ghetto unterhalb der 20 Prozent. Dafür sind die Grünen eine stabile Kraft, die es auch wieder schaffen werden ins Parlament. Und wenn es eben die FDP schaffen sollte und dann, bei den anderen beiden kleinen Parteien kann man nichts ausschließen, eventuell die Freien Wähler, die ich eher drin sehe als die Linke, es schaffen sollten, dann wird es tatsächlich knapp werden und die CSU wird sich möglicherweise um einen Koalitionspartner bemühen müssen, was logischerweise dann vermutlich die FDP wäre.

    Dobovisek: Das wissen vielleicht einige Bayern noch gar nicht, wenn sie ihr Kreuz morgen machen, aber das könnte auch Konsequenzen für die Bundespräsidentenwahl haben. Welche sind das denn?

    Prof. Dr. Gellner: Ja, es ist völlig klar, dass wenn die CSU ein schlechtes Ergebnis einfährt, dann werden die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten respektive -präsidentin wählt, wird hier die Mehrheit der Union geschwunden sein und man wird sich dann natürlich auf Gespräche einlassen müssen mit den anderen Parteien. Und das würde die Chancen der Kandidatin Schwan natürlich enorm steigern.

    Dobovisek: Der Verlust, der mögliche, der CSU könnte tatsächlich Horst Köhler ins Wanken bringen?

    Prof. Dr. Gellner: Das ist durchaus denkbar in dieser Form, ja.