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Gelungener Auftakt

Mit "Hotel Savoy" und "Ruf der Wildnis" starten die Münchner Kammerspiele mit zwei Literaturtheatralisierungen in die neue Spielzeit. Regisseur der Bühnenfassung des Romans "Hotel Savoy" von Joseph Roth ist der frisch gebackene neue Intendant der Kammerspiele, Johan Simons.

Von Sven Ricklefs | 09.10.2010
    Dieses Hotel hat allen Glanz verloren: Gerade noch dass da ein Kronleuchter von der Decke hängt in der neuen Spielhalle, ansonsten liegt eine dicke Schmutzschicht auf den lose herumliegenden Bodenplatten, die wie eine Straße ins Nirgendwo führen. Dieses Hotel ist so zerstört wie das Europa nach diesem ersten Weltkrieg, und wie all dies so ist auch der Heimkehrer zerstört, der da hereinschlurft, in den Resten seiner Uniform.
    "Hotel Savoy, das ist: Wasser, Seife, ein Lift, Stubenmädchen mit weißen Hauben."

    Um diesen Heimkehrer im Hotel Savoy gruppiert sich das bizarre Personal aus Josef Roths Roman, diese traurig-hoffnungslosen Varieté-Artisten und Spekulanten, Liftboys, leichten Mädchen und schrägen Gestalten, die alle das obere Stockwerk des Hotel Savoy bevölkern, dort wo die wohnen, die eigentlich ihre Zimmer nicht bezahlen können, während die Reichen in den unteren Stockwerken logieren.

    Für die Auftaktinszenierung seiner Intendanz hat sich Johan Simons von Koen Tachelet eine Theaterfassung von Hotel Savoy erstellen lassen, die wie der Roman selbst aus erzählenden- und Dialogteilen besteht und das Buch behutsam für die Bühne kompatibel macht. Und auf der traurigen Bühne von Bert Neumann erzählt Simons wie das Buch all die Geschichten der Gestrandeten. Er erzählt von der schmutzigen Macht der Industrie, von der Skrupellosigkeit der Gewinnler, er erzählt von der Amerikasehnsucht und er erzählt von denen, die trotz der Kriegserfahrung noch revolutionäre Utopien haben.

    Schon diese Auftaktinszenierung der neuen Intendanz an den Münchner Kammerspielen zeigt, wie klug es war, dass sich Johan Simons für eine Ensemblekontinuität entschieden und viele der Schauspieler übernommen hat, die unter Frank Baumbauer in den letzten Jahren die Kammerspiele mit ihrer Persönlichkeit geprägt haben. Während Simons sowohl im Internet als auch in der Realität etwa ästhetisch im Erscheinungsbild der Kammerspiele einen Neubeginn proklamiert und dramaturgisch im Spielplan sehr eigenwillige sperrige Akzente setzt, kann der neue Intendant so zugleich auf ein Ensemble zurückgreifen, das zu Recht als eines der besten im deutschsprachigen Raum gilt. Und so war diese Auftaktinszenierung als eine intensive Erzählung und als ein Schauspielerfest zugleich eine Verheißung!

    Und diese Verheißung wurde gleich gestern bei der zweiten Premiere diesmal im Stammhaus der Kammerspiele eingelöst, auch dies wieder eine Literaturtheatralisierung, doch während Johan Simons eng an seiner Vorlage blieb, benutzt der lettische Regisseur Alvis Hermanis Jack Londons "Ruf der Wildnis" nur als Ausgangspunkt: Londons berühmtes Buch beschreibt den Goldrausch in Alaska aus der Sicht eines Schlitten-Hundes, der sich am Ende einem Wolfsrudel anschließt.

    Hermanis nun verwendet nur Motive seiner Vorlage, den Hund etwa, den Ruf der Wildnis, die Kraft des ultimativen Ausbruchs. Nur manchmal lässt der Regisseur den Orginaltext aufscheinen, ansonsten versucht er - wie so oft schon in seinen europaweiten Theaterprojekten - die unmittelbare Wirklichkeit ins Theater zu holen. Dafür hat er seine sechs Schauspieler in die Münchner Realität geschickt, um Geschichten von Hundehaltern zu recherchieren. Und aus dem zusammengetragenen Recherchematerial hat man nun Bühnenfiguren geformt, die nun auf der Bühne sitzen jeder auf seinem Sofa, jeder mit seinem Hund.

    "Ich habe nie ohne einen Hund gelebt. Ich würde gern einen Menschen mehr lieben, als meinen Hund. Nicht, weil ich Hunde gering schätze, sondern weil ich jemand lieben will, der mir widerspricht."

    Doch wer glaubt er bekomme hier nur traurige Schicksale präsentiert, weiß sich schnell eines besseren belehrt. Immer öfter kriecht aus diesen fast armseligen Figuren jene Kraft hervor, die nicht zu bändigen ist, die sich ausdrückt in Gewalt oder Sexualität. Und während die wirklichen Hunde schnell verschwunden sind, hören diese hier den Ruf der Wildnis, fangen tatsächlich an zu hecheln , sich aneinander zu reiben, sich zu beschnüffeln, während die Bestie in ihnen nur auf die Gelegenheit wartet, der domestizierten Hülle zu entkommen.

    Es ist ein krudes Projekt, dieser Ruf der Wildnis von Alvis Hermanis. Rauh, beklemmend, irrsinnig komisch, glänzend gespielt und in einer verstörenden Weise zutiefst Menschlich. Ein mutiges Wagnis und ein gelungenes, das das Münchner Publikum in einem ebenso mutigen Kampf aus Buhs und Bravos lautstark begrüßte.