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Gemeinsam stark

Mikrobiologie. - Die meisten Bakterien sind keine Einzelkämpfer, wie man lange glaubte. Wenn es irgend geht, schließen sie sich zusammen, produzieren einen schützenden Schleim und bilden so einen Biofilm. Wie das bakterielle Zusammenleben im Schleim funktioniert, lässt sich nur schwer erforschen. Mikrobiologen aus Neuseeland haben deshalb einen ganz einfachen Biofilm erforscht.

Von Michael Lange | 01.02.2007
    Ein Biofilm ist mehr als ein schleimiger Lebensraum für Bakterien. Millionen Organismen tun sich zusammen und produzieren einen zähen Schleim aus Zuckerverbindungen. Dutzende oder Hunderte Bakterienarten lassen sich darin nieder und ergänzen sich gegenseitig. Armin Gieseke, Biofilm-Experte am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen, vergleicht den Biofilm deshalb mit einer Stadt:

    "In einer Stadt haben Sie Bäcker und Schlosser und viele Betriebe, die ihrem eigenen Geschäft nachgehen. Und bei den Bakterien ist es ähnlich. Ganz viele verschiedene Gruppen leben zusammen, und jede Gruppe geht ihrem eigenen Geschäft nach. Jede Gruppe braucht bestimmtes Rohmaterial und bestimmte Umgebungsbedingungen, um gedeihen zu können."

    Das Gewirr der Handelsbeziehungen lässt sich nicht durchschauen. Um es zu verstehen, konstruierten Mikrobiologen aus Neuseeland deshalb einen Mini-Biofilm aus nur zwei Bakterienarten. Die eine heißt Acinetobacter. Die andere: Pseudomonas putida. Die Gemeinschaft lebt von einem Lösungsmittel namens Benzylalkohol. Acinetobacter verarbeitet den Benzylalkohol zu Benzoat, und davon ernährt sich Pseudomonas putida. Das reicht für eine geordnete, erfolgreiche Zweierbeziehung, erklärt Paul Rainey von der Universität Auckland:
    "”Im Biofilm haben die beiden Bakterienarten eine feste Beziehung. Ganz anders, als wenn sie frei im Wasser schwimmen würden. Im Schleim sitzen sie fest in geordneten Strukturen, als Nachbarn nebeneinander. Der Schleim schützt sie, auch wenn die Umweltbedingungen einmal nicht ideal sind.""

    So einfach und erfolgreich könnte das Leben zu zweit sein. Ist es aber nicht, wie die Mikrobiologen feststellen mussten. Denn die beiden Partner haben eigene Interessen. Sie streiten ständig um die schönsten Plätze im Biofilm und konkurrieren um die knappe Ressource Sauerstoff. Pseudomonas putida ist auf den Partner Acinetobacter angewiesen. Dennoch wurde Pseudomonas im Laufe des Versuchs immer aggressiver und machte dem Partner den Sauerstoff streitig und damit das Leben schwer. Paul Rainey und sein Team haben sich deshalb Pseudomonas putida genauer angeschaut. Rainey:

    "”Wir beobachten eine sehr schnelle Evolution. Wenige kleine Mutationen im Erbgut von Pseudomonas putida führen dazu, dass sie ihrem Lieferanten Acinetobacter immer näher rücken. Diese Evolution dauert nur Tage. Denn täglich entstehen neue Bakterien-Generationen. Bald kleben die Bakterien regelrecht aneinander. Pseudomonas putida bildet kleine Mäntel um die Acinetobacter-Kolonien.""

    Der so bedrängte Acinetobacter lässt sich aber nicht unterkriegen. Um sich gegen Pseudomonas zu behaupten wird er aktiver, er kämpft um den Sauerstoff und verarbeitet mehr Benzylalkohol. Die Konkurrenz der Partner stärkt deshalb letztlich die Gemeinschaft. Immer effektiver nutzen die Bakterien ihre Nahrungsquelle und bilden gemeinsam immer mehr Biomasse. Der Biofilm wächst. Erst wenn Pseudomonas putida zu aggressiv wird, könnte es zu einer Beziehungskrise kommen. Denn sobald Acinetobacter nicht mehr genug Sauerstoff erhält, wäre die gemeinsame Lebensgrundlage gefährdet. Soweit ging der Kampf im Biofilm allerdings nicht. Vielmehr sorgt der Wettbewerb um Sauerstoff für ständige Dynamik. Faulheit wird in Biofilm sofort bestraft. Das hat auch Wolf Reiner Abraham beobachtet. Der Mikrobiologe arbeitet bei der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, GBF, in Braunschweig. Abraham:

    "Faul sein, das haben wir gesehen im Boden. Da gibt es viele, die vor sich hin sitzen und auf bessere Zeiten warten. Im Biofilm haben wir das nie gesehen. Sie sind alle aktiv, und das scheint ein Prinzip des Biofilms zu sein. Nur wer sich aktiv beteiligt, hat eine Daseinsberechtigung darin."

    Regelmäßige Reibereien gehören dazu. Sie sorgen für gesteigerte Aktivität aller Bewohner. Letztlich macht diese Dynamik die Gemeinschaft stärker. So lautet wohl das Erfolgsrezept, zumindest bei Bakterien im Biofilm.