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Gemeinsame Sicherheitspolitik der EU

Durak: Was macht es so schwierig, innerhalb der Europäischen Union, einschließlich der Beitrittsländer, eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln? Der Außenpolitische Beauftragte der EU Solana, soll für den EU-Gipfel am 20. Juni Vorschläge für ein Konzept entwickeln, wie die Union künftig geschlossen auftreten kann. Das hatten die Außenminister auf ihrem Wochenendtreffen in Griechenland beschlossen. Die andere Nachricht des vergangenen Wochenendes verheißt das glatte Gegenteil von Geschlossenheit im europäischen Lager: Wie und dass die USA nämlich einzelne EU-Staaten, vor allen Dingen künftige, in die Irak-Nachkriegsordnung einbinden und andere ausgrenzen. Stichwort Drei-Zonen-Irak. Ist das die Fortsetzung der Spaltung Europas unter tatkräftiger Mithilfe bestimmter Erweiterungsländer? Wie sieht das Günter Verheugen? Er ist EU-Erweiterungskommissar und überzeugter Europäer, nun am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Verheugen.

    Verheugen: Schönen guten Tag.

    Durak: Was macht es so schwierig, eine gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln?

    Verheugen: Es gibt eine einzige Schwierigkeit: Es fehlt am Willen der beteiligten Regierungen, eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, die diesen Namen auch wirklich verdient. Es fehlt am Willen, nationale Souveränität und nationale Interessen zurückzustellen hinter ein europäisches Gesamtinteresse. Solange wir diesen politischen Willen nicht haben, werden wir nicht viel weiterkommen.

    Durak: Haben alle wichtigen EU-Staaten und auch die kommenden gleichermaßen keinen echten Willen dazu, oder sehen Sie da Unterschiede?

    Verheugen: Ich beobachte da eine ganz interessante Entwicklung in jüngster Zeit: Die traumatische Erfahrung der vollständigen Marginalisierung Europas während und wohl auch nach der Irak-Krise hat zum Beispiel in Deutschland und Frankreich Nachdenken darüber ausgelöst, ob wir jetzt nicht einen großen Schritt tun sollten. Auch in einer Reihe kleinerer Mitgliedsländer und in einer Reihe von künftigen Mitgliedsländern hat das Nachdenken darüber eingesetzt, ob wir wirklich ein Europa bleiben können, das wirtschaftlich immer stärker wird, aber keine Möglichkeiten hat, seine außenpolitische Verantwortung wahrzunehmen.

    Durak: Herr Verheugen, auf dem Wochenendgipfel der Außenminister der EU, der Beitrittsländer und der Gäste aus Russland und der Türkei hat man - insbesondere, was die EU-Länder betrifft - das Irak-Thema einfach außen vor gelassen, frei nach dem Motto: Wir können uns nicht einigen, also lassen wir es weg. Ist das richtig?

    Verheugen: So geht es jetzt schon seit einiger Zeit. Ich sehe im Moment noch keine andere Möglichkeit, mit diesem Problem umzugehen als es so lange auszuklammern, bis wir die Chance haben, gemeinsame Positionen zu finden.

    Durak: Wann und unter welchen Umständen könnten sich denn solche Chancen auftun?

    Verheugen: Ich hoffe immer noch, dass im Rahmen des Verfassungskonvents, der in Brüssel tagt, ein wichtiger Impuls kommt, und dass sich die Regierungskonferenz daran anschließt und die Chance begreift, Europa ein Stück nach vorne zu bringen. Das ist auch der richtige Ort, die Initiative zu besprechen, die in der vergangenen Woche von Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg ausgegangen ist. Ich halte sie auch für wichtig, weil sie zeigt, dass es doch Mitgliedsländer gibt, die in Europa mehr sehen als eine groß gewordene Freihandelszone.

    Durak: Herr Verheugen, Sie haben eben diese Vierer-Idee der Entwicklung einer EU-eigenen Führungsebene für gemeinsame Militäreinsätze angesprochen. Was hat das eigentlich mit der alten EU-Eingreiftruppe zu tun?

    Verheugen: Es ist eigentlich die logische Weiterentwicklung dieser 1999 in Köln bereits beschlossenen Initiative, europäische Krisenreaktionskräfte aufzustellen, die in der Lage sind, mit oder ohne Rückgriff auf NATO-Ressourcen Aufgaben des Konfliktmanagements, der Friedenssicherung und der Friedensschaffung in Europa zu erfüllen. Es geht jetzt darum, diese Sache etwas glaubwürdiger und stabiler zu gestalten.

    Durak: Es gibt in Deutschland Politiker, die noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass man langfristig auch an eine Europa-Armee denken könne, wo die nationalen Streitkräfte schrittweise in eine Europa-Armee übergeführt werden sollten. Halten Sie das für sinnvoll?

    Verheugen: Das ist eine sehr, sehr langfristige Idee. Natürlich ist das sinnvoll. Wenn etwas nach europäischer Organisation geradezu schreit, ist das die Verteidigung. Das ist ja auch ein uralter Gedanke, der sogar am Anfang der ganzen Politik der europäischen Einigung stand. Man muss sich aber klar darüber sein, dass es im Augenblick nichts als eine Utopie ist. Ich halte es für den klügeren Weg, schrittweise voranzugehen. Zum Beispiel würde ich es für sinnvoll halten, einmal darüber zu reden, wie man innerhalb der europäischen Streitkräfte zu einer sinnvolleren Arbeitsplanung kommen kann. Es muss nicht jeder alles können und alles machen.

    Durak: Wie weit darf sich Europa in diesem Bereich von der NATO und den USA entfernen?

    Verheugen: Das sollten wir nicht, sondern wir sollten uns klar darüber sein, dass gemeinsame Anstrengungen der Europäer und die Zusammenarbeit im Bündnis keine Gegensätze sind. Die Gesamtverteidigung des Westens muss selbstverständlich Aufgabe des Bündnisses bleiben. Das können die Europäer nicht alleine übernehmen. Es kann aber darüber hinaus immer wieder Situationen geben, in denen unsere Fähigkeiten gebraucht werden.

    Durak: Herr Verheugen, noch einmal zu den neuen Beitrittsländern: Tschechien - sozusagen eines Ihrer Mündel, wenn ich das mal so formulieren darf - gehört dazu. Das ist nett gemeint...

    Verheugen: Ich möchte nicht gerne der liebe Onkel sein dieser Länder. Ich verstehe schon...

    Durak: ...Der tschechische Präsident wird in der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende aus einem Interview zitiert, in dem er klar und deutlich sagt, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU sei Unsinn. Das gebe es nicht, es wäre nicht möglich. Schadet so etwas, wenn man der EU beitreten will, nicht der EU?

    Verheugen: Diese Auffassung von Herrn Klaus, dem tschechischen Präsidenten, ist bekannt. Er ist immer ein Gegner der politischen Union gewesen und gehört zu denjenigen, die Europa nur wirtschaftlich vereinen wollen. Diese Auffassung hat er immer vertreten. Es ist nicht überraschend, dass er auch in seinem jetzigen Amt bei seiner Auffassung bleibt. Das ist aber meines Wissens nicht die Auffassung der tschechischen Regierung.

    Durak: Wie steht es um das tschechische Volk, denn das Referendum steht ja noch aus?

    Verheugen: Alles, was ich darüber weiß, zeigt, dass wir in der Tschechischen Republik mit einer sehr großen Zustimmung zum Beitritt zur Europäischen Union rechnen können. Wenn man sich die Lage dieses Landes ansieht, gibt es gar keine vernünftige Alternative dazu. Dieses Land wird rundherum von EU-Mitgliedern umgeben sein. Es wäre geradezu gegen die eigenen Interessen, wenn es nicht beitreten würde. Es hat sehr gute Beitrittsbedingungen. Es hat auch innerhalb der EU sehr gute Chancen. Ich bin da sehr zuversichtlich.

    Durak: Polen ist ein weiteres Mitgliedsland. Polen ist durch die USA ausgezeichnet, hervorgehoben worden. Ist da Spalterisches am Werk? Brechen die USA Europa auf?

    Verheugen: Nein. Ich bin über diese Denkweise immer ein bisschen erstaunt. Ich glaube nicht, dass es ausreicht, ein guter Europäer zu sein, wenn man sich gegen die Amerikaner profiliert. Ich habe es nie verstanden, dass "europäisch" sich definieren würde als "anti-amerikanisch". Ich bin ganz im Gegenteil der Meinung, dass wir die guten politischen Beziehungen, die beispielsweise Polen mit den USA unterhält, nutzen können, um die transatlantischen Beziehungen zu stabilisieren.

    Durak: Günter Verheugen, EU-Erweiterungskommissar. Herzlichen Dank, Herr Verheugen, für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio